Die Beinahe-Bankenkrise vom März 2023
Eine Analyse der auslösenden Faktoren und der tieferen systemischen Ursachen
Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) und der Signature Bank in den USA sowie der Run auf die Credit Suisse (CS) in Europa in der zweiten und dritten Märzwoche 2023 führte an den Finanzmärkten weltweit zu einer Angstattacke über eine neue Bankenkrise. Ausgelöst wurden die Ereignisse diesmal durch die starken Zinsanhebungen der Federal Reserve und anderer Zentralbanken. Wie weit und wie schnell die Zinsanhebungen gerechtfertigt waren, oder ob sie eine Ära der Stagflation eröffnet haben, wird sich zeigen. An dieser Stelle geht es um die Auswirkungen auf die Banken und die Beinahe-Bankenkrise vom März 2023.
Steigende Zinsen bedeuten Wertverluste von Anleihen, darunter der große Anteil an Staatsanleihen. Da Anleihen weder zum Nennwert noch zu ihrem Anschaffungspreis bilanziert werden, sondern zum aktuellen Handelspreis (marked-to-market), und solche Wertpapiere über ein Viertel der US-Bankaktiva ausmachen, und etwa ein Fünftel der europäischen Bankaktiva, schlugen sich die Wertverluste der Anleihen da und dort in einer bilanziellen Schieflage nieder, das heißt, das Eigenkapital betreffender Finanzfirmen drohte in die roten Zahlen zu rutschen oder tat dies tatsächlich.
Seit die US Federal Reserve mit ihrer Politik des Quantitative Tightening durch starke Zinsanhebungen anfing und andere Zentralbanken dem folgten, hatten etliche Marktteilnehmer bereits begonnen, bei Banken, die sie für besonders anfällig hielten, Einlagen abzuziehen oder Schuldenpapiere solcher Banken abzustoßen. Was die kalifornische SVP angeht, war vor diesem Hintergrund der entscheidende Faktor das Engagement dieser Bank als Risikokapitalgeber, Technologie- und Startup-Finanzier, also Unternehmen, die das straffere Finanzumfeld mehr als andere zu spüren bekamen.
Zum Hintergrund der CS-Krise gehörten milliardenschwere Verluste aus Investmentfonds, die gemeinsam mit Greensill Capital betrieben wurden und 2021 Bankrott gingen. In einem anderen Fall wurden dem Manager eines New Yorker Hedgefonds ungewöhnlich hohe Kredite eingeräumt, die allesamt abgeschrieben werden mussten. In einem anderen Fall wies die CS jede Haftung von sich als ein Mitarbeiter große Summen eines Georgischen Milliardärs veruntreute. Es gab noch mehr solche Vorfälle, die dem Ruf der Bank schadeten und Kunden veranlassten, ihr den Rücken zu kehren. Der schleichende Run auf die CS, SVB und weitere Banken blieb öffentlich lange unbeachtet.
Versuche der betreffenden Banken, ihr Eigenkapital zu erweitern, um die Verluste und Abflüsse auszugleichen, scheiterten. Daraufhin wurde aus dem schleichenden Bankrun ein massiv ansteigender. Um eine Panik im Keim zu ersticken, überführte die US Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) die Silicon Valley Bank und die Signature Bank umgehend in ihre Treuhänderschaft, bis passende Käufer gefunden werden.
In der Schweiz befand sich die CS von dem Moment an in einer absehbaren Liquiditätsklemme und Solvenzkrise als der Vorsitzende der Saudi National Bank (mit 10% der Aktien die größte Eigentümerin der CS) öffentlich erklärte, man werde der CS unter keinen Umständen neues Kapital zuschießen. Auch hier musste gleichsam im Handstreich gehandelt werden. Die angeschlagene CS wurde von der UBS (Union Bank of Switzerland) übernommen, die in der Bankenkrise 2008 selbst gerettet werden musste. Übers Wochenende vom 18/19 März 2023 organisierten und finanzierten die Schweizerische Nationalbank, die Regierung und weitere Behörden die Übernahme. Mit der Übernahme der CS durch die UBS entsteht ein Bankenriese, der ein Kundenvermögen von 5.000 Mrd Dollar managt und eine Bilanzsumme um 1.850 Mrd Dollar aufweist, mehr als doppelt so viel wie das BIP der Schweiz bei 760 Mrd SFr. Für den Finanzplatz Schweiz könnte das ein nicht unerhebliches Klumpenrisiko darstellen.
Für den schweizer Deal ordnete die Finanzmarktaufsicht (FINMA) an, das gesamte AT-1 Kapital der CS abzuschreiben. AT-1 bedeutet 'Additional Tier-1' Kapital. Es wurde nach der großen Bankenkrise ab 2008 eingeführt, um das Verluste abpuffernde Eigenkapital der Banken aufzustocken. AT-1 Kapital besteht in relativ gut verzinsten Wandelanleihen. Sie werden von einer Bank herausgegeben und können im Fall der Fälle in Eigenkapital der Bank zwangsumgewandelt werden. So gesehen sind AT-1-Anleihen ein Instrument des Kunden-Bail-in. Im Klartext heißt das, Kunden haften für die Bank – was sie in diesem Fall denn auch mit Totalverlust tun mussten. Dagegen wurden die Eigentümer von CS-Aktien auf niedrigem Niveau ausbezahlt. Das hat großen Ärger hervorgerufen, denn eigentlich muss das Aktienkapital vorrangig haften, das AT-1 Kapital nachrangig, nicht umgekehrt. Der Schaden ist erheblich, sowohl finanziell wie auch moralisch. Gebrochene Versprechen sind wie zerschlagenes Porzellan.
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Wurde damit eine neuerliche Krise des Banken- und Finanzsektors bis auf weiteres verhindert, sodass nun wieder Normalbetrieb einkehrt? Finanz- und Bankenkrisen hat es immer gegeben und wird es weiterhin geben. Die mit Kredit- und Investitionsgeschäften prinzipiell verbundenen Risiken können nicht wegreguliert oder wegbeaufsichtigt werden. Übertriebene Versuche dieser Art sind kontraproduktiv. Allerdings: es macht einen großen Unterschied, ob man ein Geld- und Bankwesen hat, das auf einer bestandsicheren und stabilen Geldbasis beruht – wie zum Beispiel in einer Vollgeldordnung – und in dem Krisen sich in seltenen Ausnahmefällen ereignen mögen; oder ob kleine und große Banken- und Finanzkrisen endemisch sind und faktisch zum Normalbetrieb der Branche gehören.
Eben dem ist so seit das Geld im allgemeinen Umlauf zu 90–98% aus frei erzeugtem Bankengeld besteht (Buchgeld, Giralgeld). Das gesamte Geldwesen stellt sich als ein Bankengeldregime dar. Es wird von den Banken und ihrem Buchgeld dominiert, wobei dieses Buchgeld sich gleichsam in Geiselhaft der Bankbilanzen befindet, und die Zentralbanken samt Regierung sich in der Rolle von Auxiliarorganen des Bankensektors wiederfinden, genötigt, den Banken jederzeit zu Hilfe eilen zu müssen sobald es wieder einmal brenzlig wird.
Die systemische Instabilität des Bankengeldregimes und der darauf fußenden Finanzwirtschaft hat im wesentlichen drei Grundursachen.
Erstens beruht das Bankengeldregime auf dem heute üblichen Kredit-und Schuldengeld. Dieses wird im Zusammenhang mit der Ausstellung von monetärem Kredit in ein Bankkonto frei hineingeschrieben, und mit der Tilgung von monetärem Kredit wieder gelöscht. (Monetärer Kredit erzeugt neues Geld). Das bedeutet, es gibt im öffentlichen Geldverkehr immer nur so viel Geld wie es Schulden bei Banken gibt. Gerät eine Bank bilanziell in Schieflage, ist damit auch das Buchgeld der Kunden in seinem Bestand bedroht. Die falsche Identität von Geld und Kredit unterwirft die Existenz des Geldes den Risiken der Finanzwirtschaft, anstatt die Finanzwirtschaft auf einer Basis von sicherem und stabilem Vollgeld zu betreiben, Geld, das von der betreffenden Zentralbank geschaffen und sich im Bestand (nicht der Verwendung) unter ihrer Kontrolle befindet. Das betrifft im übrigen auch den intermediären Kredit von Nichtbanken. (Intermediärer Kredit verwendet bereits existierendes Geld). Nichtbanken, darunter auch die Schattenbanken, erzeugen zwar kein Bankengeld, aber auch ihr Geschäft beruht darauf (und würde in einer Vollgeldordnung auf Vollgeld beruhen).
Zweitens operiert das Bankengeldregime als sog. fraktionales Reservebanking. Dieses beruht auf einer nur bruchteiligen Basis an Zentralbankgeld in Form von Bargeld und Zentralbank-Buchgeld, den sog. Reserven. Um 100 Einheiten Bankengeld zu schaffen und in Umlauf zu halten, benötigt der Bankensektor operativ nur etwa 2–6 Einheiten an Reserven und einem geringen Anteil Bargeld. Eine derart niedrige Deckung führt, sobald irgendwelche Unsicherheiten aufkommen, unweigerlich zu kleineren oder größeren Bankruns. Aufgrund der weitreichenden Interdependenzen im Banken- und Finanzsektor droht dabei immer auch eine Ausweitung auf den gesamten Sektor, mit wiederum bedrohlichen Folgen für die Realwirtschaft.
Von daher müssen Zentralbanken und Regierungen, inzwischen sogar die Bankkunden selbst, bereit stehen, die Banken zu retten, um damit das Bankengeld zu retten und die Wirtschaft am laufen zu halten. Die Zentralbanken wurden, inzwischen wie selbstverständlich, zu jederzeitigen 'lenders of last resort' und inzwischen auch 'bond dealers of last resort' für die Banken, während die Regierungen als 'Garantiegeber letzter Instanz' für das Bankengeld auftreten und ggf auch als 'Banken-Rekapitalisierer letzter Instanz'. Auf diese Weise haben die eigentlich privaten Banken und ihr eigentlich privates Bankengeld einen para-staatlichen Status erlangt – ein ordnungspolitisches Unding in Anbetracht der staatlichen Währungs- und Geldhoheit, die nach allgemeinem Rechtsverständnis eigentlich gegeben sein sollte.
Drittens gibt es 'too much finance'. Genauer gesagt fließt seit etwa einem halben Jahrhundert immer mehr monetärer und intermediärer Kredit (also Bankengeld, und in der Tat zu viel davon) in Nicht-BIP-Finanzen. Darunter fallen zum Beispiel der Sekundärhandel mit Aktien, Devisen- und Derivatehandel ohne Underlying, oder der Immobilienhandel als pure Kapitalanlage ohne reale Nutzwertsteigerung. Zu viel Nicht-BIP-Finanzen führen zu Vermögenspreisinflation – sehr zur Freude der Vermögensbesitzer, während jedoch solche Nicht-BIP-Finanzgeschäfte nicht zur Finanzierung der Realwirtschaft beitragen. Dennoch erlangen die Bezieher von Finanzeinkommen aus Nicht-BIP-Finanzgeschäften vollen Zugang zum realwirtschaftlichen Output. Die überschießende Ausdehnung der Nicht-BIP-Finanzen trägt erheblich zur zunehmenden Ungleichheit der Einkommen und Vermögen bei und wird allgemein als ungerecht empfunden. Um nicht missverstanden zu werden: Im Sinn der Ersparnis- und Eigenkapitalbildung sind Nicht-BIP-Finanzen im Prinzip etwas Nützliches. Aber allzu viel ist eben Narrenziel, und die Bankengeldschöpfung hat einen Bias zugunsten von Nicht-BIP-Finanzen und damit zur Überstrapazierung der finanziellen Tragekapazität der Wirtschaft.
Nach Lage der Dinge drängt sich die Folgerung auf: höchste Zeit dass sich etwas ändert, zuerst und vor allem die Zusammensetzung des Geldangebots. Bestandsicheres Vollgeld der Zentralbanken muss an die Stelle des instabilen und unsicheren Bankengelds treten – weniger in Form des allmählich schwindenden Bargelds, als vielmehr in Form von unbaren Reserven (als Zentralbank-Buchgeld bisher den Banken reserviert und der Allgemeinheit der Geldbenutzer vorenthalten), oder bald in Form von digitalen Tokens (digitales Zentralbankgeld). Wenn man einen solchen Wechsel gleichsam über Nacht als allzu radikalen Big Bang ablehnt, so sind die Zentralbanken und Regierungen es sich selbst und der staatlichen Währungs- und Geldhoheit doch schuldig, Vollgeld so bald und so umfangreich wie möglich schrittweise in den allgemeinen Geldumlauf einzuspeisen, und damit die geradezu monopolartige Stellung des Bankengelds zu überwinden.
Dieser Text erschien am
31. März 2023 in
MAKROSKOP, Aktuelle Ausgabe Nr.12, 2023.