Monetäre Finanzierung von Staatsausgaben
Zentralbank-Beiträge zur Finanzierung staatlicher Ausgaben
Seit einiger Zeit wird über Helikoptergeld und monetäre Staatsfinanzierung diskutiert, das heißt, über eine (Mit-)Finanzierung staatlicher Ausgaben durch die Zentralbank. Zunächst erfolgte die Politik des lockeren Geldes (Quantitative Easing (QE)) in Form von Zentralbank-Aufkäufen von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren aus dem Bestand vor allem von Banken und Finanzinvestoren. Diese erhielten dadurch frisches Geld. Das war QE for finance. Nachfolgend wurde daraus teils auch QE für die Realwirtschaft, nicht nur für Firmen und Haushalte, sondern auch für die indirekte Re-Finanzierung von Staatsanleihen. Die Zentralbanken sollten nun vergleichbar hohe Summen den Staatshaushalten auch direkt übertragen können.
Durch das Zusammentreffen mehrerer Krisenentwicklungen (die Corona Pandemie, Klimakrise, neue geopolitische Spannungen, Ukrainekrieg, Angebotsverknappungen, sprunghafte Inflation und Zinswende) haben sich die kompensatorischen Staatsausgaben für Wirtschaft und Gesellschaft nochmals schubhaft ausgeweitet, ebenso die Staatasverschuldung. Damit ist die Zentralbankpolitik des lockeren Geldes in eine weitere Phase eingetreten,
Hier zwei Papers zum Thema
• Staatsverschuldung und monetäre Finanzierung von Staatsausgaben (2023) > oder als PDF >
und
• Monetäre Finanzierung von Staatsausgaben (2021) > oder als PDF >
Drei Papiere von Hermann Oetjens, Mitglied des Monetative
e.V.
• Das Monetäre Manifest - oder: Außerordentliche Staatsfinanzierung ohne Banken >
• Monetäre Finanzierung von Investitionen als Alternative zur Schuldenbremse >
• In einem Offenen Brief nebst 10seitigem Paper fordert Oetjens vom Sachverständigenrat Wirtschaft eine begrenzte Monetäre Staatsfinanzierung als Alternative zur Schwarzen Null >
Zugleich steht heute die Einführung von digitalem Zentralbankgeld auf der Tagesordnung. Was liegt näher, als das eine mit dem anderen zu verbinden? Hierzu
• Central Bank Digital Currency (CBDC) and Quantitative Easing (QE) >
4 pages on how to make good use of the large overhang in central bank reserves. Input to the 2020 monetary reform conference org. by the American Monetary Institute and the Alliance for Just Money.
Positive Money Europe, Brüssel, befürchtet eine Rückkehr der selbstschädigenden Austeritätspolitik. Dennoch hält man dort einen Schuldenschnitt der von der EZB gehaltenen europäischen Staatsanleihen nicht für dringend. Auch ein Einfrieren dieser Staatsanleihen durch Umwandlung in Nullzins-Daueranleihen (zero-coupon perpetual consols) zieht man nicht in Erwägung. Stattdessen soll das Verbot für die EZB aufgehoben werden, direkt zur Finanzierung von Staatsausgaben beizutragen (wie in Art. 123(1) AEUV bestimmt).
Natürlich kann und sollte man beides tun: die Staatsschulden einfrieren und Art. 123 AEUV umschreiben. Dagegen ist die Streichung von Schulden in einer Zentralbankbilanz in Zeiten von Null- und Negativzinsen in der Tat nicht dringend. Vor allem aber kann sie nicht sauber durchgeführt werden, ohne auch die damit verbundenen Zentralbankverbindlichkeiten, d.h. Zentralbankgeld auf Bank- und Staatskonten, zu tilgen. Soweit Schulden auf monetärem Kredit beruhen, gilt die Gleichung Schulden weg = Geld weg. Wer würde sowas Dummes machen wollen? ECB debt cancellation:
A last resort, not a first-best strategy >
Positive Money Europe fordert Helikoptergeld als Antwort auf die Covid-19 Krise:
• Presseerklärung des Vereins Monetative: Direkte Staatsfinanzierung in Großbritannien wegen Coronakrise. Modell für die Eurounion, 9 Apr 20.
• Adair Turner, der die UK Financial Services Authority zuletzt leitete, griff die Sache unter dem etwas undeutlichen Begriff Overt Money Finance auf. Er vertritt die Auffassung, eine direkte monetäre Finanzierung von Haushaltsdefiziten sei nicht riskanter als die aktuelle Praxis der 'quantitativen Lockerung' > Printing money to fund deficit is the fastest way to raise rates, Financial Times, 10 Nov 2014.
• Die Vizegouverneurin der Schwedischen Reichsbank, Cecilia Skingsley, sagt > Helicopter money should be considered, Mai 2016.
• Romain Baeriswyl von der Schweizerischen Nationalbank argumentiert für > The Case for the Separation of Money and Credit durch direkte Pauschalzahlungen (faktisch Bürgerdividende) der Zentralbank an die Bürger. Nach Ansicht des Autors wäre das ein effektives Instrument zur Erreichung des jeweils angestrebten Inflationsziels.
Auch Positive Money hat sich dem angeschlossen, in der Keynesianischen Absicht, das bisherige schulden-finanzierte Deficit Spending durch schuldenfreies Deficit Spending per monetärer Staatsfinanzierung zu ersetzen. Der Vorschlag, ausgearbeitet von Andrew Jackson, findet sich ab Seite 16 der Broschüre > Sovereign Money.
• Michael Stöcker weiß beeindruckende > 14 Argumente für ein Zentralbank-finanziertes Bürgergeld (Citoyage = seigniorage pour citoyens), Makronom, 24 Okt 2016.
• Martin Wolf, Chief Economics Commentator of the Financial Times, says "I fail to see any moral force to the idea that fiat money should only promote private spending." Read full article > The Case for Helicopter Money, Financial Times, 12 Feb 2013
• Einen ähnlichen Vorschlag machte zuvor bereits Johann Walter, Wirtschaftsprofessor an der Westfälischen Hochschule. Er schlägt vor, Vollgeld zur Finanzierung öffentlicher Investitionen in begrenztem Umfang parallel und zusätzlich zum weiter bestehenden Giralgeld einzuführen > Geldordnung. Schuldenkrise oder Free Lunch? Gegen Gebühr in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Heft 4/2013, 197-202. - Siehe hier auch das Video seines Vortrags in der Kolumne rechts.
Positive Money hat inzwischen eine Kampagne > QE for People (QEP) mit Bezug auf die Eurozone, also die EZB, lanciert.
Dazu weiter unten auch eine Einschätzung von mir.
20 Ökonomen plädieren in der Financial Times vom 26 März 2015 für > Better ways to boost eurozone economy and employment
• Findet EZB Präsident Draghi Helikoptergeld 'interessant'? Ralf Streck auf Telepolis 6 Apr 2016 über
Letzter Ausweg Helikopter-Geld?
• Willem Buiter, Citigroup Chefökonom, drängt Europa und China: EU and China to use helicopter money, Epoch Times, 15 July 2016.
• Larry Elliott erklärt, warum monetäre Staatsfinanzierung für ihn nur eine Frage der Zeit ist > Helicopter money is closer than you think, the guardian, 7 April 2016.
• MarkJoób findet > Besser nicht aus dem Helikopter. Mit Vollgeld gegen das verhängnisvolle Trio, Inside Paradeplatz, 27 Apr 2016.
Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung durch die Zentralbank nach Artikel 123 AEUV
Die Zentralbanken zwischen staatlicher Geldhoheit und Geldsystem-Dominanz der Banken
Artikel 123 (1) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), bekannt als Lissabon-Vertrag, verbietet es den nationalen Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben direkt etwas beizutragen, sei es durch Kontokredit oder Direktübernahme neu emittierter Staatsanleihen. Angeblich soll dieses Verbot staatliches ‘Gelddrucken’ und Inflation verhindern. In Wirklichkeit geschieht etwas genau Gegenteiliges, denn das Verbot befördert das privilegierte ‘Gelddrucken’ des Bankensektors samt Imflation und Assetinflation (Vermögenspreis-Inflation).
Weiterlesen > als PDF >
Hier ein Positionspapier des Vereins Monetative, verfasst von H. Oetjens, 2024, zum Thema der ‘ewigen’ Prolongierung der Staatsschulden und den Möglichkeiten einer direkten Staatsfinanzierung “Monetäre Finanzierung als Alternative zu Staatsschulden am Kapitalmarkt”.
Außergewöhnliche Zeiten verlangen außergewöhnliche Schritte
• Die Ökonomen Willem Buiter und Sony Kapoor verlangen gewaltige Infusionen von Helikoptergeld in die Realwirtschaft. Die Politikmacher müssten jetzt sehr sehr schnell reagieren und Taboos brechen, voxeu.org, 6 Apr 20.
• Timm Gudehus, Monetative e.V., über Corona-Finanzierung in einer Vollgeldordnung.
• Edgar Wortmann, Ons Geld Niederlande, denkt an die Ausgabe von National Emergency Euros in Form von Zentralbanknoten ultra-hoher Stückelung (‘Titans’) für große Transaktionen zwischen Regierungen und Banken, IMMR Blog, 29 March 20.
Die Idee einer 'trillion dollar coin' kam 2011 in den USA auf im Zuge der damaligen Budgetkrise infolge der Schuldenobergrenze. Die Ausgabe solcher Münzen berief sich auf das Verfassungsrecht des US Treasury (Finanzministerium) “to coin money”. Zentralbanken haben das unstrittige Recht, Noten und unbare Reserven oder Tokens herauszugeben. Art. 123 AEUV - der direkte Geldschöpfung durch die staatlichen Zentralbanken verbietet zum einseitigen Vorteil der Giralgeldschöpfung der Banken - ist überreif für eine Revision.
In diesem Video erklärt Uli Kortsch, dass etwa die Hälfte der US Infrastruktur-Kosten in Schuldendienst besteht, ein Sachverhalt, der dringend erforderliche Infrastruktur-Investitionen untergräbt. Er plädiert dafür, die betreffenden Investitionen mit schuldenfrei vom US Treasury emittiertem Vollgeld zu finanzieren. Wie am Beginn des Videos gezeigt wird, sind bis heute US Treasury Geldscheine in Umlauf, parallel zu den Federal Reserve Noten der Zentralbank.
In den USA gibt es eine Tradition staatlich herausgegebener Geldscheine, US Treasury Noten, parallel zu Giralgeld und Federal Reserve Noten. Im Anschluss an die 'Greenbacks', die US Treasury Noten zur Finanzierung der Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg, bildete sich die Greenback Bewegung des späteren 19 Jhds. The Global Monetary Forum versucht, die Tradition von US Treasury Greenbacks wieder zu beleben.
In Kanada fand monetäre Staatsfinanzierung durch die Bank von Kanada von 1935-74 statt. Diese Praktik war unter den Bedingungen jener Zeit (geringe Staatsschuld, großes aber noch weitgehend ungehobenes produktives Potential) äußerst segensreich.
- Josh Ryan-Collins, A Case Study of the Canadian Economy 1935-75, Levy Economics Institute of Bard College.
- Will Abram's video > History of Canada's National Debt
Erfolgreiche Klage gegen die Bank von Kanada wegen Unterlassung direkter Staatsfinanzierung!
Am 26 Jan 2015 haben drei Richter des kanadischen Bundes-Appelationsgerichts ein Urteil aus dem Vorjahr bekräftigt, wonach die Bank von Kanada nicht nur berechtigt, sondern auch gehalten ist, der kanadischen Regierung direkten zinsfreien Kredit einzuräumen.
Das neuerliche Urteil erfolgte aufgrund einer Klage der NGO COMER gegen die Bank von Kanada, und einer Gegenklage der Regierung. COMER (Comité sur la réforme économique et monétaire) geht auf die Social Credit Bewegung der 1920-40er Jahre zurück. Von 1935-74 hat die Bank von Kanada (seit 1938 ein unabhängiges Staatsorgan) durch zinsfreien Kredit an die kanadische Regierung direkt zu deren Finanzierung Beiträge geleistet. Das Geld diente dem umfangreichen Ausbau öffentlicher Infrastrukturen, des Bildungs- und Gesundheitswesens sowie, während des Zweiten Weltkriegs, des MIlitärs, insb. der Marine.
> The Journal of COMER, issue Jan-Feb 2015
> COMER, le collectif qui fait trembler la banque du Canada.
> The Case to 'Reinstate' the Bank of Canada, by M. Oliver Heydorn
In der Zwischenzeit hat sich der Supreme Court of Canada mit der Sache befasst - und den Fall abschlägig beschieden mit der Begründung, das Gericht sei nicht die richtige Instanz, um der Regierung oder der Bank von Kanada vorzuschreiben, welche Geldpolitik sie auszuüben hätten.
> COMER Case against Bank if Canada reaches its end
Damit führt dieser Rechtsweg nicht mehr weiter. Was jedoch bleibt, ist der politische Weg, unterstützt durch einen Paradigmenwandel unter Experten und im weiteren Publikum weg vom bestehenden Giralgeldregime hin zu einem Vollgeldsystem, aktuell über den Weg der Einführung von digitalem Zentralbankgeld (CBDC) im allgemeinen Publikumsgebrauch. Angesichts der unklaren Rechtsgrundlagen des Giralgeldregimes, hat der Weg gut informierter politischer Aktion ohnehin Vorrang.