Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung durch die Zentralbank nach Artikel 123 AEUV.
Die Zentralbanken zwischen staatlicher Geldhoheit und Geldsystem-Dominanz der Banken
Das seltsame dem Staat auferlegte Verbot, seine monetären Hoheitsrechte auszuüben
Im Verlauf der Euro-Staatsschuldenkrise sind sind etliche Strukturmängel des europäischen Geld- und Finanzwesens zutage getreten. Bezüglich des Themas der Staatsfinanzierung sind hier speziell drei Sachverhalte zu nennen.
Erstens wurde der Öffentlichkeit bewusst, dass die Zentralbanken schon lange nicht mehr Bank des Staates sind, obwohl sie vor 100–300 Jahren zu diesem Zweck gegründet wurden. Die Zentralbanken tun so als seien sie nur noch Bank der Banken und weisen anderes von sich. Wenn ein EU-Staat heute in Zahlungsschwierigkeiten kommt, fehlt ihm ein lender of last resort.
Zweitens kam die Europäische Zentralbank (EZB) in einem fortgeschrittenen Stadium der Krise dann doch nicht umhin, a) wertbedrohte Staatsanleihen in großem Umfang am offenen Markt aufzukaufen, um so den Markt bzw die Zinsen für Staatsanleihen zu stabilisieren und es den betreffenden Regierungen zu ermöglichen, sich weiter bei Banken und anderen Anlegern zu verschulden. Durch diese und andere Maßnahmen b) flutete die EZB die Banken mit Zentralbankgeld (Reserven) weit über deren eigentlichen Liquiditätsbedarf hinaus, mit der erklärten Absicht, die Banken möchten das Geld doch bitte dafür verwenden, mehr Kredit auszustellen sowie Staatsanleihen auch schwächerer Länder zu kaufen, um so eine Insolvenz dieser Länder abzuwenden – und natürlich auch, um die in Staatsanleihen gehaltenen Geldvermögen zu retten, wobei man wiederum wissen sollte, dass der Löwenanteil von Staatsanleihen sich im Besitz von Banken, Fonds und Versicherungen befindet.
Drittens und nicht zuletzt hat man mit dem Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM) eine Art von Ersatz-lender-of-last-resort für Staaten geschaffen. Diese Funktion wurde, meist für Entwicklungs- und Schwellenländer, bisher vom Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgeübt. Im Fall der Euro-Währungsunion kooperieren IWF und ESM miteinander, indirekt sekundiert von der EZB. Das erleichtert es unter anderem, den Schuldnerländern eine harte und realökonomisch kontraproduktive Austeritätspolitik aufzuerlegen und die Gläubiger so weit wie möglich zu schonen – obwohl die Gläubiger, in einer Kombination aus Staats- und Marktversagen, an der Staatsschuldenkrise ebenso viel Schuld tragen wie die betreffenden Regierungen selbst.
Der Art. 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), auch als Lissabon-Vertrag oder 'EU-Verfassung' bekannt, spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Absatz 1 verbietet direkten Zentralbankkredit an den Staat in jeglicher Weise. Sogar der früher gebräuchliche Kassenkredit, das heißt Überbrückungskredit bei Lücken zwischen Steuereinnahmen und Ausgaben, wurde mit Einführung des Euro verboten.
Art. 123 (1) AEUV
Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (im Folgenden als "nationale Zentralbanken" bezeichnet) für Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken.
Im Gegensatz dazu war und ist der Sekundärankauf von Staatsanleihen durch Zentralbanken am offenen Markt gängige Praxis. Nach einer bisherigen Version von Art. 123 (2) war diese Praxis ausdrücklich gestattet. Eine Begrenzung von Anleihe-Offenmarktkäufen gab es nach Art. 123 (2) nicht, wobei es sich faktisch stets um einen eher geringen Anteil an allen Staatsanleihen gehandelt hat. Mit dem Ankauf von Staatsanleihen aus dem Besitz von Banken und anderen Finanzinstituten verschaffen die Zentralbanken den Banken Reserven, die als Zahlungsmittel im Interbankenverkehr dienen. Die anderen, nicht-monetären Finanzinstitute erhalten liquides Bankengeld (Giroguthaben bei einer Bank).
Inzwischen wurde Art. 123 (2) abgeändert, von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Über Offenmarktkäufe von Staatsanleihen besagt der Absatz nichts mehr, stattdessen nur noch, dass öffentliche Banken geldpolitisch gleich wie private Banken zu behandeln sind.
Artikel 123 (2) AEUV
Die Bestimmungen des Absatzes 1 gelten nicht für Kreditinstitute in öffentlichem Eigentum; diese werden von der jeweiligen nationalen Zentralbank und der Europäischen Zentralbank, was die Bereitstellung von Zentralbankgeld betrifft, wie private Kreditinstitute behandelt.
Kurz gesagt: Direkte monetäre Staatsfinanzierung durch die Zentralbank an den Banken vorbei ist verboten, während die indirekte nachträgliche Refinanzierung von Staatsausgaben über Banken und andere Finanzinstitute erlaubt ist. Honi soit qui mal y pense. Im Hinblick auf den Umfang der Staatsschulden ändert ein direkter Ankauf im Vergleich zu einem direkten Ankauf so gut wie nichts. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass dem jeweiligen privilegierten Banken-Konsortium von Erstabnehmern ein prima Geschäft zuteil wurde (bis die EZB Negativzinsen einführte, was andere Zentralbanken klugerweise unterlassen haben). Auch die Sekundärabnehmer profitieren in großem Maß davon, dass der Staat ihnen auf einen hohen und laufend revolvierten Schuldenberg fortlaufend Zinsen zahlt. Das kommt den Staat entsprechend teuer zu stehen – in der gegenwärtigen extremen Niedrigzinszeit zwar weniger, sonst aber in immer größerem Umfang.
Es ist bemerkenswert, dass man mit Einsetzen der Staatsschuldenkrise in 2010 kein Wochenende lang gezögert hat, sich über Art. 125 AEUV (No bail-out) hinwegzusetzen. Dieser Artikel verbietet es der EU und ihren Mitgliedstaaten, für die Verbindlichkeiten anderer Mitgliedstaaten einzustehen. In der Not der Stunde aber hieß es, um Schlimmeres zu verhindern, müsse man den vom Finanzmarkt fallen gelassenen Staaten (und damit den betreffenden Staatsschuldenbesitzern, zu Beginn in hohem Maß noch Banken) 'Solidarität' erweisen. Am Art. 123 (1) AEUV hat man dagegen in jedem noch so kritischen Moment eisern festgehalten. Als die EZB endlich dazu überging, das Richtige zu tun, nämlich so lange Staatsanleihen am offenen Markt aufzukaufen, bis eine Marktberuhigung eintritt, wurde sie dafür nicht etwa gelobt, sondern anhaltend kritisiert, sie würde damit das Verbot der Staatsfinanzierung nach Art. 123 (1) AEUV unterlaufen.
Die Feststellung als solche ist zutreffend. Sie erweist jedoch nicht die Richtigkeit der Kritik, sondern deren Verfehltheit.[1] Der Sekundärankauf von Staatsanleihen durch Zentralbanken ist legal. Er kann unter verschiedenen Aspekten sinnvoll sein. Er wird auch ohne Krise weltweit praktiziert. Was also soll der verordnete Umweg über Banken, wenn er im Ergebnis keinen Unterschied macht, außer dass die privilegierten Konsortialaufkäufer, die Staatsanleihen am Primärmarkt plazieren, zusammen mit den Sekundärhaltern von Staatsschulden ein prima Geschäft machen und dieses den Staat teuer zu stehen kommt? Ja nun, genau das.
Was Regierung und Parlament sich selbst verboten haben, nämlich Geld drucken, das machen heute die Banken für die Regierungen umso bedenkenloser und in umso größerem Umfang. Denn der Staat besitzt aufgrund seines Steuermonopols den größten Cashflow und gilt den Banken deshalb im Normalfall als denkbar bester Schuldner – so lange, bis ein meist unvorhergesehenes krisenhaftes Ereignis zu einer plötzlichen Neubewertung der Überexposition der Banken und anderen Finanzinstitute führt. Sie beginnen jäh, Staatsschulden abzustoßen und neue Anleihen nicht mehr oder nur noch zu sehr hohen Zinsen zu erwerben. Damit lösen sie eine Staatsschuldenkrise aus, meist in Verbindung mit einer Währungskrise und Bankenkrise.
Die staatliche Währungs- und Geldhoheit
Ordnungspolitisch gesehen ist Art. 123 (1) AEUV ein rechtlicher Rammpfosten zur Festigung der Privatisierung von Geldschöpfung und Seigniorage (des Geldschöpfungsgewinns), zwei der drei Komponenten staatlicher Währungs- bzw Geldhoheit. Die dritte – eigentlich erste – Komponente besteht in der Bestimmung der nationalen Währungseinheit (wie Dollar oder Euro). Die Privatisierung der Geldschöpfung ist im heutigen Giralgeldregime schon weit fortgeschritten. Art. 123 (1) AEUV erweist sich hier als ein Akt staatengemeinschaftlicher Approbation der Banking School, wo doch den Staaten im eigenen Interesse ein chartalistischer Standpunkt in der Tradition der Currency School viel näher liegen müsste.[2]
Währungs- und Geldhoheit werden meist nicht auseinander gehalten, weder fachlich noch umgangssprachlich. Jedoch ist eine Unterscheidung geradezu notwendig, und zwar in dem Sinn, dass sich die Währungshoheit auf die nationale monetäre Recheneinheit bezieht, während die Geldhoheit beinhaltet, das in der betreffenden Landeswährung denominierte Geld zu schöpfen und in Umlauf zu bringen. Das ermöglicht eine effektive Kontrolle des Geldbestands und verbindet sich mit einem entsprechenden Geldschöpfungsgewinn (Seigniorage) zugunsten der Staatskasse.
Das gilt für alle gesetzlichen Zahlungsmittel (heute Bargeld und Reserven, und bald auch digitales Zentralbankgeld). Es müsste auch für das gelten, was heute Bankengeld ist, das heißt, Kundenguthaben auf Bankkonten, liquide in Form von Sichtguthaben (Giroguthaben), deaktiviert in Form von Spar- und Termingeldern. Neoklassische Ökonomen und viele Postkeynesianer sehen das allerdings nicht so. Anders als noch ihre klassisch liberalen Vorgänger halten sie private Geldschöpfung zulasten der staatlichen Geldhoheit heute für völlig normal und natürlich, ebenso, dass das private Bankengeld durch seine Dominanz und staatliche Gewährleistung einen privilegierten para-staatlichen Status erhalten hat – eine ordnungspolitisch und gesetzlich unstimmige Sachlage.
Zentralbankgeld ist Basisgeld, also Geld erster Stufe. Bankengeld ist das Geld zweiter Stufe. Inzwischen sind Privatgelder dritter Stufe hinzu gekommen. Dazu gehören Geldmarktfonds-Anteile (MMFs) im Umfang von einem Drittel (EU) bis Doppelten (USA) des Bargelds und liquiden Bankengelds zusammen. MMFs dienen heute vielfach als Zahlungsmittel bei Finanztransaktionen.
E-Gelder haben dagegen noch keine Bedeutung erlangt. Dafür etablieren sich gegenwärtig Stablecoins in wachsendem Ausmaß.
Sollten diese Trends fortbestehen, dürften auch diese neuen Zahlungsmittel bald systemische Relevanz erlangen, wie das Bankengeld in früheren Stadien. Regierungen und Zentralbanken würden dann im Zweifelsfall bzw Krisenfall wohl nicht umhin kommen, zusätzlich zum Bankengeld zweiter Stufe auch den neuen Geldarten dritter Stufe ein privates Geldprivileg ausdrücklich zuzubilligen und den Bestand der betreffenden Gelder staatlich zu gewährleisten. Man muss diese Gegebenheiten als fundamentale Fehlentwicklung werten. Die Währungshoheit ebenso wie die Geldhoheit gehören zu den grundlegenden Prärogativen eines souveränen Staates. Die Privatisierung der Geldschöpfung geschehen zu lassen und gleichwohl als Garantiegeber und letztinstanzlicher Haftungsträger für die private Geldemission zu fungieren, ist keine sonderlich gescheite Positionierung.
Die monetäre Vorherrschaft des Bankensektors und des Bankengelds
Bankengeld ist kein von der Zentralbank herausgegebenes gesetzliches Zahlungsmittel, wird jedoch allgemein wie ein solches benutzt. Heute besteht der Löwenanteil des Geldes aus Bankengeld, nämlich 82–97 Prozent je nach Land und Geldaggregat. Von daher wird auch der Löwenanteil der Geldschöpfungsgewinne (Seigniorage) von den Banken realisiert, und zwar in Form vermiedener Finanzierungskosten – sei es als Extrazinsmarge auf Kredite an Nichtbanken (da die Banken insgesamt nur zum Bruchteil, nicht voll zu refinanzieren brauchen), sei es durch den Erwerb von Wertpapieren oder Immobilien, deren Bezahlung ebenfalls per (nur fraktional refinanziertem) Giralgeld erfolgt. Für die Zentralbank und damit für den Staatshaushalt bleibt nur ein kleiner Teil der Seigniorage, und zwar als Zins auf Zentralbankkredite an Banken sowie aus Erlösen der Devisenbewirtschaftung.
Mit Art. 123 (1) AEUV ist bezüglich der Staatsfinanzierung die gemeinschaftliche Geldhoheit der Euro-Mitgliedstaaten auch formalrechtlich außer Kraft gesetzt wurden zugunsten der de facto schon länger bestehenden faktischen Giralgeldhoheit der Banken. Die EU-Mitgliedstaaten haben dem Artikel jedenfalls zugestimmt und damit praktisch der Preisgabe ihrer monetären Souveränität und ihrer einseitigen finanziellen Abhängigkeit von Banken und dem Anleihemarkt. Die Führungsrolle des Bankensektors bei der Geldschöpfung legt geldsystemisch alles weitere pro-aktiv fest, im besonderen die re-aktive und residuale Bereitstellung von Bargeld und Reserven durch die Zentralbanken bzw die EZB sowie nicht zuletzt verschiedenste Krisenmaßnahmen zur Rettung des Bankengelds bzw systemisch relevanter Banken.
Infolge der Entwicklung des unbaren Zahlungsverkehrs und der Entstehung des Giralgeldregimes ist den Staaten bzw den staatlichen Zentralbanken ihre monetäre Souveränität weitgehend entglitten und an den Bankensektor übergegangen. Inzwischen folgen dem Bankengeld heute weitere private Geldarten dritter Stufe. Kontrolliert wird die Geldschöpfung von den Banken jedoch nur in Bezug auf ihre individuelle Geschäftstätigkeit. Eine Kontrolle der sich ergebenden Geldmenge und ihrer Auswirkungen findet nicht statt. Sie kann es auch nicht, da Banken keine Geldpolitik i.e.S. betreiben können und man dies von ihnen auch nicht erwarten soll.
Anders als es noch immer in den Lehrbüchern steht, kontrolliert die Zentralbank die primäre Kredit- und Giralgeldschöpfung der Banken nicht, weder durch Reservepositionen noch durch Zentralbankzinsen. Es ist vielmehr umgekehrt so, dass die vorauslaufende und Tatsachen schaffende Bilanzerweiterung der Banken den Zentralbanken faktisch keine andere Wahl lässt, als den Bedarf der Banken an Zentralbankgeld zu bedienen.[3] Nicht nur das Volumen an Bankengeld, sondern auch das Volumen an benötigten Reserven und dem Bargeld, das aus dem Bankengeld ausgewechselt wird, wird so vollständig durch den vorauslaufenden Bankengeldkredit vorgegeben.
Auf 100 Einheiten Giralgeld benötigen die Banken im Eurosystem Zentralbankgeld nur zum Bruchteil von etwa 3% – davon 1% Mindestreserven auf Depositen sowie 1,5% Bargeld und 0,1–0,5% Zahlungsreserven (sog. Überschussreserven).[3a] Will die Zentralbank den laufenden Betrieb nicht stören, muss sie die nötige Refinanzierung prompt leisten. Sie kann dafür einen höheren Zins verlangen, was die Zinsmarge der Banken etwas schmälert, auch weil dadurch am Interbankenmarkt die Zinsen steigen. Die Mengennachfrage nach Reserven ist als fait accompli jedoch zins-unelastisch. Selbst wenn es mittelfristig eine Rückkopplung gibt, werden höhere Basiszinsen auf Zentralbankgeld die Banken nicht davon abhalten, ihre Bilanzen weiter auszuweiten (und damit Bankengeld zu erzeugen) solange die erwarteten Gewinne aus Bankengeld-Krediten und -Investments hoch genug bleiben.
Die Privatisierung der staatlichen Geldhoheit ist somit in der Tat weit vorangeschritten. Die staatlichen Zentralbanken fungieren nurmehr als Bank der Banken, während die Rechtslage und die vorherrschende akademische Lehrmeinung es ihnen verbieten, Bank des Staates zu sein. Die Zentralbanken wurden nicht nur zum lender of last resort für die Banken, sondern faktisch zu jederzeitigen General-Refinanziers der Banken. Im Rahmen des bestehenden Giralgeldregimes ist die Zentralbank faktisch nicht mehr issuer of first instance. Zentralbankgeld gibt sie nur noch reaktiv und fraktional nach Maßgabe der monetären Fakten heraus, welche die Banken pro-aktiv schaffen.
Marktversagen versus Staatsversagen – auch geldsystemisch eine vertrackte Kontroverse
Das Verbot jeglicher monetärer Finanzierung von Staatsausgaben durch Zentralbankkredit nach Art. 123(1) wurzelt historisch in der Banking School Doktrin sowie danach auch neoliberaler – besser gesagt ultraliberaler, gedankenlos antistaatlicher – Normativität. Dabei ist Bankenkredit an Nichtbanken auch nichts anderes ist als monetäre Finanzierung, nur eben durch Bankenkredit, der in Form von Bankengeld (Giralgeld) bereit gestellt wird. (Bankenkredit an zentrale Staatskassen wird zwar in Reserven auf Regierungs-Transaktionskonten bei der Zentralbank ausbezahlt. Da die Regierung jedoch sofort wieder ausgibt was sie einnimmt, fließen die betreffenden Reserven sofort wieder in den Bankensektor zurück).
Die inzwischen zum Stereotyp gewordene Meinung lautet, (a) staatliche Kontrolle über das Geld führe zu Misswirtschaft und Inflation, während (b) Bankengeldschöpfung der Nachfrage des Marktes folge, damit am realen Investitionsbedarf orientiert sei und nicht-inflationärem Wachstum diene. Beide Teile dieses Stereotyps halten den Erfahrungen der Praxis und den empirischen Tatsachen in keiner Weise stand.
Die Bankengeldschöpfung diente in den zurückliegenden Jahrzehnten vor allem Nicht-BIP-Finanzen und Immobiliengeschäften. Die darüber hinaus gehende Kreditnachfrage seitens der Realwirtschaft, zumal seitens kleinerer Unternehmen, wird von den Banken nur unzureichend bedient. Staatsausgaben dagegen fließen erst einmal weit überwiegend in die Realwirtschaft, auf dem Konsum-Nachfrageweg ebenso wie durch staatliche Investitionen und angebotsseitige Förderungsmaßnahmen. Damit soll nicht 'dem Staat' in der Gesamtwirtschaft Vorrang vor 'dem Markt' eingeräumt werden, was Unfug wäre. Es geht hier nur darum, den Unfug der Bankinglehre bzw des monetären und finanziellen Ultraliberalismus darzulegen.
Tatsächlich verhält es sich so, dass (a') Episoden staatlicher oder staatlich kontrollierter Geldschöpfung eine durchwachsene, teils respektable, teils schlechte Performance aufweisen. Das gilt freilich ebenso und teils noch ausgeprägter für (b') Zeiten Banken-bestimmter Geldschöpfung. Geradezu regelmäßig münden diese in Inflation, Assetinflation (Blasenbildung), in aufwärts wie abwärts gerichteter Übersteigerung von Konjunktur- und Finanzzyklen und einer entsprechenden Krisenanfälligkeit, wie weiter unten noch erläutert.[4]
Gewiss kann man deshalb im Umkehrschluss nicht Regierungen als beste Währungshüter hinstellen. Die Fälle, in denen durch Regierungen oder auf ihr Betreiben hin im Übermaß Geld gedruckt wurde, sind durchaus zahlreich, gerade auch unter den heutigen Industrieländern. Wo sich ein starker Regierungseinfluss auf die Geldschöpfung mit klientelistischer Politik verbindet, kommt es fast zwangsläufig zu einem monetären und fiskalischen Politikversagen. Wenn es auf das Problem der Fiatgeldschöpfung eine einigermaßen zufriedenstellende Antwort gibt, dann liegt diese in der doppelten Unabhängigkeit der nationalen Geldbehörden (Zentralbanken) sowohl von der Regierung als auch von den Partikularinteressen der Banken und der Finanzwelt darüber hinaus.
Ein spezielles Kapitel für sich sind Inflationen im Zusammenhang mit Krieg und Nachkriegs-Konversionskrisen. Fast jedes größere Kriegsgeschehen geht mit staatlicher Überschuldung einher und die Kapazitäten sind auf Kriegsproduktion ausgerichtet. Daraus ergibt sich nach dem Krieg ein Geldüberhang hinsichtlich der ungedeckten Friedensnachfrage und also Inflation. Dies geschieht bereits auch während eines Krieges, sofern die Preise nicht administriert werden.
Davon ausnehmen muss man Inflationen im Zusammenhang mit Krieg und Nachkriegs-Konversionskrisen. Fast jedes größere Kriegsgeschehen geht mit staatlicher Überschuldung einher und die Kapazitäten sind auf Kriegsproduktion ausgerichtet. Daraus ergibt sich nach dem Krieg ein Geldüberhang hinsichtlich der strukturell ungedeckten Friedensnachfrage und also Inflation. Es ist in diesen Fällen gleichsam egal, ob das Geld für die Finanzierung des Kriegs vom Staat selbst geschöpft wurde oder von den Banken.
Andere Inflationsgeschehnisse werden unzutreffend dargestellt, zum Beispiel der Verfall des Continental Dollar, des staatlichen Geldes zur Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs, oder die Weimarer Hyperinflation. In solchen Fällen wird unterstellt, Inflation und Währungsverfall seien einem verantwortungslosen Geld drucken der Regierung geschuldet. Oft überwiegen jedoch andere Gründe. Zum Beispiel im Fall des Continental Dollar es massive Papiergeldfälschung als Mittel der britischen Kriegführung. Britische Geldfälschung spielte auch beim Wertverfall der Assignaten der französischen Revolution eine Rolle, wobei jedoch das tumultuarische Revolutionsgeschehen selbst sicherlich der maßgeblichere Faktor war, speziell hinsichtlich großer Enteignungen und Störungen der Produktion und des Handels.
Im Fall der Weimarer Hyperinflation war es die Erzwingung überzogener Reparationszahlungen in Gold, Industriegütern, Pfund und Dollar, einhergehend mit Wirtschaftsschwäche und Niedergang der Reichsmark. Das wiederum wurde begleitet von massiver Währungsspekulation gegen die Reichsmark bei deren von den Alliierten erzwungener Duldung und Devisenfinanzierung durch die Zentralbank[5]. Das kam einer Fortsetzung des Krieges mit finanziellen Mitteln gleich – und erwies sich, zusammen mit dem rigiden monetären Tightening der Zentralbanken in der 1929 einsetzenden Wirtschaftsdepression, als ungewollte aber wirksame Förderung des Aufstiegs der Nazis zur Macht.
Monetär-finanzwirtschaftliches Marktversagen im Bankingregime
Die Geldschöpfung des Bankensektors verlief seit bald 350 Jahren letztlich immer überschießend, das heißt prozyklisch weit über das reale Wachstumspotenzial und die finanzielle Tragekapazität der Wirtschaft hinaus, dazwischen immer wieder auch periodisch stockend. Denn im Krisenfall verkehrt sich das Überschießen in ein kontrahierendes und die Krise verschlimmerndes Unterangebot von Geld und Kredit. Heute wird solchen Einbrüchen durch staatliches Deficit spending und Quantitative Easing der Zentralbanken gegengesteuert – ein weiterer Aspekt fragwürdiger kompensatorischer Staatsintervention zugunsten des makroökonomisch fehlfunktionierenden Giralgeldregimes der Banken.
Was das Überschießen angeht, so betrug zum Beispiel in Deutschland im Zeitraum von 1992 bis Einsetzen der Krise 2008 das reale Wirtschaftswachstum 23%, das nominale Wachstum (mit Verbraucherpreisinflation) aber 51%, und der Geldmengenzuwachs von M1 sogar 189%. Das bedeutet, dass nur rund ein Achtel der Geldmengenausweitung per Bilanzerweiterung der Banken in reales Wachstum geflossen ist, aber ebenso viel in Inflation. Der große Rest, ungefähr drei Viertel, befeuerte direkt oder indirekt Finanzmarktblasen (Assetinflation). In anderen Ländern zeigten sich diese Proportionen nicht dermaßen ausgeprägt, aber doch sinngemäß ähnlich.
Monetäre Bankenregime sind instabil, Bankengeld ist unsicher. Infolge der BIP-überproportionalen Erzeugung von Bankengeld entsteht Inflation oder Assetinflation. Die damit verbundene disproportionale Bildung von Finanzaktiva und Schulden bewirkt eine Anteilsverschiebung zugunsten der Finanzeinkommen zulasten der Arbeitseinkommen. Im Ergebnis wird das Giralgeldsystem wiederkehrend von Banken- und Finanzkrisen heimgesucht.[6] Nach einer Studie des IWF haben sich von 1970 bis zum Einsetzen der aktuellen Krise in 2007 weltweit 425 Finanzkrisen ereignet, davon 145 sektorale Bankenkrisen, 208 Währungskrisen und 72 Staatsschuldenkrisen.[7]
Vor diesem Hintergrund ist es reichlich realitätsfern, zu behaupten, Bankenkredit werde von den Märkten optimal begrenzt und fließe in die Finanzierung realwirtschaftlicher Zwecke. Der Anteil, zu dem Banken zur Finanzierung von Firmen sowie privaten und öffentlichen Haushalten beitragen, ist rückläufig, weil die großen und inzwischen auch mittlere Unternehmen sich zunehmend am Kapitalmarkt jenseits der Banken finanzieren. Im Gegenzug ist Bankenkredit in steigendem Maß vor allem in Immobilienkredit geflossen (überwiegend als Nicht-BIP-Finanzanlage, weniger als realwirtschaftliche Bauinvestition), sowie in das Investmentbanking und andere Nicht-BIP-Finanzen.[8]
Die Vertreter von Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken widersprechen dem gerne nachdrücklich, sehen sie sich doch als Finanziers von Klein- und Mittelbetrieben und Privathaushalten. Das ist gut so, aber nicht repräsentativ für das Bankengeschäft und die Kapitalmärkte weltweit. Darüber hinaus fließen die nicht benötigten Überschussreserven der Sparkassen und Volksbanken über ihre Dachzentralen in den allgemeinen Interbanken-Geldmarkt und damit in die vorgenannte Nicht-BIP-Finanzialisierung.
Das vielleicht fundamentalste Banking-Argument lautet nach Hayek, Geldschöpfung durch die Zentralbank sei eine bürokratische Wissensanmaßung. Niemand könne die richtige Geldmenge wissen, allein der Markt. Dass niemand die adäquate Geldmenge im voraus wissen kann, ist sicherlich wahr. Dass aber 'der Markt' das rechte Maß 'weiß' ist die gleiche Art Unfug wie mittelalterliche Gottesurteile oder die Unfehlbarkeit des Papstes. Der Markt weiß überhaupt nichts, er ist eine Interaktionsdynamik unter konkurrierenden Anbietern und Nachfragern, die über Teilwissen verfügen und nach Maßgabe der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel versuchen, ihre Interessen geltend zu machen. Ob, was dabei herauskommt, optimal ist oder ein Marktgleichgewicht darstellt, weiß man nie so recht, eher schon, wenn sich ggf ein eklatanter Nachfrage- oder Angebotsüberhang einstellt.
Dass der Glaube an den Markt sich bezüglich der freien Geldschöpfung nicht erfüllen kann, liegt daran, dass dem modernen Geld ein selbstbegrenzender Marktmechanismus gerade fehlt. Modernes Geld ist reines Zeichengeld (fiat money), das frei 'aus dem Nichts' geschöpft werden kann. Wenn laufend instant money on demand erzeugt wird, kann der Geld- und Kapitalmarkt keine realistischen Marktpreise bzw Zinssätze hervorbringen. Die Nachfrage nach Geld ist ebenso selbstverstärkend wie das Geldangebot der Banken und zuletzt auch der Schattenbanken. Es kommt zu keiner marktlichen Selbstbegrenzung durch negative Rückkopplung, sondern zu einer positiv rückgekoppelten Steigerungsspirale von Geldschöpfung, Kreditausweitung, Preissteigerungen und Verschuldung. Seit um 1980 speiste diese überschießende Expansion nur noch abnehmend realwirtschaftliche Inflation und zunehmend Assetinflation der Nicht-BIP-Finanzen.
Wer wie Banken das Privileg der Schöpfung und Erstverwendung von Geld nach Maßgabe privater und partikularer Interessen hat, wird dieses Privileg fortgesetzt nutzen und sich weismachen, das sei Ausdruck einer 'realen' Nachfrage, die realer Produktivität diene und real erwirtschaftete Einkommen hervorbringe. Die Schwarmintelligenz der Marktteilnehmer regelt in diesem Fall nichts, da die Giralgeldschöpfung prinzipiell unbegrenzt erfolgen kann. Eher schon verfallen die Finanzmarktakteure einer wiederkehrenden Schwarmverblendung. Die Sache korrigiert sich dann wildwüchsig und gemeinwohlschädigend durch Banken-, Finanz- und Währungskrisen auf wandernden Hot Spots rund um den Globus.
Neuer Goldstandard oder fixes Geldmengenwachstum: unsachgemäße Verschlimmbesserungen
Die neo-österreichische Schule folgert aus dem abwechselnden Über- und Unterangebot an Geld und Kredit, es müsse eine Rückkehr zum Goldstandard geben. Der Monetarismus nach M. Friedman wollte aus ähnlichen Gründen ein fixiertes, mechanisch anzuwendendes Wachstum der Geldmenge um jährlich zum Beispiel 3 Prozent.
Eine Gold-gebundene Geldmenge oder ihr mechanisches Wachstum (das im Giralgeldregime überhaupt nicht realisierbar ist) stellen keine geeigneten Problemlösungen dar, vielmehr eine Verschlimmbesserung. Das Geldangebot muss je nach Wirtschaftslage flexibel re-justierbar sein. Eine fixe Geldmenge würde sich in einem Kontext von Wachstums- und Modernisierungsprozessen prinzipiell stagnativ bis deflationär-depressiv auswirken. Das gehörte denn auch zu den Gründen, weshalb Gold- oder Silberstandards im wirklichen Wirtschaftsleben auf Dauer nie gehalten haben. Je nach politisch-ökonomischer Situation hat man das Maß der Edelmetall-Deckung immer wieder abgeändert, oder seine Nichterfüllung 'flexibel' geduldet, oder die Goldbindung zeitweise auch förmlich suspendiert. Wo man sich dem doktrinär verweigerte, folgte Unheil – siehe das monetäre Tightening ab 1929 und die Große Depression danach. Erst staatliches Deficit spending und monetäre Finanzierung von staatlichen Programmen der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung setzten dem Mitte der 1930er Jahre ein Ende.
Es hat seine Richtigkeit, dass modernes Geld frei schöpfbares Fiatgeld ist. Modernes Geld muss von jemandem 'gedruckt' oder als Gutschrift in ein Konto eingetragen oder als digitales Token in Umlauf gegeben werden, sonst wäre es nicht vorhanden. Die Frage ist nur: Wem steht das Recht zu, Geld zu schöpfen und die sich daraus ergebende Seigniorage einzustreichen? Wer hat dies unter Kontrolle und nach welchen Zielvorgaben zu verantworten? Wer haftet in welcher Weise wenn etwas schief läuft?
Die gebotene doppelte Unabhängigkeit der Zentralbanken
Die geschilderte Sachlage im heutigen Giralgeldregime bedeutet für die Geldpolitik der Zentralbanken ein schwieriges Navigieren zwischen Skylla und Charybdis, soll heißen, zwischen einerseits drohendem monetär-finanzwirtschaftlichem Marktversagen aufgrund ungebremster Überschießensdynamik (besonders bzgl der Nicht-BIP-Finanzen), und andererseits drohendem monetär-fiskalischem Politikversagen infolge klientelistischer Politikinteressen. Verhindern können die Zentralbanken letztlich weder das eine noch das andere. Immerhin aber hat man das institutionelle Arrangement erkannt, das hier notwendigen Handlungsspielraum verschafft: die funktionale und gewaltenteilige Unabhängigstellung der Zentralbanken als monetärer Staatsgewalt, in gewisser Weise vergleichbar der Unabhängigkeit der Rechtsprechung.
Die politische Linke sieht darin nur die Kaschierung einer unabhängigen Finanzmarktherrschaft, die sich politischer Einflüsse zu entziehen trachtet. Angesichts der aktuellen Gegebenheiten ist da durchaus etwas dran. Dennoch verkennt eine solche Sichtweise die tatsächliche gegenseitige Abhängigkeit von Markt und Staat, einschließlich eines hohen Maßes an Inter-Dependenz zwischen privaten und öffentlichen Finanzen. Zum Beispiel war das zurückliegende Jahrzehnt des geldpolitischen Quantitative Easing (QE) nicht nur QE für die Finanzwirtschaft, sondern auch QE für die Realwirtschaft, einschließlich der indirekten monetären Finanzierung krisenbedingter Staatsausgaben.
Was ist mit der Unabhängigkeit einer Zentralbank im genaueren gemeint? Gemeint ist zunächst Entscheidungs- und Weisungs-Unabhängigkeit, also die Eigenständigkeit geldpolitischer Entscheidungen, gepaart mit der Unabhängigkeit von Regierungsweisungen. In freiheitlichen Staaten haben die Zentralbanken heute im Prinzip ein hohes Maß an währungs- und geldpolitischer Entscheidungs-Unabhängigkeit zugestanden bekommen. Sie sind ihrem gesetzlichen Auftrag verpflichtet, nicht aber Weisungen der Regierung. Die geldpolitische Weisungs-Ungebundenheit der EZB ist in Art. 130 AEUV niedergelegt.
Häufig werden Parlament, Regierung, Finanzamt, Zentralbank, Finanzaufsichtsbehörden und andere Behörden in einen Topf geworfen, als seien alle Staatsorgane eine monolithische Einheit namens 'Staat' oder 'öffentlicher Sektor', im Amerikanischen auch als 'government' bezeichnet. Darunter fällt fast alles was öffentlichen Rechts ist. Aber eine von Weisungen unabhängige staatliche Zentralbank kann man, so wenig wie die Gerichtsbarkeit, in einen Topf werfen mit Parlament, Regierung und öffentlicher Verwaltung, monetär schon gar nicht, und fiskalisch ebenso wenig.
Zentralbanken sollen auch wieder Bank des Staates sein, aber deswegen darf Geldpolitik nach Maßgabe politisch opportuner Fiskalpolitik keineswegs Richtschnur des Handelns für eine Zentralbank sein. Eine Weisungs-unabhängige Geld- und Währungspolitik staatlicher Zentralbanken beinhaltet gerade den Ausschluss von Interventionen seitens des Finanzministeriums oder anderer Regierungsorgane, in sinngemäßer Analogie zur Unabhängigkeit der Gerichte.
Ebenso kann eine Zentralbank durchaus Bank der Banken bleiben, möglicherweise auch Bank noch weiterer Finanzinstitute, aber die Partikularinteressen der Banken und ihre Geldnachfrage dürfen nicht einseitig Richtschnur monetären Handelns bleiben wie dies heute der Fall ist. Im bestehenden Giralgeldregime sind Zentralbank und Banken systemimmanent miteinander verstrickt, die Zentralbank als Auxiliarorgan der Banken. Hier besteht zwar keine Weisungsgebundenheit, aber funktional eine starke Abhängigkeit der Zentralbanken von den monetären De-facto-Vorgaben der Banken, Schattenbanken und Finanzmärkte.
Aufgrund dessen, sowie auch eines verbreiteten Befangenseins in vorherrschender Bankingdoktrin, kommen die Zentralbanken jeder Refinanzierungs-Nachfrage der Banken geradezu automatisch nach, im Krisenfall noch ausgeprägter als im Normalbetrieb. Die reaktive Verstrickung der Zentralbanken ins Bankengeschäft unterminiert die Entscheidungs-Unabhängigkeit der Zentralbanken fundamental. Das wird neuerdings noch verstärkt durch die Aufgabe der Zentralbanken im Eurosystem, einen Teil der Bankenaufsicht auszuüben – ein Fall von institutionalisierter Interesssenkollision.
Die gebotene geldpolitische Entscheidungsfreiheit einer Zentralbank ist also eine doppelte: Unabhängigkeit von Regierungsweisungen, aber auch funktionale Unabhängigkeit von den problematischen Sachzwängen des Giralgeldregimes. Die reaktive funktionale Abhängigkeit der Zentralbanken von problematischen monetären Tatsachen, welche die Banken und Schattenbanken schaffen, bedarf dringend der Auflösung. Möglich sein wird dies allerdings nur so weit, wie das Geldangebot in wachsendem und perspektivisch überwiegenden Maß wieder aus Zentralbankgeld besteht, aus unbeschränkten gesetzlichen Zahlungsmitteln, sprich Vollgeld, statt aus Bankengeld, MMFs und Stablecoins. Solange aber Bankengeld das Geldsystem dominiert, bleibt das Problem unlösbar.
Zur Geldpolitik
Das hiermit umrissene Rollenverständnis der Zentralbanken als unabhängig gestellten monetären Staatsorganen im Dienst der Allgemeinheit sollte nun nicht dahingehend missverstanden werden, eine Zentralbank solle die Geldmenge planen und vorgeben. Nein. Eine solche präskriptive Geldmengenkontrolle gehörte zu den Fehlern der Goldbindung wie auch des Monetarismus. Geldmengenkontrolle ist im bestehenden Giralgeldregime ohnedies nicht umsetzbar. Das gilt in erheblichem Maß auch für die herkömmliche Zins- und Mengenpolitik.
Solange der Anteil des Zentralbankgeldes an den Gesamtgeldmengen noch schwindet, und mit dem Bargeld im Publikumskreislauf ganz zu verschwinden droht, fehlt es der Zentralbank-Zinspolitik am Mengenhebel für eine effektive Transmission. Soweit aber ein solcher Hebel wieder entstünde – durch eine Wiederausbreitung von Zentralbankgeld als gesetzlichem Zahlungsmittel, voraussichtlich als digitales Zentralbankgeld im allgemeinen Gebrauch (digitaler Euro) – würde Zins- und Mengenpolitik wieder wirksamer.
Wie weit die Zentralbanken ihren Basiszinssatz variieren und/oder sie der Geldmengennachfrage der Märkte nachgeben oder widerstehen, sollten sie dann von einem Kranz von Indikatoren abhängig machen. Gegenwärtig hat sich die EZB auf Preisstabilität versteift, angezielt als 'unter aber nahe 2%' Verbraucherpreisinflation (VPI). Selbst wenn die Zentralbanken der Inflation wirksam steuern könnten, bliebe das ein zu enger Horizont. Stattdessen muss ein breiteres Spektrum von relevanten Variablen systematisch Berücksichtigung finden:
- Verbraucherpreisinflation
- der Außenwert der Währung
- Wirtschaftsentwicklung, Beschäftigung und Konjunktur (wie ansatzweise in Art. 127 (1) AEUV vorgesehen)
- Assetinflation und Blasenbildung
- Entwicklung der Nicht-BIP-Finanzen im Verhältnis zu BIP-Finanzen und der Realwirtschaft
- ggf weitere Aspekte, die sich aus einem Sondergeschehen oder Ausnahmezustand ergeben können.
Nach Einschätzung und Abwägung der teilweise konfliktualen Indikatoren und sonstiger relevanter Aspekte wird man die laufende Geldpolitik straffen oder lockern. Die Geldmenge ergibt sich als Resultante. 'Ausrechnen' lässt sich das nicht. Auch Geldpolitik ist Politik und als solche eine 'Kunst des Möglichen'.
Im früheren ordoliberalen Ansatz einer 'potenzialorientierten' oder 'kapazitätsorientierten' Geldpolitik waren solche Vorstellungen schon ein Stück weit angelegt. Nur funktioniert hat es nicht, weil das Giralgeldregime jegliche Geldpolitik unterminiert, die nicht seinen Interessen dient. Gleichwohl wird die Zentralbank generell zur Verantwortung gezogen.
Die Banken dagegen haften nur im Einzelfall. Wenn eine allgemeine Banken- und Finanzkrise herrscht, haften zwangsläufig Zentralbank, Regierung und Steuerzahler für die Banken. Wenn es aber letztlich doch immer der Staat ist, der das Geld garantiert, dann muss auch eine unabhängige monetäre Staatsinstanz die effektive Kontrolle über die Geldschöpfung ausüben. Anders gesagt, es ist ordnungspolitisch geboten, vom Bankengeld zum Zentralbankgeld, vom Giralgeld zu Vollgeld überzugehen, wenn schon nicht über Nacht, so doch graduell im Lauf der Zeit.
Ermöglichung monetärer Staatsfinanzierung. Abänderung oder Streichung von Art. 123 AEUV
Einfach gesagt folgt aus dem Dargelegten: Die Zentralbank muss weniger Bank der Banken und wieder mehr Bank des Staates sein. Das bedeutet zum einen, die Zentralbanken aus den Sachzwängen des Giralgeldregimes der Banken zu lösen durch einen Wandel in der Zusammensetzung des Geldangebots (mehr Zentralbankgeld, weniger Bankengeld), zum anderen, die Restriktionen der Zentralbanken gegenüber dem Finanzakteur Staat abzubauen.
Indirekte monetäre Finanzierung ist rechtlich ohnehin möglich und sollte als Standardmaßnahme beibehalten werden. Ein Streitpunkt hierbei ist die Frage, einen wie großen Anteil an den ausstehenden Staatsanleihen die Zentralbank soll aufkaufen können, oder ob es einen Feigenblatt-Zeitraum zwischen Emission und Aufkauf geben soll.
Was das Verbot direkter monetärer Beiträge zur Staatsfinanzierung angeht, folgt aus dem Gesagten, Art. 123 (1) AEUV abzuändern oder ganz zu streichen.[9] Eine einfache Abänderung von Art. 123 (1) könnte etwa so lauten:
Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (im Folgenden als "nationale Zentralbanken" bezeichnet) für Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso zulässig wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken.
Eine derartige Abänderung von Art. 123 AEUV bedeutet dreierlei:
- erstens die fortgesetzte Zulässigkeit indirekter monetärer Staatsfinanzierung durch Anleihen-Offenmarktkäufe der Zentralbank,
- zweitens die Möglichkeit auch direkter Absorption von Staatsanleihen durch die Zentralbank, das heißt, an Banken und Anleihefonds vorbei, und
- drittens die Wiedereinführung von Zentralbank-Kassenkredit an das Finanzministerium (Überziehungskredit) zur Überbrückung temporärer Lücken zwischen Ausgaben und Steuereinnahmen.
Ein westliches Land, das mit direkter Staatsfinanzierung von 1935–1971 wohl die meisten und gute Erfahrungen hat, ist Kanada.[10] Auch in jüngerer Zeit absorbiert die Bank von Kanada direkt bis zu 20% der von der Regierung neu emittierten Anleihen.[11] Man hat damit die Konsequenz daraus gezogen, dass modernes Geld aus frei schöpfbarem Zeichengeld bzw Fiatgeld besteht, und es unter dieser Voraussetzung nicht einzusehen ist, dass staatliche Mittelaufnahme dazu da sein müsse, privilegierten Bankenkonsortien und anderen Finanzinvestoren auf Staatskosten exklusiv ein lukratives und zugleich risikoarmes Investment anzubieten.
Zentralbank-Kassenkredit für die Regierung gab es vor Inkrafttreten des EU Lissabonvertrags in etlichen Ländern, sogar bei der monetär ansonsten so zurückhaltenden Bundesbank. Bei Einführung des Euro hatten sich die Briten ausbedungen, ihre ways and means advances beizubehalten.[12] Dieser traditionelle Überziehungskredit wurde infolge der Finanzkrise 2008 und der Covidkrise 2020 von ursprünglich 0,370 Mrd Pfund auf 45 Mrd Pfund aufgestockt.[13]
Solche geldpolitischen Optionen bedeuten nicht, was manche reflexhaft gern hineinlesen, nämlich eine generelle Finanzierung der Staatshaushalte durch die Zentralbank, womöglich noch in beliebigem Umfang. In Anbetracht der heutigen Staatsquoten bei 35–55% ist eine monetäre Finanzierung der Staatsausgaben in großem Umfang schon allein aus Gründen der Preisstabilität ausgeschlossen, von seltenen Ausnahmesituationen abgesehen. Regelmäßig kann es sich immer nur um Teilbeiträge der Zentralbank zur Finanzierung der Staatsausgaben handeln.[14] Gleichwohl geht es hier im Interesse der staatlichen Währungs- und Geldhoheit auch darum, das Generalverbot jeglicher monetärer Staatsfinanzierung grundsätzlich aufzuheben und so die einseitige Abhängigkeit öffentlicher Mittelaufnahme von Banken und Anleihemärkten zu korrigieren.
Digitales Zentralbankgeld, die Möglichkeit seiner Schuldenfreiheit, und unstimmige Buchung und Bilanzierung bei der Geldschöpfung
Ein anderer Aspekt der Wiedererlangung monetärer Souveränität liegt in der anzustrebenden veränderten Zusammensetzung des Geldangebots: ein wachsender Anteil an Zentralbankgeld, mit der Folge geringerer Anteile an Bankengeld und anderen privaten Geldsurrogaten. Im Verlauf der kommenden Jahre wird eine wachsende Zahl von Zentralbanken digitales Zentralbankgeld herausgeben, also digitales Vollgeld in Koexistenz mit, aber auch Konkurrenz zum Bankengeld, etwa einen digitalen Yuan, eine schwedische E-Krona oder einen digitalen Euro. Sobald und soweit dies der Fall ist, kann die EZB ihr Geld statt in Bargeld fürs Publikum und Reserven exklusiv für die Banken dann zusätzlich auch in digitalen Euro ausbezahlen. Die Inumlaufbringung von digitalen Euros kann über die Banken erfolgen im Umtausch gegen Bankengeld gemäß Marktnachfrage, oder bei Anleihekäufen in Bezahlung der Verkäufer, oder als Auszahlung des Zentralbankgewinns an die Regierung.
Ein noch weitergehender Schritt wäre schließlich die Überlassung eines Teils des neu zu schöpfenden Geldes als schuldenfreie originäre Seigniorage an den Staatshaushalt. Heute kann eine schuldenfreie Überlassung nur stattfinden in Form der Überweisung des jährlichen Zentralbankgewinns. Alle anderen Zuweisungen beinhalten weiterhin den Staat als Schuldner, die Zentralbank als Gläubiger. Im Rahmen der bestehenden Buchungs- und Bilanzierungsregeln (GAAP, IFRS) ist etwas anderes nicht möglich.
Nach diesen Regeln muss Geld irgendwo herkommen, auf einem Geschäftsvorgang beruhen. Eine Bank oder Zentralbank kann nicht sich selbst einfach neues Geld als Aktivum in die Bücher schreiben. Sie kann nur paarweise Kredit (Aktivum) und Verbindlichkeit (Passivum) eintragen, den Kredit als Forderung auf Rückzahlung und Verzinsung, die Verbindlichkeit als Verpflichtung zur Auszahlung des Kredits. In Auszahlung eines Kredits müssten Banken und Zentralbanken Aktiva-seitig eigentlich schon vorhandenes Geld in ihrem Besitz an den Kreditnehmer auszahlen und Passiva-seitig ihre Verbindlichkeit gegenüber betreffenden Kreditnehmern verringern. Stattdessen gilt die Erfassung der Verbindlichkeit in der Bankbilanz und als Guthaben-Eintrag in ein betreffendes Kunden-Girokonto bereits als unbare 'Auszahlung' des betreffenden Betrags – und wäre damit eigentlich keine Verbindlichkeit mehr, obwohl sie weiterhin als solche geführt wird...
So ist es mit der Entwicklung des Giralgelds zu der ambivalenten Konstellation gekommen, dass Bank und Kunde einander gleichzeitig Schuldner und Gläubiger sind. Zum Beispiel ist der Bankkredit an einen Kunden zugleich ein Kundenkredit an die betreffende Bank, nämlich ein Anspruch des Kunden auf Auszahlung von Zentralbankgeld, wenn gewünscht. Wenn aber in höherem Maß als üblich realisiert, bricht das Bankensystem auf Basis fraktionaler Reservehaltung zusammen, weil die Banken nicht genug Zentralbankgeld besitzen.
Bei den Zentralbanken war die Situation früher einmal ähnlich, insofern Zentralbankguthaben einen Anspruch der Kontoinhaber auf Auszahlung von Silbergeld und Gold darstellten, wenn gewünscht. Mit dem definitiven Ende jeglichen Goldstandards hat sich das ehemalige Deckungsversprechen der Zentralbanken, ebenso wie schon das der Banken, monetär in 'nichts mehr' aufgelöst.
Auszahlung von Zentralbankgeld in Form von Bargeld wurde immer weniger nachgefragt, während ein unbares Zentralbankgeld für den allgemeinen Publikumsgebrauch bisher nicht vorhanden gewesen ist. So wurde das Geldzeichen, das monetäre Token, der Girokonto-Eintrag, wie Geld benutzt und ist damit faktisch zu Geld geworden.
Gedeckt wird das Giralgeld der Zentralbanken monetär durch keine andere Art von Geld mehr. Das Giralgeld der Banken – bis zum Krisenmodus seit 2008 – ist nur noch durch eine minimale Zentralbank-Reservenbasis gedeckt. Jedoch steht hinter dem Geld die ökonomische Substanz des realen Wirtschaftsprodukts sowie, vielleicht, haftende Finanzvermögen von unsicherem Wert, und: die Macht des Staates, für den Bestand der Währung und des Geldes einzustehen. In Bezug auf das Geld der Zentralbank eines Staats ist dies offensichtlich und selbstverständlich. Warum aber Banken und andere Finanzinstitute das Privileg haben sollen, unter derselben Flagge zu segeln, und das obendrein in systemischer Dominanz, ist nicht nachvollziehbar.
Man mag sich nun fragen, ob die Buchungs- und Bilanzierungsregeln in puncto Geldschöpfung unstimmig sind, oder ob die bestehende Praxis nicht regelgerecht und unstimmig ist, aber nicht als Regelverletzung und Unstimmigkeit identifiziert wird.[15] Denn würde man das so gesehen, könnten weder Banken noch Zentralbanken Geld schöpfen – und die scheinbare Identität von Kredit und Geld würde sich in die Luft auflösen aus der sie hergeholt wurde.
Eine Vollgeld-gerechte Lösung des Problems liegt in einer Trennung der Geldschöpfung vom operativen Geschäft bzw der Bilanz einer Zentralbank. Die Geldschöpfung würde in einem gesonderten 'Buch' vor sich gehen, einem geldschöpfenden Währungsregister. Von diesem kann ein Teil des Geldes als originäre Seigniorage schuldenfrei an die Staatskasse fließen, während der andere Teil dem operativen Zentralbankgeschäft als kündbares Darlehen überlassen wird. Geldpolitisch können die Geldschöpfung des Währungsregisters und die Refinanzierungs- und Offenmarktpolitik der Zentralbank vom selben Führungsorgan beschlossen werden. Im Eurosystem wäre das der EZB-Rat.
Den Plan der Trennung von Geldschöpfung und Banking fasste Ricardo für die Notenausgabe der Bank von England schon vor 200 Jahren. Die von ihm konzipierte Trennung des note issue department vom banking department besteht bei der Bank von England bis heute fort. Nur hat das keine Relevanz mehr, und eigentlich nie wirklich gehabt, weil das Notenmonopol nur partiell und langsam umgesetzt wurde und sich schon in den 1880–90er Jahren das Bankengeld anschickte, dem Zentralbankgeld den Rang abzulaufen.
Weitgehende Neutralisierung der Staatschulden
Selbst wenn Art. 123 AEUV überwunden und die Zentralbank wieder mehr Bank des Staates wird, sie digitales Vollgeld allgemein in Umlauf bringt, und sie dies sogar schuldenfrei tun würde, bleiben offene Fragen, nicht zuletzt, wie die bisher aufgebauten hohen Staatsschulden abgebaut werden können, ohne sich infolge einer ökonomisch und sozial selbstschädigenden Sparpolitik zu ruinieren. Austerität, die kontraproduktive öffentliche Haushaltsüberschüsse beinhaltet, muss heute keine Option mehr sein.
Allerdings, wenn die Schulden so wie bisher bestehen bleiben, und noch mehr oder weniger weiter wachsen, hängt ein langfristig wieder ansteigendes Zinsniveau wie ein Damoklesschwert über den Staatsfinanzen. Historisch führten vergleichbare Überschuldungslagen oft genug zur Zerrüttung der Staatsfinanzen und einer sog. Währungsreform mit harten Kapital- und Schuldenschnitten. Als Alternative blieb die Kombination von Inflation und einem nominalen Wirtschaftswachstum, das über dem Zinsanstieg und Schuldenwachstum liegt. Im schlechteren Fall bleibt es bei Stagflation.
Sofern historisch ein verträglicher Abbau großer Schuldenberge gelang, so bestand der Ansatz grundsätzlich in einer zeitlichen Streckung der Schulden über Jahrzehnte oder gar ein Jahrhundert hinweg, gepaart mit der sich erfüllenden Hoffnung auf ein gewisses Maß an Inflation und Wachstum, so geschehen zum Beispiel im 19. Jhd beim Abbau der britischen Staatsschulden aus den Napoleonischen Kriegen, oder nach dem Zweiten Weltkrieg beim Londoner Schuldenabkommen 1953 zur Regelung der deutschen Auslandschulden.
In letzter Zeit wurde häufiger die Forderung erhoben, in Anbetracht des heute frei schöpfbaren Fiatgeldes und der daraus folgenden Tatsache, dass eine Zentralbank in eigener Währung niemals illiquide zu sein braucht, solle die Zentralbank einfach die Staatsschulden aufkaufen und diese der Regierung dann erlassen.[16] Das wäre freilich zu schön um wahr zu sein. Es ist einer Zentralbank nur begrenzt möglich, Staatsschulden in ihrem Besitz zu erlassen, nämlich nach Maßgabe ihres Eigenkapitals und laufender Gewinne, ansonsten jedoch nicht. Denn eine Zentralbank kann Aktiva-seitig zwar ihre Forderungen gegen die Regierung abschreiben, nicht aber Passiva-seitig eine gleiche Menge an Verbindlichkeiten, sprich Reserven, denn diese sind das unbare Zentralbankgeld im Besitz von Banken und Staatskassen.
Die Option die momentan bleibt, besteht in der bewährten Perspektive, die Schulden auf die lange Bank zu schieben. Unter den heutigen Bedingungen kann man das in der Tat leichter als unter den früheren Bedingungen einer wie auch immer gearteten Edelmetallbindung, oder ihrem doktrinären Nachklang einer vermeintlich notwendigen Geldknappheit, wo es eine solche realiter nicht mehr gibt, jedenfalls nicht zu geben braucht.
Die Staatsschulden auf die lange Bank schieben kann dadurch geschehen, dass die Zentralbank in großem Umfang Staatsschulden aufkauft, sie diese bei Fälligkeit jedoch nicht 'abschreibt' (was nicht geht), sondern sie in zinslose unbefristete Anleihen umwandelt (im Finanzsprech zero-coupon perpetual consols, oder kurz perpetuals). Damit werden die Staatsanleihen in der Zentralbankbilanz langfristig konsolidiert, und damit für lange Zeit neutralisiert. Durch eine solche langfristige Schuldenneutralisierung gewinnt man Handlungsspielraum und bewahrt die nicht unbegründete Hoffnung auf wieder bessere Zeiten, oder auch nur Hoffnung auf eine deutliche Verringerung des Problems durch ein gewisses Maß an Inflation und nominales Wirtschaftswachstum.
Sofern die Zentralbank einen Teil des jährlichen Zentralbankgewinns darauf verwendet, Staatsschulden in ihrem Besitz zu erlassen, oder die Regierung, Schulden in entsprechendem Umfang zu tilgen, bedeutet dies tatsächlich einen regulären langfristigen Schuldenabbau, freilich auf Kosten des verfügbar bleibenden Zentralbankgewinns. Sowohl A. Turner als auch J. Stiglitz haben eine solche Kombination aus Schuldenneutralisierung und Erlass/Tilgung in kleineren Tranchen vor Jahren schon der japanischen Zentralbank empfohlen.
Das würde außerdem dadurch begünstigt, dass mit der Einführung und Verbreitung von digitalem Zentralbankgeld eine erhöhte Seigniorage entsteht, die ihrerseits dem Staatshaushalt und auch dem Schuldenmanagement sehr zugute kommen sollte.
* * *
Die hier besprochenen Möglichkeiten, durch monetäre Finanzierung und Vollgeld-Seigniorage zu den Staatsausgaben und einem optimalen Staatsschulden-Management beizutragen, schließen eine Plazierung von Staatsanleihen durch Bankenkonsortien in bisheriger Weise nicht aus. Jedoch wird die Zentralbank auch wieder Bank des Staates sein können, nicht nur einseitig Bank der Banken. Sie wird wieder issuer of first instance sein können, und wo sie lender of last resort sein muss, wird sie dies ebenfalls nicht nur für die Banken, sondern ebenso für den Staat sein können. Zumal in Krisen- und Notsituationen ist das unabdingbar.
Nur ein starker souveräner Staat kann Recht und Freiheit garantieren. Das gilt auch für die Rechte und Freiheiten einer offenen unternehmerischen Marktwirtschaft. Ein Staat aber, der sich fiskalisch in einem Übermaß an Schuldenabhängigkeiten verliert und seine monetären Souveränitätsrechte den Partikularinteressen von Banken und anderen Finanzinstituten überlässt, ist zur Schwäche und zu Fehlleistungen verurteilt.
Anmerkungen
[1] Mensching 2014.
[2] Zu Currencylehre versus Bankinglehre vgl. https://vollgeld.page/currency-versus-banking.
[3] Bindseil 2004, Werner 2007, Keen 2011, Häring 2013, Huber 2014.
[3a] Infolge der Krisenpolitik des lockeren Geldes (Quantitative Easing) verfügen die Banken heute über sehr viel mehr Reserven als sie operativ brauchen. Die meisten dieser Mittel sind ihnen durch Zentralbankkäufe von Staatsanleihen ungefragt zugeflossen – und durch den Negativzins, den die EZB darauf unklugerweise erhebt, zu einem Problem statt zu einer Bilanzstütze der Banken geworden.
[4] Vgl. Benes/Kumhof 2012, Schularick/Taylor 2009, Minsky 1982, Kindleberger 2000, Ferguson 2008, Reinhart/Rogoff 2009.
[5] Zarlenga 1999, Kap. 14–21.
[6] Vgl. Huber 2013 67–100.
[7] Laeven/Valencia 2008, Reinhart/Rogoff 2009.
[8] European Central Bank, Monthly Bulletins, Tab. 2.3.3–4.
[9] Zum Thema der monetären Staatsfinanzierung siehe auch die Beiträge auf vollgeld.de/monetaere-staatsfinanzierung.
[10] Ryan-Collins 2015.
[11] Becklumb/Frigon 2015.
[12] Papadopoullos 2020.
[13] Financial Times 9 April 2020: Bank of England to directly finance UK government's extra spending. Move allows ministers to spend more in short term to combar coronavirus without tapping gilts market.
[14] Eine These der modern money theory behauptet, die Regierung schöpfe durch Anleihen das Geld, das durch Steuerzahlungen an sie zurückfließe, wodurch dieses Geld aus dem Verkehr gezogen werde, was wiederum Inflation vermeide. Ein seltenes Stück surrealer Ökonomik. Heute schöpft die Regierung überhaupt kein Geld mehr (außer residual den irrelevant gewordenen Bestand an Münzen). Es sind immer noch die Zentralbank und die Banken, die das Geld schaffen, das von der Regierung verwendet wird, je nachdem, ob öffentliche Einrichtungen Transaktionskonten bei der Zentralbank oder Girokonten bei Banken benutzen. In den USA könnte das US Treasury gemäß Verfassung Staatsgeld herausgeben, tut es aber schon lange nicht mehr. Es sind also ausschließlich Banken, Zentralbank und Schattenbanken, die Geld erzeugen. Steuerzahlungen an die Staatskasse löschen das Geld nicht inflationsneutral, sondern halten es nachfrage- und preiswirksam in Umlauf. Der Löwenanteil der heutigen Staatshaushalte wird wie schon immer durch Steuern, Abgaben und Gebühren finanziert, der Rest durch Schuldenaufnahme bei Banken und anderen institutionellen Anlegern. Die von Zentralbanken gehaltenen Staatsanleihen stellen immer noch einen relativ, oder auch absolut kleinen Anteil an den gesamten Staatsschulden dar.
[15] Siehe auch Köhler 2015, Schemmann 2015.
[16] Cf. Hudson 2018, Goodhart/Hudson 2018.
Literatur
Benes, Jaromir / Kumhof, Michael 2012: The Chicago Plan Revisited, IMF Working Paper, WP/12/202.
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Huber, Joseph 2013: Monetäre Modernisierung, 3. überarb. Aufl., Marburg: Metropolis.
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Laeven, Luc/Valencia, Fabian 2008: Systemic Banking Crises. A New Database, IMF Working Paper, WP 08/224, Washington.
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Werner, Richard 2007: Neue Wirtschaftspolitik für Europa, München: Vahlen.
Zarlenga, Stephen 1999: Der Mythos vom Geld – die Geschichte der Macht, Zürich: Conzett Verlag.
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Inhalt
Das seltsame dem Staat auferlegte Verbot, seine monetären Hoheitsrechte auszuüben
Die staatliche Währungs- und Geldhoheit
Die monetäre Vorherrschaft des Bankensektors und des Bankengelds
Marktversagen versus Staatsversagen – auch geldsystemisch eine vertrackte Kontroverse
Monetär-finanzwirtschaftliches Marktversagen im Bankingregime
Neuer Goldstandard oder fixes Geldmengenwachstum: unsachgemäße Verschlimmbesserungen
Die gebotene doppelte Unabhängigkeit der Zentralbanken
Ermöglichung monetärer Staatsfinanzierung. Abänderung oder Streichung von Art. 123 AEUV
Weitgehende Neutralisierung der Staatschulden
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