Das Verbot der monetären Staatsfinanzierung durch die Zentralbank nach Artikel 123 AEUV.
Die Zentralbanken zwischen staatlicher Geldhoheit und Geldsystem-Dominanz der Banken

Foto ipg-journal

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Das seltsame dem Staat auferlegte Verbot, seine monetären Hoheitsrechte auszuüben

Im Verlauf der Euro-Staatsschuldenkrise sind sind etliche Strukturmängel des europäischen Geld- und Finanzwesens zutage getreten. Bezüglich des Themas der Staats­­finan­zier­­ung sind hier speziell drei Sachverhalte zu nennen.

Erstens wurde der Öffentlichkeit bewusst, dass die Zentral­banken schon lange nicht mehr Bank des Staates sind, obwohl sie vor 100–300 Jahren zu diesem Zweck ge­grün­det wurden. Die Zentralbanken tun so als seien sie nur noch Bank der Banken und weisen anderes von sich. Wenn ein EU-Staat heute in Zahlungs­­schwierig­­keiten kommt, fehlt ihm ein lender of last resort.

Zweitens kam die Europäische Zentralbank (EZB) in einem fortgeschrittenen Stadium der Krise dann doch nicht umhin, a) wertbedrohte Staatsanleihen in großem Umfang am offenen Markt aufzukaufen, um so den Markt bzw die Zinsen für Staatsanleihen zu stabili­sieren und es den betreffenden Regierungen zu ermöglichen, sich weiter bei Ban­ken und anderen Anlegern zu verschulden. Durch diese und andere Maßnahmen b) flutete die EZB die Banken mit Zentral­bank­geld (Reserven) weit über deren eigent­lichen Liqui­di­täts­bedarf hinaus, mit der erklärten Absicht, die Banken möchten das Geld doch bitte dafür verwenden, mehr Kredit aus­zu­stellen sowie Staats­anleihen auch schwächerer Länder zu kaufen, um so eine Insolvenz dieser Länder abzuwenden – und natürlich auch, um die in Staats­anlei­hen gehaltenen Geld­vermögen zu retten, wobei man wiederum wissen sollte, dass der Löwen­anteil von Staats­anleihen sich im Besitz von Banken, Fonds und Versicherungen befindet.

Drittens und nicht zuletzt hat man mit dem Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM) eine Art von Ersatz-lender-of-last-resort für Staaten geschaffen. Diese Funktion wurde, meist für Entwicklungs- und Schwellenländer, bisher vom Inter­natio­na­len Währungs­­fonds (IWF) ausgeübt. Im Fall der Euro-Währungs­union kooperieren IWF und ESM miteinander, indirekt sekundiert von der EZB. Das erleichtert es unter anderem, den Schuldnerländern eine harte und real­­­ökono­­misch kontra­­produk­tive Austeri­täts­politik aufzuerlegen und die Gläubiger so weit wie möglich zu schonen – obwohl die Gläubiger, in einer Kombination aus Staats- und Marktversagen, an der Staats­schulden­­krise ebenso viel Schuld tragen wie die betreffenden Regierungen selbst.

Der Art. 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), auch als Lissabon-Vertrag oder 'EU-Verfassung' bekannt, spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Absatz 1 verbietet direkten Zentralbankkredit an den Staat in jeglicher Weise. Sogar der früher gebräuchliche Kassenkredit, das heißt Überbrückungskredit bei Lücken zwischen Steuer­ein­nahmen und Ausgaben, wurde mit Einführung des Euro verboten.

Art. 123 (1) AEUV
Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (im Folgenden als "nationale Zentralbanken" bezeichnet) für Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken.

Im Gegensatz dazu war und ist der Sekundär­ankauf von Staats­anleihen durch Zentral­banken am offenen Markt gängige Praxis. Nach einer bisherigen Version von Art. 123 (2) war diese Praxis aus­drück­lich gestattet. Eine Begrenzung von Anleihe-Offen­markt­käufen gab es nach Art. 123 (2) nicht, wobei es sich faktisch stets um einen eher geringen Anteil an allen Staats­anleihen gehandelt hat. Mit dem Ankauf von Staats­anleihen aus dem Besitz von Banken und anderen Finanz­insti­tuten ver­schaf­fen die Zentral­banken den Banken Reserven, die als Zahlungs­mittel im Inter­banken­verkehr dienen. Die anderen, nicht-monetären Finanz­institute erhalten liquides Banken­geld (Giro­gut­haben bei einer Bank). 

Inzwischen wurde Art. 123 (2) abgeändert, von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Über Offenmarktkäufe von Staatsanleihen besagt der Absatz nichts mehr, statt­des­sen nur noch, dass öffentliche Banken geldpolitisch gleich wie private Banken zu behan­deln sind.

Artikel 123 (2) AEUV
Die Bestimmungen des Absatzes 1 gelten nicht für Kreditinstitute in öffentlichem Eigentum; diese werden von der jeweiligen nationalen Zentralbank und der Europäischen Zentralbank, was die Bereitstellung von Zentralbankgeld betrifft, wie private Kreditinstitute behandelt.

Kurz gesagt: Direkte monetäre Staatsfinanzierung durch die Zentralbank an den Banken vorbei ist verboten, während die indirekte nachträgliche Refinanzierung von Staatsausgaben über Banken und andere Finanzinstitute erlaubt ist. Honi soit qui mal y pense. Im Hinblick auf den Umfang der Staatsschulden ändert ein direkter Ankauf im Ver­gleich zu einem direkten Ankauf so gut wie nichts. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass dem jeweil­igen privi­le­gierten Banken-Konsortium von Erst­­abneh­mern ein prima Geschäft zuteil wurde (bis die EZB Negativ­zinsen einführte, was andere Zentral­banken kluger­weise unterlassen haben). Auch die Sekundär­abneh­mer pro­fi­tie­ren in großem Maß davon, dass der Staat ihnen auf einen hohen und laufend revol­vierten Schulden­berg fort­laufend Zinsen zahlt. Das kommt den Staat ent­sprech­end teuer zu stehen – in der gegen­wärtigen extremen Niedrig­zins­zeit zwar weniger, sonst aber in immer größerem Umfang.

Es ist bemerkenswert, dass man mit Einsetzen der Staatsschuldenkrise in 2010 kein Wochenende lang gezögert hat, sich über Art. 125 AEUV (No bail-out) hinwegzusetzen. Dieser Artikel verbietet es der EU und ihren Mitgliedstaaten, für die Verbindlichkeiten anderer Mitgliedstaaten einzustehen. In der Not der Stunde aber hieß es, um Schlimmeres zu verhindern, müsse man den vom Finanzmarkt fallen gelassenen Staaten (und damit den betreffenden Staatsschuldenbesitzern, zu Beginn in hohem Maß noch Banken) 'Solidarität' erweisen. Am Art. 123 (1) AEUV hat man dagegen in jedem noch so kritischen Moment eisern festgehalten. Als die EZB endlich dazu überging, das Richtige zu tun, nämlich so lange Staatsanleihen am offenen Markt aufzukaufen, bis eine Marktberuhigung eintritt, wurde sie dafür nicht etwa gelobt, sondern anhaltend kritisiert, sie würde damit das Verbot der Staatsfinanzierung nach Art. 123 (1) AEUV unterlaufen.

Die Feststellung als solche ist zutreffend. Sie erweist jedoch nicht die Richtigkeit der Kritik, sondern deren Verfehltheit.[1] Der Sekundärankauf von Staatsanleihen durch Zentralbanken ist legal. Er kann unter verschiedenen Aspekten sinnvoll sein. Er wird auch ohne Krise weltweit praktiziert. Was also soll der verordnete Umweg über Banken, wenn er im Ergebnis keinen Unterschied macht, außer dass die privilegierten Konsortialaufkäufer, die Staatsanleihen am Primärmarkt plazieren, zusammen mit den Sekundärhaltern von Staatsschulden ein prima Geschäft machen und dieses den Staat teuer zu stehen kommt? Ja nun, genau das.

Was Regierung und Parlament sich selbst verboten haben, nämlich Geld drucken, das machen heute die Banken für die Regierungen umso bedenkenloser und in umso größerem Umfang. Denn der Staat besitzt aufgrund seines Steuer­mono­pols den größten Cashflow und gilt den Banken deshalb im Normalfall als denkbar bester Schuldner – so lange, bis ein meist unvorhergesehenes krisenhaftes Ereignis zu einer plötzlichen Neubewertung der Über­expo­si­tion der Banken und anderen Finanzinstitute führt. Sie beginnen jäh, Staatsschulden abzustoßen und neue Anleihen nicht mehr oder nur noch zu sehr hohen Zinsen zu erwerben. Damit lösen sie eine Staatsschuldenkrise aus, meist in Verbindung mit einer Währungskrise und Bankenkrise.

Die staatliche Währungs- und Geldhoheit

Ordnungspolitisch gesehen ist Art. 123 (1) AEUV ein recht­licher Rammpfosten zur Festigung der Privati­sierung von Geldschöpfung und Seigniorage (des Geld­schöpfungs­gewinns), zwei der drei Komponenten staatlicher Währungs- bzw Geldhoheit. Die dritte – eigentlich erste – Komponente besteht in der Bestimmung der nationalen Währungseinheit (wie Dollar oder Euro). Die Privatisierung der Geldschöpfung ist im heutigen Giralgeldregime schon weit fort­ge­schrit­ten. Art. 123 (1) AEUV erweist sich hier als ein Akt staaten­­­gemein­­­schaft­­licher Appro­­ba­­tion der Banking School, wo doch den Staaten im eigenen Interesse ein charta­­lis­ti­scher Stand­punkt in der Tradition der Currency School viel näher liegen müsste.[2]

Währungs- und Geldhoheit werden meist nicht aus­ein­ander gehalten, weder fachlich noch umgangssprachlich. Jedoch ist eine Unterscheidung geradezu notwendig, und zwar in dem Sinn, dass sich die Währungshoheit auf die nationale monetäre Rechen­einheit bezieht, während die Geldhoheit beinhaltet, das in der betref­fen­den Landes­währung denominierte Geld zu schöpfen und in Umlauf zu bringen. Das ermöglicht eine effektive Kontrolle des Geldbestands und verbindet sich mit einem ent­sprech­en­den Geld­schöpfungs­gewinn (Seigniorage) zugunsten der Staats­kasse.

Das gilt für alle gesetzlichen Zahlungsmittel (heute Bargeld und Reser­ven, und bald auch digitales Zentral­bank­geld). Es müsste auch für das gelten, was heute Bankengeld ist, das heißt, Kundenguthaben auf Bankkonten, liquide in Form von Sichtguthaben (Giroguthaben), deaktiviert in Form von Spar- und Termingeldern. Neoklassische Ökonomen und viele Post­­keynesi­a­ner sehen das allerdings nicht so. Anders als noch ihre klassisch liberalen Vorgänger halten sie private Geld­­schöpf­ung zulasten der staat­lichen Geld­hoheit heute für völlig normal und natürlich, ebenso, dass das private  Banken­­­geld durch seine Dominanz und staatliche Gewähr­leistung einen privi­le­gierten para-staat­lichen Status erhalten hat – eine ordnungs­­politisch und gesetz­lich unstimmige Sachlage.

Zentralbankgeld ist Basisgeld, also Geld erster Stufe. Bankengeld ist das Geld zweiter Stufe. Inzwischen sind Privatgelder dritter Stufe hinzu gekommen. Dazu gehören Geldmarktfonds-Anteile (MMFs) im Umfang von einem Drittel (EU) bis Doppelten (USA) des Bargelds und liquiden Bankengelds zusammen. MMFs dienen heute vielfach als Zahlungsmittel bei Finanztransaktionen.
E-Gelder haben dagegen noch keine Bedeu­tung erlangt. Dafür etablieren sich gegen­wärtig Stable­coins in wachsendem Ausmaß. 

Sollten diese Trends fortbestehen, dürften auch diese neuen Zahlungs­mittel bald syste­mische Relevanz erlangen, wie das Banken­geld in früheren Stadien. Regier­un­­gen und Zentral­banken würden dann im Zweifels­fall bzw Krisen­fall wohl nicht umhin kommen, zusätzlich zum Banken­­geld zweiter Stufe auch den neuen Geld­­arten dritter Stufe ein privates Geld­­privileg ausdrück­­lich zuzu­­billigen und den Bestand der betref­fenden Gelder staatlich zu gewähr­­leisten. Man muss diese Gegeben­­heiten als funda­men­tale Fehl­ent­wicklung werten. Die Währungs­­hoheit ebenso wie die Geld­hoheit gehören zu den grund­legenden Präro­ga­tiven eines souve­ränen Staates. Die Privati­sierung der Geld­schöpfung geschehen zu lassen und gleichwohl als Garantie­geber und letzt­instanz­licher Haftungs­träger für die private Geld­emission zu fungieren, ist keine sonderlich gescheite Posi­tio­nierung.

Die monetäre Vorherrschaft des Bankensektors und des Bankengelds 

Bankengeld ist kein von der Zentralbank heraus­gege­benes gesetz­liches Zahlungs­­mittel, wird jedoch allge­mein wie ein solches benutzt. Heute besteht der Löwen­anteil des Geldes aus Banken­geld, nämlich 82–97 Prozent je nach Land und Geld­aggre­gat. Von daher wird auch der Löwen­anteil der Geld­schöpf­ungs­gewinne (Seigniorage) von den Banken realisiert, und zwar in Form vermie­dener Finan­zier­ungs­­kosten – sei es als Extra­zins­­marge auf Kredite an Nichtbanken (da die Banken insgesamt nur zum Bruch­teil, nicht voll zu refinan­­­zie­ren brauchen), sei es durch den Erwerb von Wert­papieren oder Immo­­bi­lien, deren Bezahlung eben­falls per (nur fraktional refinan­ziertem) Giral­geld erfolgt. Für die Zentral­bank und damit für den Staats­haus­halt bleibt nur ein kleiner Teil der Seig­­nio­­rage, und zwar als Zins auf Zentral­bank­kredite an Banken sowie aus Erlösen der Devisen­­bewirt­schaftung.

Mit Art. 123 (1) AEUV ist bezüglich der Staats­finan­zie­rung die gemeinschaftliche Geldhoheit der Euro-Mitgliedstaaten auch formalrechtlich außer Kraft gesetzt wurden zugunsten der de facto schon länger beste­hen­den faktischen Giral­geld­hoheit der Banken. Die EU-Mitgliedstaaten haben dem Artikel jeden­falls zuge­stimmt und damit praktisch der Preisgabe ihrer monetären Souve­rä­nität und ihrer einseitigen finanziellen Abhängigkeit von Banken und dem Anleihemarkt. Die Führungsrolle des Bankensektors bei der Geldschöpfung legt geldsystemisch alles weitere pro-aktiv fest, im besonderen die re-aktive und resi­duale Bereit­­stellung von Bar­geld und Reser­ven durch die Zentral­banken bzw die EZB sowie nicht zuletzt ver­schie­denste  Krisen­maß­nahmen zur Rettung des Banken­gelds bzw systemisch relevanter Banken.

Infolge der Ent­wick­lung des unbaren Zahlungsverkehrs und der Entstehung des Giral­geld­regimes ist den Staaten bzw den staatlichen Zentralbanken ihre monetäre Souve­ränität weitgehend entglitten und an den Bankensektor übergegangen. Inzwischen folgen dem Bankengeld heute weitere private Geldarten dritter Stufe. Kontrolliert wird die Geld­schöpf­ung von den Banken jedoch nur in Bezug auf ihre individuelle Geschäftstätigkeit. Eine Kontrolle der sich ergebenden Geldmenge und ihrer Auswirkungen findet nicht statt. Sie kann es auch nicht, da Banken keine Geldpolitik i.e.S. betreiben können und man dies von ihnen auch nicht erwarten soll.

Anders als es noch immer in den Lehrbüchern steht, kontrolliert die Zentralbank die primäre Kredit- und Giralgeldschöpfung der Banken nicht, weder durch Reserve­­posi­­tio­nen noch durch Zentralbankzinsen. Es ist vielmehr umgekehrt so, dass die voraus­laufen­de und Tatsachen schaffende Bilanz­­erwei­te­r­ung der Banken den Zentral­banken faktisch keine andere Wahl lässt, als den Bedarf der Banken an Zentral­bank­geld zu bedienen.[3] Nicht nur das Volumen an Bankengeld, sondern auch das Volumen an benötigten Reser­ven und dem Bargeld, das aus dem Bankengeld ausgewechselt wird,  wird so vollständig durch den vor­aus­laufen­den Banken­­geld­­kredit vorgegeben.

Auf 100 Einheiten Giralgeld benötigen die Banken im Eurosystem Zentralbankgeld nur zum Bruchteil von etwa 3% – davon 1% Mindestreserven auf Depositen sowie 1,5% Bargeld und 0,1–0,5% Zahlungsreserven (sog. Über­schuss­reser­ven).[3a] Will die Zentral­bank den laufenden Betrieb nicht stören, muss sie die nötige Refinan­zie­rung prompt leisten. Sie kann dafür einen höheren Zins verlangen, was die Zins­marge der Banken etwas schmälert, auch weil dadurch am Inter­­banken­­markt die Zinsen steigen. Die Mengen­nach­frage nach Reserven ist als fait accompli jedoch zins-unelastisch. Selbst wenn es mittelfristig eine Rückkopplung gibt, werden höhere Basiszinsen auf Zentral­bankgeld die Banken nicht davon abhalten, ihre Bilanzen weiter auszuweiten (und damit Bankengeld zu erzeugen) solange die erwarteten Gewinne aus Bankengeld-Krediten und -Investments hoch genug bleiben.

Die Privatisierung der staatlichen Geldhoheit ist somit in der Tat weit voran­ge­schritten. Die staatlichen Zentralbanken fungieren nurmehr als Bank der Banken, während die Rechts­lage und die vor­­herr­sch­ende aka­de­mische Lehr­­­mein­ung es ihnen ver­bieten, Bank des Staates zu sein. Die Zentral­­banken wurden nicht nur zum lender of last resort für die Banken, sondern faktisch zu jederzeitigen General-Refinanziers der Banken. Im Rahmen des beste­­hen­­den Giral­­geld­­regimes ist die Zentral­bank faktisch nicht mehr issuer of first instance. Zentralbankgeld gibt sie nur noch reaktiv und frak­tio­nal nach Maßgabe der monetären Fakten heraus, welche die Banken pro-aktiv schaffen.

Marktversagen versus Staatsversagen  – auch geldsystemisch eine vertrackte Kontroverse   

Das Verbot jeglicher monetärer Finanzierung von Staats­aus­gaben durch Zentral­bank­kredit nach Art. 123(1) wurzelt historisch in der Banking School Doktrin sowie danach auch neoliberaler – besser gesagt ultraliberaler, gedankenlos antistaatlicher – Normativität. Dabei ist Bankenkredit an Nichtbanken auch nichts anderes ist als monetäre Finanzierung, nur eben durch Bankenkredit, der in Form von Bankengeld (Giralgeld) bereit gestellt wird. (Bankenkredit an zentrale Staatskassen wird zwar in Reserven auf Regierungs-Transaktionskonten bei der Zentralbank ausbezahlt. Da die Regierung jedoch sofort wieder ausgibt was sie einnimmt, fließen die betreffenden Reserven sofort wieder in den Bankensektor zurück).     

Die inzwischen zum Stereotyp gewordene Mein­ung lautet, (a) staatliche Kontrolle über das Geld führe zu Miss­wirt­schaft und Inflation, während (b) Banken­geld­schöpfung der Nach­frage des Marktes folge, damit am realen Investi­tions­bedarf orientiert sei und nicht-inflatio­närem Wachstum diene. Beide Teile dieses Stereo­typs halten den Erfahr­un­gen der Praxis und den empirischen Tat­sachen in keiner Weise stand.

Die Bankengeldschöpfung diente in den zurückliegenden Jahrzehnten vor allem Nicht-BIP-Finanzen und Immobiliengeschäften. Die darüber hinaus gehende Kreditnachfrage seitens der Realwirtschaft, zumal seitens kleinerer Unternehmen, wird von den Banken nur unzureichend bedient. Staatsausgaben dagegen fließen erst einmal weit über­wiegend in die Realwirtschaft, auf dem Konsum-Nachfrageweg ebenso wie durch staatliche Investitionen und angebotsseitige Förderungsmaßnahmen. Damit soll nicht 'dem Staat' in der Gesamtwirtschaft Vorrang vor 'dem Markt' eingeräumt werden, was Unfug wäre. Es geht hier nur darum, den Unfug der Bankinglehre bzw des monetären und finanziellen Ultraliberalismus darzu­legen.     

Tatsächlich verhält es sich so, dass (a') Episoden staatlicher oder staatlich kontrollierter Geldschöpfung eine durch­wachsene, teils respektable, teils schlechte Performance aufweisen. Das gilt freilich ebenso und teils noch aus­ge­­präg­ter für (b') Zeiten Banken-bestimmter Geld­schöpfung. Geradezu regelmäßig münden diese in Inflation, Asset­inflation (Blasen­bildung), in aufwärts wie abwärts gerichteter Über­steige­rung von Konjunktur- und Finanz­zyklen und einer entsprechenden Krisenanfälligkeit, wie weiter unten noch erläutert.[4]

Gewiss kann man deshalb im Umkehrschluss nicht Regierungen als beste Währungs­hüter hinstellen. Die Fälle, in denen durch Regier­ungen oder auf ihr Betreiben hin im Übermaß Geld gedruckt wurde, sind durchaus zahlreich, gerade auch unter den heu­tigen Industrie­ländern. Wo sich ein starker Regierungs­einfluss auf die Geld­schöpfung mit kliente­lis­tischer Politik verbindet, kommt es fast zwangs­läufig zu einem monetären und fiska­lischen Politikversagen. Wenn es auf das Problem der Fiatgeldschöpfung eine einigermaßen zufriedenstellende Antwort gibt, dann liegt diese in der doppelten Unabhängigkeit der nationalen Geldbehörden (Zentralbanken) sowohl von der Regierung als auch von den Partikularinteressen der Banken und der Finanzwelt darüber hinaus.    

Ein spezielles Kapitel für sich sind Inflationen im Zusam­men­hang mit Krieg und Nach­kriegs-Konver­­sions­­krisen. Fast jedes größere Kriegs­gesche­hen geht mit staat­licher Über­schul­d­ung einher und die Kapazi­täten sind auf Kriegs­produk­tion ausge­richtet. Daraus ergibt sich nach dem Krieg ein Geld­über­hang hin­sicht­lich der ungedeckten Friedens­­­nach­frage und also Inflation. Dies geschieht bereits auch während eines Krieges, sofern die Preise nicht administriert werden.

Davon ausnehmen muss man Inflationen im Zusam­men­hang mit Krieg und Nachkriegs-Konver­sions­krisen. Fast jedes größere Kriegsgeschehen geht mit staat­licher Über­schuld­ung einher und die Kapazi­täten sind auf Kriegs­produk­tion ausge­richtet. Daraus ergibt sich nach dem Krieg ein Geldüberhang hin­sicht­lich der strukturell ungedeckten Friedensnachfrage und also Inflation. Es ist in diesen Fällen gleichsam egal, ob das Geld für die Finanzierung des Kriegs vom Staat selbst geschöpft wurde oder von den Banken.

Andere Inflationsgeschehnisse werden unzu­tref­fend dar­ge­stellt, zum Beispiel der Ver­fall des Conti­nen­tal Dollar, des staat­lichen Geldes zur Zeit des ameri­ka­nischen Unab­hän­gig­­keits­­kriegs, oder die Weimarer Hyper­infla­tion. In solchen Fällen wird unterstellt, Inflation und Währungs­­verfall seien einem verant­­wort­ungs­­losen Geld drucken der Regierung geschuldet. Oft überwiegen jedoch andere Gründe. Zum Beispiel im Fall des Conti­nen­tal Dollar es massive Papier­­geld­­­fälsch­­ung als Mittel der britischen Krieg­­führung. Britische Geldfälschung spielte auch beim Wertverfall der Assignaten der franzö­sischen Revolution eine Rolle, wobei jedoch das tumul­tua­rische Revo­lu­tions­geschehen selbst sicherlich der maß­­geb­lichere Faktor war, speziell hin­sicht­lich großer Enteig­nungen und Störun­gen der Produktion und des Handels.

Im Fall der Weimarer Hyper­infla­tion war es die Erzwin­gung über­zogener Repa­­ra­­tions­­zahl­ungen in Gold, Industrie­gütern, Pfund und Dollar, einher­gehend mit Wirt­schafts­schwäche und Nieder­gang der Reichsmark. Das wiederum wurde begleitet von mas­si­ver Währungs­­speku­­lation gegen die Reichsmark bei deren von den Alli­ierten erzwungener Duldung und Devisen­­­finan­zierung durch die Zentral­bank[5]. Das kam einer Fort­setzung des Krieges mit finan­ziellen Mitteln gleich – und erwies sich, zusammen mit dem rigiden monetären Tightening der Zentral­banken in der 1929 einsetz­enden Wirt­­­­schafts­­­depres­­sion, als ungewollte aber wirksame Förde­rung des Aufstiegs der Nazis zur Macht.

Monetär-finanzwirtschaftliches Marktversagen im Bankingregime

Die Geld­schöpf­ung des Bankensektors verlief seit bald 350 Jahren letztlich immer über­schießend, das heißt prozyklisch weit über das reale Wachstums­potenzial und die finanzielle Tragekapazität der Wirt­schaft hinaus, dazwischen immer wieder auch perio­disch stockend. Denn im Krisenfall verkehrt sich das Überschießen in ein kontra­hier­endes und die Krise ­­ver­­schlim­­merndes Unterangebot von Geld und Kredit. Heute wird solchen Einbrüchen durch staatliches Deficit spending und Quan­ti­tative Easing der Zentral­­banken gegen­ge­steuert – ein weiterer Aspekt frag­würdiger kompen­sa­to­rischer Staats­inter­vention zugunsten des makro­öko­nomisch fehl­funk­tio­nier­enden Giral­geld­regimes der Banken.

Was das Überschießen angeht, so betrug zum Beispiel in Deutschland im Zeitraum von 1992 bis Einsetzen der Krise 2008 das reale Wirtschaftswachstum 23%, das nominale Wachstum (mit Verbraucherpreisinflation) aber 51%, und der Geld­mengen­zuwachs von M1 sogar 189%. Das bedeutet, dass nur rund ein Achtel der Geld­mengen­aus­weitung per Bilanz­erweiterung der Banken in reales Wachstum geflossen ist, aber ebenso viel in Inflation. Der große Rest, ungefähr drei Viertel, befeuerte direkt oder indirekt Finanz­markt­blasen (Assetinflation). In anderen Ländern zeigten sich diese Pro­por­tio­nen nicht dermaßen ausge­prägt, aber doch sinngemäß ähnlich.

Monetäre Bankenregime sind instabil, Bankengeld ist unsicher. Infolge der BIP-über­pro­­­por­­tio­­nalen Erzeugung von Bankengeld entsteht Inflation oder Assetinflation. Die damit verbundene disproportionale Bildung von Finanzaktiva und Schulden bewirkt eine Anteils­­ver­­schieb­­ung zugunsten der Finanz­ein­kommen zulasten der Arbeits­ein­kommen. Im Ergeb­nis wird das Giralgeldsystem wiederkehrend von Banken- und Finanzkrisen heim­ge­sucht.[6] Nach einer Studie des IWF haben sich von 1970 bis zum Einsetzen der aktuellen Krise in 2007 weltweit 425 Finanz­krisen ereignet, davon 145 sektorale Bankenkrisen, 208 Währungs­krisen und 72 Staats­schuldenkrisen.[7]

Vor diesem Hintergrund ist es reichlich realitätsfern, zu behaupten, Bankenkredit werde von den Märkten optimal begrenzt und fließe in die Finanzierung real­wirt­schaft­lich­er Zwecke. Der Anteil, zu dem Banken zur Finan­zier­ung von Firmen sowie privaten und öffentlichen Haushalten beitragen, ist rückläufig, weil die großen und inzwischen auch mittlere Unternehmen sich zunehmend am Kapital­markt jenseits der Banken finan­zieren. Im Gegenzug ist Banken­kredit in steigen­dem Maß vor allem in Immo­bi­lien­kredit geflossen (überwiegend als Nicht-BIP-Finanz­anlage, weniger als real­wirt­schaft­liche Bauinvestition), sowie in das Invest­ment­banking und andere Nicht-BIP-Finanzen.[8]

Die Vertreter von Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken widersprechen dem gerne  nachdrücklich, sehen sie sich doch als Finanziers von Klein- und Mittel­­betrieben und Privat­haus­halten. Das ist gut so, aber nicht repräsentativ für das Banken­geschäft und die Kapital­märkte weltweit. Darüber hinaus fließen die nicht benö­tigten Überschuss­reserven der Spar­kassen und Volks­banken über ihre Dach­­zen­tralen in den allgemeinen Interbanken-Geldmarkt und damit in die vorgenannte Nicht-BIP-Finanzialisierung.

Das vielleicht fundamentalste Banking-Argument lautet nach Hayek, Geld­schöpf­ung durch die Zentral­bank sei eine büro­kra­tische Wissens­­anmaßung. Niemand könne die richtige Geldmenge wissen, allein der Markt. Dass niemand die adäquate Geld­menge im voraus wissen kann, ist sicherlich wahr. Dass aber 'der Markt' das rechte Maß 'weiß' ist die gleiche Art Unfug wie mittel­alter­liche Gottes­urteile oder die Unfehl­bar­keit des Papstes. Der Markt weiß  überhaupt nichts, er ist eine Inter­aktions­­dynamik unter konkurrierenden Anbietern und Nachfragern, die über Teilwissen ver­fügen und nach Maßgabe der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel versuchen, ihre Interessen gel­tend zu machen. Ob, was dabei herauskommt, optimal ist oder ein Markt­­gleich­gewicht darstellt, weiß man nie so recht, eher schon, wenn sich ggf ein eklatanter Nachfrage- oder Angebots­überhang einstellt.   

Dass der Glaube an den Markt sich bezüglich der freien Geld­schöpfung nicht erfüllen kann, liegt daran, dass dem modernen Geld ein selbst­begren­zen­der Markt­­mecha­­nis­mus gerade fehlt. Modernes Geld ist reines Zeichen­geld (fiat money), das frei 'aus dem Nichts' geschöpft werden kann. Wenn laufend instant money on demand erzeugt wird, kann der Geld- und Kapital­­markt keine realistischen Markt­preise bzw Zinssätze hervor­brin­gen. Die Nachfrage nach Geld ist ebenso selbst­­­­ver­­­­stärkend wie das Geld­­angebot der Banken und zuletzt auch der Schatten­banken. Es kommt zu keiner marktlichen Selbstbegrenzung durch negative Rück­kopp­lung, sondern zu einer positiv rück­­ge­kop­pelten Steige­rungs­­spirale von Geld­­schöpfung, Kredit­­aus­­weitung, Preis­­steige­rungen und Ver­schul­­dung. Seit um 1980 speiste diese überschießende Expansion nur noch abnehmend real­­wirt­­schaft­­liche Inflation und zunehmend Asset­inflation der Nicht-BIP-Finanzen.

Wer wie Banken das Privileg der Schöpfung und Erstverwendung von Geld nach Maßgabe privater und partikularer Interessen hat, wird dieses Privileg fortgesetzt nutzen und sich weis­machen, das sei Ausdruck einer 'realen' Nachfrage, die realer Produktivität diene und real erwirt­schaftete Einkommen her­vor­bringe. Die Schwarm­intel­li­genz der Marktteilnehmer regelt in diesem Fall nichts, da die Giral­­geld­­schöpfung prinzi­piell unbegrenzt erfolgen kann. Eher schon verfallen die Finanz­­markt­akteure einer wieder­­kehr­enden Schwarm­ver­blen­dung. Die Sache korrigiert sich dann wild­wüchsig und gemein­­wohl­­schädi­­gend durch Banken-, Finanz- und Währungs­krisen auf wandernden Hot Spots rund um den Globus. 

Neuer Goldstandard oder fixes Geldmengenwachstum: unsachgemäße Verschlimm­besserungen

Die neo-österreichische Schule folgert aus dem abwechselnden Über- und Unter­ange­bot an Geld und Kredit, es müsse eine Rück­kehr zum Gold­standard geben. Der Mone­ta­ris­mus nach M. Friedman wollte aus ähnlichen Gründen ein fixiertes, mechanisch anzu­wen­den­des Wachstum der Geld­menge um jährlich zum Beispiel 3 Prozent.

Eine Gold-gebundene Geldmenge oder ihr mechanisches Wachstum (das im Giral­geld­regime überhaupt nicht realisierbar ist) stellen keine geeigneten Problemlösungen dar, vielmehr eine Verschlimmbesserung. Das Geld­angebot muss je nach Wirtschafts­lage flexibel re-justierbar sein. Eine fixe Geldmenge würde sich in einem Kontext von Wachstums- und Modernisierungsprozessen prinzi­piell stagnativ bis defla­tio­när-depres­siv auswirken. Das gehörte denn auch zu den Gründen, weshalb Gold- oder Silber­standards im wirklichen Wirt­schafts­leben auf Dauer nie gehalten haben. Je nach politisch-ökonomischer Situation hat man das Maß der Edelmetall-Deckung immer wieder abgeändert, oder seine Nicht­erfüllung 'flexibel' geduldet, oder die Gold­bin­dung zeitweise auch förmlich suspen­diert. Wo man sich dem doktrinär verweigerte, folgte Unheil – siehe das monetäre Tightening ab 1929 und die Große Depression danach. Erst staatliches Deficit spending und monetäre Finanzierung von staat­lichen Program­men der Wirtschafts- und Beschäfti­­gungsförderung setzten dem Mitte der 1930er Jahre ein Ende.

Es hat seine Richtigkeit, dass modernes Geld frei schöpfbares Fiatgeld ist. Modernes Geld muss von jemandem 'gedruckt' oder als Gutschrift in ein Konto eingetragen oder als digitales Token in Umlauf gegeben werden, sonst wäre es nicht vorhanden. Die Frage ist nur: Wem steht das Recht zu, Geld zu schöpfen und die sich daraus ergebende Seignio­rage einzustreichen? Wer hat dies unter Kontrolle und nach welchen Zielvorgaben zu verantworten? Wer haftet in welcher Weise wenn etwas schief läuft?

Die gebotene doppelte Unabhängigkeit der Zentralbanken

Die geschilderte Sachlage im heutigen Giralgeldregime bedeutet für die Geldpolitik der Zentralbanken ein schwieriges Navi­gie­ren zwischen Skylla und Charybdis, soll heißen, zwischen einerseits drohendem monetär-finanz­wirt­schaft­lichem Markt­ver­sagen auf­grund unge­bremster Über­schießens­dynamik (besonders bzgl der Nicht-BIP-Finanzen), und anderer­seits drohendem monetär-fiska­li­schem Politik­­ver­sagen infolge kliente­lis­ti­scher Politik­inte­ressen. Verhin­dern können die Zentral­banken letztlich weder das eine noch das andere. Immerhin aber hat man das institu­tio­nelle Arrange­­ment erkannt, das hier notwendigen Hand­lungs­­spiel­raum verschafft: die funktionale und gewaltenteilige Unab­hängig­stellung der Zentral­banken als monetärer Staatsgewalt, in gewisser Weise vergleichbar der Unab­hängig­keit der Rechtsprechung.

Die politische Linke sieht darin nur die Kaschierung einer unabhängigen Finanz­markt­­herrschaft, die sich politischer Einflüsse zu entziehen trachtet. Angesichts der aktuellen Gegebenheiten ist da durchaus etwas dran. Dennoch verkennt eine solche Sichtweise die tatsächliche gegen­seitige Abhängigkeit von Markt und Staat, einschließlich eines hohen Maßes an Inter-Dependenz zwischen privaten und öffentlichen Finanzen. Zum Beispiel war das zurück­liegende Jahrzehnt des geldpolitischen Quantitative Easing (QE) nicht nur QE für die Finanzwirtschaft, sondern auch QE für die Realwirtschaft, ein­schließ­lich der indirekten monetären Finanzierung krisenbedingter Staatsausgaben.

Was ist mit der Unabhängigkeit einer Zentralbank im genaueren gemeint? Gemeint ist zunächst Entscheidungs- und Weisungs-Unabhängigkeit, also die Eigenständigkeit geldpolitischer Entscheidungen, gepaart mit der Unab­hän­gig­keit von Regierungs­weisungen. In freiheitlichen Staaten haben die Zentralbanken heute im Prinzip ein hohes Maß an währungs- und geldpolitischer Entscheidungs-Unab­hän­gig­keit zugestanden bekom­men. Sie sind ihrem gesetzlichen Auftrag verpflichtet, nicht aber Weisungen der Regierung. Die geldpolitische Weisungs-Ungebundenheit der EZB ist in Art. 130 AEUV niedergelegt.

Häufig werden Parla­ment, Regierung, Finanz­­­amt, Zentral­­­bank, Finanzaufsichts­­­behör­den und andere Behörden in einen Topf geworfen, als seien alle Staats­organe eine mono­lithische Einheit namens 'Staat' oder 'öffent­licher Sektor', im Ameri­­ka­ni­schen auch als 'govern­ment' bezeichnet. Darunter fällt fast alles was öffent­lichen Rechts ist. Aber eine von Weisungen unab­hän­gige staat­liche Zentral­bank kann man, so wenig wie die Gerichtsbarkeit, in einen Topf werfen mit Parlament, Regierung und öffent­licher Verwaltung, monetär schon gar nicht, und fiskalisch ebenso wenig.

Zentralbanken sollen auch wieder Bank des Staates sein, aber deswegen darf Geld­politik nach Maßgabe politisch opportuner Fiskalpolitik keines­wegs Richt­schnur des Handelns für eine Zentralbank sein. Eine Weisungs-unab­hän­gige Geld- und Währungs­politik staatlicher Zentralbanken beinhaltet gerade den Ausschluss von Inter­ven­tionen seitens des Finanz­mini­steriums oder anderer Regierungsorgane, in sinn­ge­mäßer Analogie zur Unab­hängig­keit der Gerichte.

Ebenso kann eine Zentralbank durch­aus Bank der Banken bleiben, möglicherweise auch Bank noch weiterer Finanzinstitute, aber die Parti­ku­lar­interessen der Banken und ihre Geld­nach­frage dürfen nicht einseitig Richt­­schnur monetären Handelns bleiben wie dies heute der Fall ist. Im bestehenden Giral­geld­regime sind Zentral­bank und Banken system­imma­nent mit­ein­ander verstrickt, die Zentral­­­bank als Auxiliar­­organ der Banken. Hier besteht zwar keine Weisungs­­gebun­den­heit, aber funktional eine starke Abhän­gig­keit der Zentral­banken von den monetären De-facto-Vorgaben der Banken, Schatten­banken und Finanz­märkte.

Aufgrund dessen, sowie auch eines verbreiteten Befangenseins in vor­herr­schen­der Bankingdoktrin, kommen die Zentralbanken jeder Refinan­zie­rungs­-Nachfrage der Banken geradezu automatisch nach, im Krisenfall noch ausge­prägter als im Normal­betrieb. Die reaktive Ver­strick­ung der Zentralbanken ins Banken­geschäft unterminiert die Entscheidungs-Unab­hängig­­keit der Zentral­banken funda­mental. Das wird neuer­dings noch verstärkt durch die Aufgabe der Zentral­banken im Eurosystem, einen Teil der Bankenaufsicht auszuüben – ein Fall von insti­tu­tio­nali­sierter Interesssenkollision.

Die gebotene geldpolitische Entscheidungsfreiheit einer Zentral­bank ist also eine doppelte: Unab­hän­gig­keit von Regierungs­weisungen, aber auch funk­tionale Unab­­hän­gig­keit von den proble­ma­tischen Sach­zwängen des Giral­geld­regimes. Die reaktive funktio­nale Abhän­gig­keit der Zentral­banken von problematischen monetären Tatsachen, welche die Banken und Schattenbanken schaffen, bedarf dringend der Auflösung. Möglich sein wird dies allerdings nur so weit, wie das Geldangebot in wachsen­dem  und perspektivisch über­wiegen­den Maß wieder aus Zentralbankgeld besteht, aus unbe­schränk­ten gesetzlichen Zahlungs­mitteln, sprich Vollgeld, statt aus Bankengeld, MMFs und Stablecoins. Solange aber Bankengeld das Geldsystem dominiert, bleibt das Problem unlösbar.   

Zur Geldpolitik

Das hiermit umrissene Rollenverständnis der Zentral­banken als unab­hängig gestellten monetären Staats­organen im Dienst der Allge­mein­heit sollte nun nicht dahingehend missverstanden werden, eine Zentralbank solle die Geld­menge planen und vorgeben. Nein. Eine solche prä­skrip­tive Geld­­­­mengen­­­­kon­­trolle gehörte zu den Fehlern der Gold­­bin­dung wie auch des Mone­­­ta­­­ris­mus. Geld­­mengen­­kon­­trolle ist im beste­hen­den Giral­geld­­regime ohnedies nicht umsetz­bar. Das gilt in erheb­lichem Maß auch für die her­­kömm­­­liche Zins- und Mengen­­­politik.

Solange der Anteil des Zentral­bank­geldes an den Gesamt­geld­mengen noch schwindet, und mit dem Bargeld im Publikumskreislauf ganz zu verschwinden droht, fehlt es der Zentral­bank-Zins­politik am Mengen­hebel für eine effektive Transmission. Soweit aber ein solcher Hebel wieder entstünde – durch eine Wiederausbreitung von Zentral­bank­geld als gesetzlichem Zahlungsmittel, vor­­aus­­sicht­­lich als digitales Zentralbankgeld im allge­mei­nen Gebrauch (digitaler Euro) – würde Zins- und Mengenpolitik wieder wirksamer.

Wie weit die Zentralbanken ihren Basiszinssatz variieren und/oder sie der Geld­mengen­­­­nach­­­frage der Märkte nach­geben oder wider­stehen, sollten sie dann von einem Kranz von Indika­toren abhängig machen. Gegenwärtig hat sich die EZB auf Preis­stabili­tät versteift, angezielt als 'unter aber nahe 2%' Ver­braucher­­preis­­infla­­tion (VPI). Selbst wenn die Zentral­­banken der Inflation wirksam steuern könnten, bliebe das ein zu enger Horizont. Stattdessen muss ein breiteres Spektrum von relevanten Variablen systematisch Berücksichtigung finden:
- Verbraucherpreisinflation
- der Außenwert der Währung
- Wirtschaftsentwicklung, Beschäftigung und Konjunktur (wie ansatzweise in Art. 127 (1) AEUV vorgesehen)
- Asset­inflation und Blasenbildung
- Entwick­lung der Nicht-BIP-Finanzen im Verhältnis zu BIP-Finanzen und der Realwirtschaft
- ggf weitere Aspekte, die sich aus einem Sondergeschehen oder Ausnahmezustand erge­ben können.  

Nach Einschätzung und Abwägung der teilweise konfliktualen Indikatoren und sonstiger relevanter Aspekte wird man die laufende Geldpolitik straffen oder lockern. Die Geldmenge ergibt sich als Resultante. 'Ausrechnen' lässt sich das nicht. Auch Geldpolitik ist Politik und als solche eine 'Kunst des Möglichen'.

Im früheren ordo­liberalen Ansatz einer 'poten­zial­orien­tierten' oder 'kapazi­täts­orien­tierten' Geld­politik waren solche Vorstellungen schon ein Stück weit angelegt. Nur funktioniert hat es nicht, weil das Giralgeldregime jegliche Geld­­politik unterminiert, die nicht seinen Interessen dient. Gleichwohl wird die Zentral­­bank generell zur Verant­­­wortung gezogen.

Die Banken dagegen haften nur im Einzel­fall. Wenn eine allgemeine Banken- und Finanz­krise herrscht, haften zwangsläufig Zentralbank, Regier­ung und Steuer­zahler für die Banken. Wenn es aber letztlich doch immer der Staat ist, der das Geld garantiert, dann muss auch eine unabhängige monetäre Staats­instanz die effektive Kontrolle über die Geldschöpfung ausüben. Anders gesagt, es ist ordnungspolitisch geboten, vom Bankengeld zum Zentralbankgeld, vom Giralgeld zu Vollgeld überzu­gehen, wenn schon nicht über Nacht, so doch graduell im Lauf der Zeit.

Ermöglichung monetärer Staatsfinanzierung. Abänderung oder Streichung von Art. 123 AEUV

Einfach gesagt folgt aus dem Dargelegten: Die Zentral­bank muss weniger Bank der Banken und wieder mehr Bank des Staates sein. Das bedeutet zum einen, die Zentral­banken aus den Sach­zwän­gen des Giral­geld­regimes der Banken zu lösen durch einen Wandel in der Zusam­men­setzung des Geld­ange­bots (mehr Zentral­bank­geld, weniger Banken­geld), zum anderen, die Restrik­tio­nen der Zentral­banken gegen­über dem Finanz­akteur Staat abzubauen.     

Indirekte monetäre Finanzierung ist rechtlich ohnehin möglich und sollte als Standard­maß­nahme bei­be­halten werden. Ein Streitpunkt hierbei ist die Frage, einen wie großen Anteil an den ausstehenden Staatsanleihen die Zentralbank soll aufkaufen können, oder ob es einen Feigenblatt-Zeitraum zwischen Emission und Aufkauf geben soll.

Was das Verbot direkter monetärer Beiträge zur Staats­finan­zier­ung angeht, folgt aus dem Gesagten, Art. 123 (1) AEUV abzu­ändern oder ganz zu streichen.[9] Eine einfache Abänderung von Art. 123 (1) könnte etwa so lauten:

Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (im Folgenden als "nationale Zentralbanken" bezeichnet) für Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso zulässig wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken.

Eine derartige Abänderung von Art. 123 AEUV bedeutet dreierlei:
- erstens die fortgesetzte Zulässigkeit indirekter monetärer Staats­finan­zierung durch Anleihen-Offen­marktkäufe der Zentralbank,
- zweitens die Möglich­keit auch direkter Absorption von Staatsanleihen durch die Zentralbank, das heißt, an Banken und Anleihefonds vorbei, und
- drittens die Wiedereinführung von Zentralbank-Kassen­kredit an das Finanz­minis­te­rium (Über­ziehungs­kredit) zur Über­brückung tempo­rärer Lücken zwischen Aus­gaben und Steuereinnahmen.

Ein westliches Land, das mit direkter Staats­finan­zie­rung von 1935–1971 wohl die meisten und gute Erfahrun­gen hat, ist Kanada.[10] Auch in jüngerer Zeit absorbiert die Bank von Kanada direkt bis zu 20% der von der Regierung neu emit­tier­ten Anleihen.[11] Man hat damit die Kon­se­quenz daraus gezogen, dass modernes Geld aus frei schöpf­barem Zeichengeld bzw Fiat­geld besteht, und es unter dieser Vor­aus­setz­ung nicht ein­zu­sehen ist, dass staat­liche Mittel­auf­nahme dazu da sein müsse, privi­le­gierten Banken­kon­sor­tien und anderen Finanzinvestoren auf Staats­kosten exklusiv ein lukratives und zugleich risiko­armes Invest­ment anzu­bieten. 

Zentral­bank-Kassen­kredit für die Regierung gab es vor Inkrafttreten des EU Lissa­bon­vertrags in etlichen Ländern, sogar bei der monetär ansonsten so zurück­­halten­­den Bundes­­­­­bank. Bei Ein­füh­rung des Euro hatten sich die Briten ausbe­dungen, ihre ways and means advances beizubehalten.[12] Dieser traditionelle Überziehungskredit wurde infolge der Finanzkrise 2008 und der Covidkrise 2020 von ursprünglich 0,370 Mrd Pfund auf 45 Mrd Pfund aufgestockt.[13]

Solche geldpolitischen Optionen bedeuten nicht, was manche reflexhaft gern hinein­lesen, nämlich eine generelle Finanzierung der Staatshaushalte durch die Zen­tral­­bank, womöglich noch in beliebigem Umfang. In Anbetracht der heutigen Staats­quoten bei 35–55% ist eine monetäre Finanzierung der Staatsausgaben in großem Umfang schon allein aus Gründen der Preis­sta­bilität ausgeschlossen, von seltenen Aus­nahme­situa­tio­nen abgesehen. Regelmäßig kann es sich immer nur um Teilbeiträge der Zentral­bank zur Finan­zie­rung der Staats­­aus­gaben handeln.[14] Gleichwohl geht es hier im Interesse der staatlichen Währungs- und Geldhoheit auch darum, das Gene­ral­verbot jeglicher mone­tärer Staats­­finan­­zier­­ung grund­sätzlich aufzu­heben und so die einseitige Abhän­gig­keit öffent­licher Mittel­auf­nahme von Banken und Anleihe­­märkten zu korrigieren.

Digitales Zentralbankgeld, die Mög­lich­keit seiner Schulden­frei­heit, und un­stim­mige Buchung und Bilan­zier­ung bei der Geld­schöpfung

Ein anderer Aspekt der Wiedererlangung monetärer Souveränität liegt in der anzu­stre­ben­den veränderten Zusam­men­setzung des Geld­ange­bots: ein wachsender Anteil an Zentral­bank­geld, mit der Folge geringerer Anteile an Banken­geld und anderen privaten Geld­­surro­gaten. Im Verlauf der kommenden Jahre wird eine wachsende Zahl von Zen­tral­banken digi­ta­les Zentral­bank­geld herausgeben, also digitales Vollgeld in Koexistenz mit, aber auch Konkurrenz zum Bankengeld, etwa einen digitalen Yuan, eine schwe­di­sche E-Krona oder einen digitalen Euro. Sobald und soweit dies der Fall ist, kann die EZB ihr Geld statt in Bargeld fürs Publikum und Reserven exklusiv für die Banken dann zusätz­lich auch in digi­talen Euro ausbezahlen. Die Inumlaufbringung von digitalen Euros kann über die Banken erfolgen im Umtausch gegen Bankengeld gemäß Markt­nach­frage, oder bei Anleihe­­käufen in Bezahl­ung der Ver­käufer, oder als Aus­zahl­ung des Zentral­­bank­­gewinns an die Regierung.

Ein noch weitergehender Schritt wäre schließlich die Über­­lassung eines Teils des neu zu schöpfenden Geldes als schulden­­freie originäre Seigniorage an den Staats­haus­halt. Heute kann eine schuldenfreie Überlassung nur stattfinden in Form der Über­weisung des jährlichen Zentral­bank­gewinns. Alle anderen Zuweis­un­gen beinhalten weiterhin den Staat als Schuldner, die Zentralbank als Gläubiger. Im Rahmen der bestehenden Buchungs- und Bilan­zier­ungs­regeln (GAAP, IFRS) ist etwas anderes nicht möglich.

Nach diesen Regeln muss Geld irgendwo herkommen, auf einem Geschäftsvorgang beruhen. Eine Bank oder Zentralbank kann nicht sich selbst einfach neues Geld als Aktivum in die Bücher schreiben. Sie kann nur paarweise Kredit (Aktivum) und Verbindlichkeit (Passivum) eintragen, den Kredit als Forderung auf Rückzahlung und Verzinsung, die Verbindlichkeit als Verpflichtung zur Auszahlung des Kredits. In Aus­zahl­ung eines Kredits müssten Banken und Zentralbanken Aktiva-seitig eigentlich schon vor­han­denes Geld in ihrem Besitz an den Kreditnehmer auszahlen und Passiva-seitig ihre Ver­bindlichkeit gegenüber betreffenden Kreditnehmern verringern. Stattdessen gilt die Erfassung der Ver­bind­lichkeit in der Bankbilanz und als Guthaben-Eintrag in ein betreffendes Kunden­-Girokonto bereits als unbare 'Auszahlung' des betreffenden Betrags – und wäre damit eigentlich keine Ver­bind­lichkeit mehr, obwohl sie weiterhin als solche geführt wird...

So ist es mit der Entwicklung des Giralgelds zu der ambivalenten Konstellation gekom­men, dass Bank und Kunde einander gleich­zeitig Schuldner und Gläubiger sind. Zum Beispiel ist der Bank­kredit an einen Kunden zugleich ein Kundenkredit an die betref­fende Bank, nämlich ein Anspruch des Kunden auf Auszahlung von Zentralbankgeld, wenn gewünscht. Wenn aber in höherem Maß als üblich realisiert, bricht das Banken­system auf Basis frak­tio­naler Reserve­­haltung zusam­men, weil die Banken nicht genug Zentral­bank­geld besitzen.

Bei den Zentralbanken war die Situation früher einmal ähnlich, insofern Zentral­bank­gut­haben einen Anspruch der Kontoinhaber auf Auszahlung von Silbergeld und Gold darstellten, wenn gewünscht. Mit dem definitiven Ende jeglichen Goldstandards hat sich das ehemalige Deckungsversprechen der Zentral­banken, ebenso wie schon das der Banken, monetär in 'nichts mehr' aufgelöst.

Auszahlung von Zentralbankgeld in Form von Bargeld wurde immer weniger nach­ge­fragt, während ein unbares Zentralbankgeld für den allgemeinen Publikumsgebrauch bisher nicht vor­han­den gewesen ist. So wurde das Geldzeichen, das monetäre Token, der Girokonto-Eintrag, wie Geld benutzt und ist damit faktisch zu Geld geworden.

Gedeckt wird das Giralgeld der Zentralbanken monetär durch keine andere Art von Geld mehr. Das Giralgeld der Banken – bis zum Krisenmodus seit 2008 – ist nur noch durch eine mini­male Zentralbank-Reservenbasis gedeckt. Jedoch steht hinter dem Geld die  öko­nomi­sche Substanz des realen Wirt­schafts­produkts sowie, vielleicht, haftende Finanzvermögen von unsicherem Wert, und: die Macht des Staates, für den Bestand der Währung und des Geldes ein­zu­stehen. In Bezug auf das Geld der Zentralbank eines Staats ist dies offensichtlich und selbstverständlich. Warum aber Banken und andere Finanzinstitute das Privileg haben sollen, unter derselben Flagge zu segeln, und das obendrein in systemischer Dominanz, ist nicht nachvollziehbar.

Man mag sich nun fragen, ob die Buchungs- und Bilanzierungsregeln in puncto Geld­schöpfung unstimmig sind, oder ob die bestehende Praxis nicht regelgerecht und unstimmig ist, aber nicht als Regelverletzung und Unstimmigkeit identifiziert wird.[15] Denn würde man das so gesehen, könnten weder Banken noch Zentralbanken Geld schöpfen – und die scheinbare Identität von Kredit und Geld würde sich in die Luft auflösen aus der sie hergeholt wurde.

Eine Vollgeld-gerechte Lösung des Problems liegt in einer Trennung der Geldschöpfung vom operativen Geschäft bzw der Bilanz einer Zentralbank. Die Geldschöpfung würde in einem gesonderten 'Buch' vor sich gehen, einem geld­schöpf­enden Währungsregister. Von diesem kann ein Teil des Geldes als originäre Seignio­rage schuldenfrei an die Staatskasse fließen, während der andere Teil dem operativen Zentralbankgeschäft als kündbares Darlehen über­lassen wird. Geld­politisch können die Geld­schöpfung des Währungs­registers und die Refinan­­­zie­rungs- und Offen­markt­politik der Zentral­bank vom selben Führungs­organ beschlos­sen werden. Im Euro­system wäre das der EZB-Rat.

Den Plan der Trennung von Geldschöpfung und Banking fasste Ricardo für die Notenausgabe der Bank von England schon vor 200 Jahren. Die von ihm konzipierte Trennung des note issue department vom banking department besteht bei der Bank von England bis heute fort. Nur hat das keine Relevanz mehr, und eigentlich nie wirklich gehabt, weil das Noten­mono­pol nur partiell und langsam umgesetzt wurde und sich schon in den 1880–90er Jahren das Banken­geld anschickte, dem Zentral­bank­geld den Rang abzulaufen.

Weitgehende Neutralisierung der Staatschulden

Selbst wenn Art. 123 AEUV überwunden und die Zentralbank wieder mehr Bank des Staates wird, sie digitales Vollgeld allgemein in Umlauf bringt, und sie dies sogar schul­den­frei tun würde, bleiben offene Fragen, nicht zuletzt, wie die bisher aufge­bauten hohen Staatsschulden abge­baut werden können, ohne sich infolge einer öko­no­­misch und sozial selbst­schädi­genden Spar­politik zu ruinieren. Austerität, die kontra­produk­tive  öffentliche Haus­halts­über­schüsse beinhaltet, muss heute keine Option mehr sein.

Allerdings, wenn die Schulden so wie bisher bestehen bleiben, und noch mehr oder weniger weiter wachsen, hängt ein langfristig wieder ansteigendes Zinsniveau wie ein Damoklesschwert über den Staatsfinanzen. Historisch führten vergleichbare Über­schul­dungslagen oft genug zur Zerrüttung der Staats­finanzen und einer sog. Währ­ungs­reform mit harten Kapital- und Schulden­schnitten. Als Alternative blieb die Kom­bi­na­tion von Inflation und einem nominalen Wirt­schafts­wachstum, das über dem Zins­an­stieg und Schuldenwachstum liegt. Im schlechteren Fall bleibt es bei Stagflation.

Sofern historisch ein verträglicher Abbau großer Schuldenberge gelang, so bestand der Ansatz grundsätzlich in einer zeitlichen Streckung der Schulden über Jahrzehnte oder gar ein Jahrhundert hinweg, gepaart mit der sich erfüllenden Hoffnung auf ein gewis­ses Maß an Inflation und Wachstum, so geschehen zum Beispiel im 19. Jhd beim Abbau der britischen Staatsschulden aus den Napoleonischen Kriegen, oder nach dem Zwei­ten Weltkrieg beim Londoner Schuldenabkommen 1953 zur Regelung der deutschen Auslandschulden.

In letzter Zeit wurde häufiger die Forderung erhoben, in Anbetracht des heute frei schöpfbaren Fiatgeldes und der daraus folgenden Tatsache, dass eine Zentralbank in eigener Währung niemals illiquide zu sein braucht, solle die Zentralbank einfach die Staatsschulden auf­kaufen und diese der Regierung dann erlassen.[16] Das wäre freilich zu schön um wahr zu sein. Es ist einer Zentralbank nur be­grenzt möglich, Staats­schul­den in ihrem Besitz zu erlassen, nämlich nach Maßgabe ihres Eigen­kapitals und laufen­der Gewinne, ansons­ten jedoch nicht. Denn eine Zentral­bank kann Aktiva-seitig zwar ihre Forde­run­gen gegen die Regierung abschreiben, nicht aber Passiva-seitig eine gleiche Menge an Ver­bind­lich­keiten, sprich Reserven, denn diese sind das unbare Zentral­­bank­­geld im Besitz von Banken und Staatskassen. 

Die Option die momentan bleibt, besteht in der bewährten Perspektive, die Schulden auf die lange Bank zu schieben. Unter den heutigen Bedingungen kann man das in der Tat leichter als unter den früheren Bedingungen einer wie auch immer gearteten Edel­metallbindung, oder ihrem doktrinären Nachklang einer vermeintlich notwendigen Geld­knappheit, wo es eine solche realiter nicht mehr gibt, jedenfalls nicht zu geben braucht.

Die Staatsschulden auf die lange Bank schieben kann dadurch geschehen, dass die Zentralbank in großem Umfang Staatsschulden aufkauft, sie diese bei Fälligkeit jedoch nicht 'abschreibt' (was nicht geht), sondern sie in zinslose unbefristete Anleihen umwandelt (im Finanzsprech zero-coupon perpetual consols, oder kurz perpetuals). Damit werden die Staatsanleihen in der Zentralbankbilanz langfristig konsolidiert, und damit für lange Zeit neutralisiert. Durch eine solche langfristige Schulden­neu­trali­sier­ung gewinnt man Hand­lungs­­spiel­­raum und bewahrt die nicht unbe­grün­dete Hoff­nung auf wieder bessere Zeiten, oder auch nur Hoff­nung auf eine deutliche Verringerung des Problems durch ein gewisses Maß an Inflation und nominales Wirt­schafts­wachstum.

Sofern die Zentralbank einen Teil des jährlichen Zentralbankgewinns darauf ver­wen­det, Staatsschulden in ihrem Besitz zu erlassen, oder die Regierung, Schulden in ent­sprechendem Umfang zu tilgen, bedeutet dies tat­säch­lich einen regulären lang­fristigen Schuldenabbau, freilich auf Kosten des verfüg­bar bleibenden Zentral­bank­gewinns. Sowohl A. Turner als auch J. Stiglitz haben eine solche Kombination aus Schul­den­neutralisierung und Erlass/Tilgung in kleineren Tranchen vor Jahren schon der japa­ni­schen Zentralbank empfohlen.

Das würde außerdem dadurch begünstigt, dass mit der Einführung und Verbreitung von digitalem Zentralbankgeld eine erhöhte Seigniorage entsteht, die ihrerseits dem Staatshaushalt und auch dem Schuldenmanagement sehr zugute kommen sollte.

* * *

Die hier besprochenen Möglichkeiten, durch monetäre Finan­zier­ung und Vollgeld-Seignio­rage zu den Staats­­aus­gaben und einem opti­malen Staats­­schulden-Manage­ment bei­zu­tragen, schließen eine Plazier­ung von Staats­anleihen durch Banken­­kon­­sortien in bisheriger Weise nicht aus. Jedoch wird die Zentralbank auch wieder Bank des Staates sein können, nicht nur einseitig Bank der Banken. Sie wird wieder issuer of first instance sein können, und wo sie lender of last resort sein muss, wird sie dies ebenfalls nicht nur für die Banken, sondern ebenso für den Staat sein können. Zumal in Krisen- und Notsituationen ist das unabdingbar.

Nur ein starker souveräner Staat kann Recht und Freiheit garantieren. Das gilt auch für die Rechte und Freiheiten einer offenen unternehmerischen Marktwirtschaft. Ein Staat aber, der sich fiskalisch in einem Übermaß an Schulden­abhän­gig­keiten verliert und seine monetären Souve­räni­täts­­rechte den Parti­ku­lar­inte­res­sen von Banken und ande­ren Finanzinstituten überlässt, ist zur Schwäche und zu Fehlleistungen verurteilt.

Anmerkungen

[1] Mensching 2014.

[2] Zu Currencylehre versus Bankinglehre vgl. https://vollgeld.page/currency-versus-banking.

[3] Bindseil 2004, Werner 2007, Keen 2011, Häring 2013, Huber 2014.

[3a] Infolge der Krisenpolitik des lockeren Geldes (Quantitative Easing) verfügen die Banken heute über sehr viel mehr Reserven als sie operativ brauchen. Die meisten dieser Mittel sind ihnen durch Zentral­bankkäufe von Staatsanleihen ungefragt zugeflossen – und durch den Negativzins, den die EZB darauf unklugerweise erhebt, zu einem Problem statt zu einer Bilanzstütze der Banken geworden. 

[4] Vgl. Benes/Kumhof 2012, Schularick/Taylor 2009, Minsky 1982, Kindleberger 2000, Ferguson 2008, Reinhart/Rogoff 2009.

[5] Zarlenga 1999, Kap. 14–21.

[6] Vgl. Huber 2013 67–100.

[7] Laeven/Valencia 2008, Reinhart/Rogoff 2009.

[8] European Central Bank, Monthly Bulletins, Tab. 2.3.3–4.  

[9] Zum Thema der monetären Staatsfinanzierung siehe auch die Beiträge auf voll­geld.de/mo­ne­taere-staatsfinanzierung.

[10] Ryan-Collins 2015.

[11] Becklumb/Frigon 2015.

[12] Papadopoullos 2020.

[13] Financial Times 9 April 2020: Bank of England to directly finance UK government's extra spending. Move allows ministers to spend more in short term to combar coronavirus without tapping gilts market.

[14] Eine These der modern money theory behauptet, die Regierung schöpfe durch Anleihen das Geld, das durch Steuer­zahl­ungen an sie zurückfließe, wodurch dieses Geld aus dem Verkehr gezogen werde, was wiederum Inflation vermeide. Ein seltenes Stück surrealer Öko­no­mik. Heute schöpft die Regierung über­haupt kein Geld mehr (außer residual den irrelevant gewordenen Bestand an Münzen). Es sind immer noch die Zentralbank und die Banken, die das Geld schaffen, das von der Regierung verwendet wird, je nachdem, ob öffentliche Einrichtungen Transaktionskonten bei der Zentralbank oder Girokonten bei Banken benutzen. In den USA könnte das US Treasury gemäß Verfassung Staatsgeld herausgeben, tut es aber schon lange nicht mehr. Es sind also ausschließlich Banken, Zentral­bank und Schat­ten­banken, die Geld erzeugen. Steuer­­zahlun­gen an die Staats­kasse löschen das Geld nicht inflationsneutral, sondern halten es nachfrage- und preiswirksam in Umlauf. Der Löwen­anteil der heutigen Staats­­haus­­halte wird wie schon immer durch Steuern, Abgaben und Gebühren finanziert, der Rest durch Schuldenaufnahme bei Banken und anderen institutionellen Anlegern. Die von Zentral­ban­ken gehaltenen Staatsanleihen stellen immer noch einen relativ, oder auch absolut kleinen Anteil an den gesamten  Staatsschulden dar.

[15] Siehe auch Köhler 2015, Schemmann 2015.

[16] Cf. Hudson 2018, Goodhart/Hudson 2018.

Literatur

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Huber, Joseph 2013: Monetäre Modernisierung, 3. überarb. Aufl., Marburg: Metropolis.

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