Sichere Konten
Zentralbank-Buchgeld für alle

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Seit 2013/14 befürworten Geldreformer die Einführung von Vollgeldkonten. Das soll u.a. einer verbreiteten politischen Präferenz entgegen kommen, Änderungen lieber individuell und dezentral ‘von unten nach oben’ voranzutreiben statt zentral ‘von oben’. Freilich beinhalten Geldangelegenheiten oft zentrale Gesetzgebung und Regulierung. Ebenso, mangels solcher Gesetzgebung, hängt vieles auch von der Bereitschaft einer Zentralbank ab, entsprechend zu kooperieren.

Erste Ideen zum Thema ‘sichere Konten’ in 2010–12 griffen auf 100%-Reserve-Ansätze der 1930er zurück. Banken sollten auf Kunden-Girokunden eine freiwillige 100%-Reserve in Bargeld und unbarem Zentralbankgeld (Reserven) halten. Banken, die dazu willens wären, würden sich jedoch einen erheblichen Kostennachteil einhandeln. Denn die nötigen Zentralbank-Reserven müssten zu 100% finanziert und jederzeit vorgehalten werden, wohingegen alle anderen Banken nur eine geringe fraktionale Reserve von 1,5-3% des Giralgelds finanzieren müssen. 100%-Reserve-Banken könnten daher kaum im Kostenwettbewerb bestehen, oder aber sie müssten die höheren Kosten ihren Kunden in Rechnung stellen. Von daher hat man 100% Reserven-besicherte Konten zwar erwogen, aber in der Praxis nicht weiter verfolgt.

Eine andere Idee besteht darin, Zentralbankkonten für alle verfügbar zu machen. Dem steht entgegen, dass die Zentralbanken heute doch sehr auf das Paradigma des zweistufigen Bankensystems fixiert sind. Darin sehen sie sich selbst als ‘Bank der Banken’, während sie ihre historische Rolle als ‘Bank des Staats’ so weit minimiert haben, dass sie nur noch Transaktionskonten für staatliche Organe führen. Kredit- bzw Finanzierungs-Funktionen beinhaltet das nicht mehr, seit Einführung des Euro nicht einmal mehr Überbrückungskredit, um kleinere Unstetigkeiten im Steuerzufluss auszugleichen. Man fragt sich unwillkürlich, wer wohl den Text der betreffenden Artikel des Lissabon-Vertrags zu Geld, Banken und Zentralbanken geschrieben hat, insb. Art. 123 AEUV, der es der EZB absolut und in jeder Weise verbietet, zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben auch nur das Allergeringste beizutragen.

Es scheint den Zentralbanken heute fern zu liegen, als ‘Bank der Nation’ zu fungieren, oder als ‘Bank aller Wirtschaftsakteure’, zumindest in dem Sinn, eine Zahlungs-Infrastruktur für Reserven bzw digitales Zentralbankgeld bereit zu stellen, die von privaten Zahlungsdienstleistern ‘für alle’ genutzt werden kann. In den meisten Ländern verweigern die Zentralbanken selbst großen Industrie- und Finanzkorporationen und reichen Privatkunden ein eigenes Zentralbankkonto. In etlichen Fällen wurde diese Weigerung der Zentralbanken sogar gerichtlich bestätigt. Eine staatliche Institution, deren Auftrag gesetzlich dermaßen unzureichend definiert ist wie im Fall der EZB, dass kein Verwaltungsgericht damit etwas anfangen kann und sie daher faktisch nichts und niemandem rechenschaftspflichtig ist, passt allerdings nicht so recht in einen freiheitlich-demokratischen Rechtstaat. Wenn Unabhängigkeit von Weisungen sich praktisch als selbstherrliche Abgehobenheit darstellt, dürfte das letzte Wort in dieser Sache von Seiten der Gesetzgebung noch nicht gesprochen sein.

Der Gedanke, Vollgeldkonten zu schaffen, wurde um 2015 neu belebt, als Positive Money London und andere Geldreform-Initiativen die Kampagne QE4P lancierten (Quantitative Easing for People), d.h. QE für die Realwirtschaft statt fast ausschließlich für den nicht-BIP-wirksamen Teil der Finanzwirtschaft zum Zweck der Stabilisierung von Finanzvermögen und zinstragenden Schulden.

Unter den heutigen Bedingungen des Giralgeldregimes der Banken wären die letzteres Trittbrettfahrer eines solchen QE4P-Programms, denn nur Banken haben Vollgeldkonten i.S.v. Konten mit Zentralbank-Buchgeld (die sog. Reserven für den Interbanken-Zahlungsverkehr). Den Banken würde solches Geld aus einem QE4P-Programm automatisch zufließen, während Haushalte und Firmen weiterhin nur das Geldsurrogat einer Girokonto-Gutschrift erhielten. Das kann sich erst dann ändern, wenn auch die Nichtbanken-Endadressaten von QE4P-Zahlungen ein Vollgeldkonto führen können, also ein Konto mit unbarem Zentralbankgeld. (Diese noch ‘Reserven’ zu nennen, macht außerhalb des Bankensektors keinen Sinn mehr).

Mittlerweile projektiert eine große Zahl von Zentralbanken die Möglichkeiten, digitales Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currency (CBDC)) für den Publikumsgebrauch parallel zum weiterbestehenden Giralgeld der Banken einzuführen. Die Motive dafür liegen darin, einen modernen Ersatz für das verschwindende Bargeld zu schaffen, dadurch ggf Negativzinsen auferlegen zu können (in den 2010ern bis 2022 noch aktuell), und mit beidem auch die schwach gewordene Wirksamkeit der Geldpolitik wieder zu stärken. Am bekanntesten geworden sind bisher die CBDC-Modelle der Bank von England, das E-Krona Konzept der schwedischen Reichsbank, der Rafkrona Report der Isländischen Nationalbank, nicht zuletzt die Einführung eines digitalen Yuan (e-CNY) in China 2022. [Siehe Menupunkt Digitales Zentralbankgeld auf dieser Website].

Digitales Zentralbankgeld eröffnet in der Tat einen allgemeinen Zugang zu sicherem unbarem Vollgeld ‘für alle’, sei es in Form von Kontoguthaben oder digitalen Tokens. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn die Frage nach der originären und pro-aktiven Geldschöpfung und der Kontrolle über die Geldmenge dabei ausgeblendet bleibt, sodass in dieser Hinsicht alles beim alten bleibt. Auch sonst bringt der CBDC-Ansatz gewisse Probleme mit sich, echte und nur vermeintliche. Diese hängen damit zusammen, dass das Giralgeld der Banken neben dem digitalen Zentralbankgeld weiterbesteht und ihm nach jetzigen Plänen sogar weiterhin vorausgeht.

In dieser Situation stellt sich erneut die nahe liegende Frage, warum es nicht einzelnen Banken oder Zahlungsdiensten mit Zentralbankkonto und Zugang zum Zentralbank-Zahlungsverkehr möglich sein sollte, ihrer Kundschaft sichere Vollgeldkonten anzubieten, zum Beispiel in Form eines Treuhand-Sammelkontos bei der Zentralbank. Dass die RTGS-Zahlungssysteme der Zentralbanken dafür nicht ausgelegt seien, klingt erst einmal nach Ausrede, denn es gäbe für die Zentralbank ja nicht eine höhere Anzahl von Zahlungen auszuführen, sondern lediglich mehr Konten zu verwalten, was sich bei Sammelkonten doch in Grenzen hielte.

Eine andere Frage ist, ob die EU-Gesetze zu Zahlungsdiensten und E-Geld die Einrichtung von sicheren Vollgeldkonten erlauben. Wie kaum anders zu erwarten, ist das umstritten. Das litauische Parlament hat die Frage in Art. 25 seines E-Geld-Gesetzes vom April 2018 faktisch mit Ja beantwortet. E-Geld-Institute können die von ihnen treuhänderisch verwalteten Kundenmittel - als eine unter anderen, weniger überzeugenden Optionen - bei der Bank von Litauen oder einer anderen Euro-Zentralbank deponieren und damit sichern.

In den Niederlanden hat die Geldreform-Initiative Ons Geld, einer Empfehlung des Niederländischen Wissenschaftsrats für die Regierungspolitik folgend, 2019 ein neues dezentrales Bottom-up-Konzept entwickelt, und zwar in Form einer öffentlichen Depositenstelle (public depository). Eine solche Stelle würde Transaktionskonten bei der Zentralbank anbieten. Das Angebot kann auch den Zahlungsservice beinhalten, der ansonsten auch privaten Zahlungsdiensten übertragen werden kann. Das Angebot beinhaltet keine Darlehens- und Anlagegeschäfte. Das Konzept, so die Urheber, sei auf die rechtlichen Vorgaben in der EU und im Euroraum zugeschnitten. Das Prinzip als solches kann natürlich auch auf andere Währungsräume übertragen werden.

Mehr zu dem Konzept von public depositories findet sich in dem von Edgar Wortmann geschriebenen Ons Geld Positionspapier:
Public depository: safe-haven and level playing field for book money.
Als Ergänzung:
Questions & Answers on money and debt.

 

Sichere Zahlungskonten
außerhalb der Bankbilanz

statt dem bürokratischen Kleinkrieg um Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen und Guthabensicherung bei Banken. Dafür plädiert

• Ewald Kornmann vom schweizer Forum Geldpolitik in einem Beitrag von IN$IDE PARADEPLATZ, vom 14 April 2013.

Narrow Banking (Vollgeldkonten)

FED verweigert Kooperation mit der Narrow Bank zur Einrichtung von Vollgeldkonten

Internat. Movement for Monetary Reform

Wie der IMMR newsletter vom Sep/Okt 2018 berichtet, hat James McAndrews, ein ehemaliger Mitarbeiter der US Federal Reserve, eine Bank namens TNB Bank gegründet (TNB = The Narrow Bank). Narrow banking bedeutet, dass eine Bank nicht Giralgeld schöpft (also nicht die Basis an Zentralbankgeld erweitert), sondern nur als Intermediär allein auf Basis von Zentralbank-Reserven tätig ist. Die Kundenguthaben werden unmittelbar auf einem Reservenkonto der TNB bei der Zentralbank gehalten (also nicht als Giroguthaben). So sind die Guthaben erstens voll gegen eine Banken-Insolvenz geschützt. Ein zweiter Vorteil läge darin, dass die FED auf Reservenguthaben momentan einen Habenzins von 1,95% bezahlt, deutlich höher als Habenzinsen sonst. Das Konzept würde also ‘sichere Konten’ realisieren. Ein Schönheitsfehler besteht darin, dass das Geschäftsmodell der TNB nur auf Großkunden abzielt.

Wie auch immer, die FED hat der TNB den Zugang zu ihrem Konten- und Zahlungssystem bisher verweigert.
Die TNB erhob Klage vor einem New Yorker Gericht. Dieses hat die Klage abgewiesen:
The Narrow Bank Update: SDNY dismisses TNB suit

Hier weitere Medienmitteilungen:
- Bloomberg: "Fed Rejects Bank for Being Too Safe"
- Bloomberg: “The Fed versus the Narrow Bank”
- Economist: "The Fed stalls the creation of a bank with a novel business model"
- Cobden Centre: "Why the Fed Denied the Narrow Bank"

Der Fall Talanx: Antrag auf sicheres Zentralbankkonto zurückgewiesen

Die Talanx AG, drittgrößter deutscher Versicherer, hatte 2008, zum Höhepunkt der damaligen Bankenkrise, bei der Bundesbank den Zugang zu einem Transaktionskonto beantragt. Die Bundesbank wies den Antrag zurück. Sie führe "grundsätzlich keine Konten für Wirtschaftsunternehmen". (Dem­zu­folge wären Banken mit Kredit­konto bei der Bundesbank keine Wirtschafts­unter­nehmen, öffentliche Einrichtungen mit Transaktionskonto bei der Bundesbank ebenso wenig).

Talanx zog daraufhin vors Verwaltungsgericht. Das Gericht gab der Bundesbank 2010 recht. Es gebe "keine Pflicht des Staates, Unternehmen gegen alle Gefahren des Kapitalismus zu schützen". Es liege allein im Ermessen der Bundesbank, wem sie ein Konto einräumt.     

* * *

Mit der vorgesehenen Einführung von digitalem Zentralbankgeld (CBDC) wird die Forderung nach sicheren Zentralbankkonten im Prinzip erfüllt. Gegenstandlos wird die Sache damit jedoch noch nicht. Das wird erst dann der Fall sein, wenn CBDC einmal als universales Zahungsmittel für buchstäblich alle und alles zur Verfügung stehen. Das kann sich hinziehen…

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D
Die Koordinationsgruppe des International Movement for Monetary Reform fordert schon seit längerem die Einführung von persönlichen sicheren Konten auf der Basis von Zentralbankgeld (Buchgeld oder digitales Geld/CBDC), zum Beispiel in Form staatlicher Depositorien. Ein solches Instrument kann dazu beitragen, aktuelle Hilfen wie z.B. neuerliche QE-Maßnahmen der EZB, oder Zuwendungen wegen Covid, Energiepreisen o.a. effizient abzuwickeln. Gleichzeitig wären sichere Konten/Depositorien ein vorausschauender Schritt monetärer Reform zur Wiedererlangung der monetären Kontrolle durch die Zentralbanken: NEW INSTRUMENT FOR MONETARY POLICY >

Zentralbankkonten für alle

• Michael Schemmann, Geschäftsplan einer Vollgeldeinlagen-Bank VGB.  

Cyrus de la Rubia, Chefökonom der Hamburg Commercial Bank (ehem. HSH Nordbank), sieht das ähnlich: Leben ohne Bargeld - mit Zentralbankkonten für jeden, manager magazin, 13.2.19.

Auch der Economist plädierte für offering central bank accounts to everyone, 26 May 2018, 70. 

• In einem Artikel in der real-world economics review, no.68, 2014, erläutert Trond Andresen sein Konzept elektronischer Vollgeldkonten (Electronic Sovereign Money Accounts (ESMA)), ein system of purely electronic payments that might help to make the transition from bankmoney to sovereign money >   

Bankbetrieb mit 100% Reservendeckung

• Thomas Mayer, eh. Chefökonom der Deutschen Bank und Direktor des Flossbach von Storch Forschungsinstituts, Köln, plädiert für sichere Kontoguthaben durch Deckung mit einer 100%-Reserve.

Th. Mayer, FAZ Zeichnung

Th. Mayer, FAZ Zeichnung

Anlässlich der EU-Gesetzgebung zum digitalen Euro stellt Mayer die Variante eines 100% digitalen Euro zur Diskussion: Der digitale Euro: eine (wahrscheinlich) vertane Chance, September 2013.

Im Beitrag Währungswettbewerb zur Rettung des Euros erklärt er sein Konzept der sicheren Bankeinlage, als Alternative u.a. zur Ausgabe von Staatskassen-scheinen in Italien (Mini-Bots) und der ‘Liraisierung’ des Euro. Flossbach von Storch Research Institute, 31 Okt 18.
Gleiches in Ein ‘New Deal’ zur Rettung des Euro, Europa-Forum der Ludwig-Erhard-Stiftung, 28 Nov 18.

Im Vorlauf dazu > Macht unser Geld sicherer! Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Nr.8, 22 Feb 2014, 34.  
Das wäre in der Tat  > A Copernican Turn for Banking Union, CEPS Policy Brief, No.290, 14 May 2013.  
Also cf. > Banish fractional reserve banking for real reformFinancial Times, 24 June 2013; re-published at Thomas Attwood Blog, 24 June 2013 Banish fractional reserve banking for real reform

• Hanten/Gollan/Mayer > Die sichere Einlage ist möglich, aber nicht kostenlosBörsen-Zeitung, 10 Dez 2013, 5.

Timm Gudehus

Timm Gudehus