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Die Hemisphären der Finanzwirtschaft:
BIP-Finanzen und Nicht-BIP-Finanzen


Real- und Finanzwirtschaft

Seit der Dotcom-Krise (2000), Subprime- und Bankenkrise (2008) und Euro-Staatsschulden­krise (2010–12) ist der Zeitgeist Finanzmarkt-kritisch gestimmt. Der Tenor lautet, bubble economies sollen unterbunden werden, das Geld soll der Realwirtschaft dienen, nicht fragwürdigen Finanzmarktgeschäften. Eine Gegenüberstellung dieser Art ist noch nicht sach­gerecht. Man kann die Realwirtschaft von ihrer Finanzierung nicht trennen. Die moderne Wirtschaft ist eine Kreditwirtschaft. Die meisten Investitionen werden nur zum geringeren Teil aus laufen­den Einnahmen und eigenen Rücklagen bezahlt, und zum größeren Teil durch Kredit vor­finan­ziert. Andererseits beinhaltet die Gegenüber­stellung von Real- und Finanz­wirt­schaft aber auch eine Tatsache, die gern übersehen wird, nämlich, dass weite Bereiche der Finanzwirtschaft mit der Finanzierung der Realwirtschaft direkt nichts mehr, und auch indirekt nur noch wenig  zu tun haben.

Die tatsächlich relevante Scheidelinie verläuft nicht pauschal zwischen Real- und Finanz­wirtschaft, vielmehr zwischen den beiden Hemisphären der Finanzwirtschaft: zum einen jenen Teilbereichen, die zur Finanzierung des ökonomi­schen Output beitragen, und zum anderen jenen, die nicht dazu beitragen. Kurz gesagt, die Scheidelinie verläuft zwischen BIP-Finanzen und Nicht-BIP-Finanzen.

Zu den typischen Beispielen für Nicht-BIP-Finanzen zählen der Handel mit Aktien, Anleihen und sonstigen Wertpapieren nach deren Emission (Sekundärhandel), der Devisen­handel ohne realen Verwendungshintergrund, der Derivatehandel jenseits der Absicherung vorhandener Risikopositionen, der Handel mit Immobilien als Kapitalanlage ohne nennenswerte Änderung des Nutzwerts, oder Aufhebelungskredit für Finanzanlagen. Weiteres zur Klärung der Begriffe Realwirtschaft, BIP-Finanzen und Nicht-BIP-Finanzen in Anhang A.

Die Nicht-BIP-Finanzen gestalten sich weitgehend unabhängig von den BIP-Finanzen, entwickeln sich jedoch in einer gewissen Abhängigkeit von der Realwirtschaft. Die realwirtschaftliche Konjunktur und der industrielle Strukturwandel beeinflussen die Finanzzyklen von Anleihen, Aktien, Rohstoffen, Immobilien und anderen Anlageobjekten, wie sie ihrerseits auf realwirtschaftliche Zyklen einwirken.

Geld, das nicht in die Realwirtschaft fließt, ist realwirtschaftlich auch nicht Mengen- und Preis-wirksam, hat also keine direkten Auswirkungen auf die Inflation. Geld, das in die Finanzwirtschaft fließt, gleich ob in BIP-Finanzen oder Nicht-BIP-Finanzen, beeinflusst die Vermögenspreise (Assetinflation) sowie die Mengen­ausweitung von Finanzmarkt-Angeboten.

Zahlen und Fragen zur BIP-überproportionalen Ausdehnung der Finanzwirtschaft

Der Umfang der Realwirtschaft wird heute in aggregierten Kennzahlen erfasst, besonders dem BIP, als einem Maß für die gesamte Wirtschaftsleistung bzw die damit erzielten Einkom­men. Für die Finanzwirtschaft gibt es vergleichbare Kennzahlen nicht. Vermögenspreis-Indices wie der des FvS Research Institute bilden Assetinflation ab. Sie sind damit immerhin eine finanzwirtschaftliche Entsprechung zur realwirtschaftlichen Verbraucherpreisinflation (VPI).[1] Ein umfassendes Bild der Bestände an Finanz­vermögen geben sie damit noch nicht. Von daher ist man auf Einzelwerte verwiesen. Im folgenden seien einige exemplarische Zahlen zur Ausdehnung der Nicht-BIP-Finanz­wirt­schaft aufgelistet.

Ein Wachstum der Real- ebenso wie der Finanzwirtschaft kann in aller Regel nicht allein durch einen beschleunigten Geldumlauf bezahlt werden. Vielmehr gehen die Entwicklungen stets mit einer Ausdehnung der Geldmengen bzw des Kredits einher, genauer gesagt, des primären Giralgeldkredits der Banken, zum Bruchteil refinanziert durch Reservenkredit der Zentralbanken an die Banken. In den Industrieländern wuchsen der Bankenkredit und damit die Geldmengen bis um 1980 in etwa gleich wie das nominale BIP. In Deutschland zum Beispiel oszillierte die Geldmenge M1 bis um 1980 beim 1,8fachen des BIP. Seither aber hat sich das Geld- und Kreditwachstum vom BIP-Wachstum steil abgehoben, auf das 7,5fache des BIP.[2] Der Zeitraum um 1980 markiert die einsetzende sog. Finanzialisierung im Zuge der Globalisierung.

Die überschießende Geldmengenexpansion zeigt sich in allen Industrieländern. Zum Beispiel wuchs von 1992 bis 2008 das BIP in Deutschland um 51%, die aktive Geldmenge M1 jedoch um 189%, in der Schweiz das BIP um 37% und M1 um 121%, in Großbri­tannien das BIP um 392% und M4 um 1.744%. In den USA hat es einen so ausgeprägten Anstieg des Bankengelds nicht gegeben, stattdessen den fulminanten Takeoff von Geldmarkt­fonds-Anteilen (MMFs) als einem weit verbreiteten neuen Zahlungsmittel. Von 1980–2008 stiegen die MMFs von nahe null auf das 2,5fache von M1. Im Euro liegen MMFs bei etwa einem Drittel von M1. Im Ergebnis sind die Geldmengen in den Jahrzehnten bis zur Finanzkrise drei bis vier Mal stärker gewachsen als das nominale BIP.[3]

Wofür? In realwirtschaftliches Wachstum und VPI ist das BIP-überschießende Geldmengen­wachstum nicht geflossen, denn dieser Zuwachs ist im nominalen BIP bereits abgebildet. Das BIP-überschießende Wachstum des Primärkredits der Banken und der Geldmengen diente folglich der Ausweitung der Nicht-BIP-Finanzen samt Assetinflation. Das Volumen von Finanzmarkt-Transaktionen ist vom 15fachen des BIP in 1990 auf das 70fache in 2007 gestiegen.[4] Der Anteil der BIP-wirksamen Kredite in Großbritannien liegt heute nur noch bei 15% aller Kredite.[5]

Der Giralgeld erzeugende Bankkredit dient als (sekundäre) Basis für die Finanzintermediation der Schattenbanken. Unter dem Begriff 'Schattenbanken' läuft inzwischen faktisch alles, was bisher auch als 'nicht-monetäre Finanzinstitute' bezeichnet wurde. Dazu gehören Kapital­anlage­fonds, Private-Equity-Geschäfte, Bausparkassen die nicht auch Banken sind, finanzielle Zweckgesellschaften, auch Versicherungen soweit sie Geld anlegen und Darlehen vergeben bzw eigene Anlagefonds betreiben. Im Zeitraum 2013 bis 2017 haben Schattenbanken durch­weg doppelt so viel Geld für Finanzanlagen in Anleihen, Aktien und Fonds aufgenom­men als realwirt­schafliche Firmen für Sach­investi­tionen. Der Schatten­banken-Sektor weist mit 32 Billionen Euro heute ein größeres Volumen an Finanz­anlagen und Darlehens­vergaben auf als der Bankensektor mit 24 Billionen.[6]

Mit der BIP-disproportionalen Ausdehnung der Geldmengen stiegen auch die Finanz­vermögen. Die amerikanischen Finanzvermögen (Aktien, Anleihen, andere Schuldpapiere, aber ohne Immobilien), oszillierten bis um 1980 stets um etwa das 4,5fache des BIP. Von 1980–2007 stiegen sie dann auf über das 10fache des BIP.[7] Die Finanzvermögen bei amerikanischen Vermögens­ver­waltern lagen 1946 bei der Hälfte des BIP, während sie 2014 das 2,4fache des BIP erreichten.[8] Von 1980–2014 stieg die Durchschnittsbewertung von Anleihen, Aktien und Wohn­eigentum in 15 Industrieländern um das Vierfache, während das BIP sich nur verdoppelte.[9] 

Im kurzen Zeitraum von 2014 bis 2019 stieg die realwirtschaftliche VPI in Europa um insgesamt 5 Pro­­zent, während der Anstieg der Vermögenspreise mit 20 Prozent  viermal so hoch ausfiel. Das galt vor allem auch für Immobilien als Kapital­anlage. Ihr Gebrauchswert ist natürlich nicht entbehrlich, aber vielfach in den Hintergrund getreten (was in sinngemäßer Weise für Aktien als 'Sachkapital' schon lange gilt). Die realen Immobilienpreise in den USA stiegen in den hundert Jahren zwischen 1890 und 1997 nur um 7%, aber in den zehn Jahren von 1997 bis 2007 um 85%.[10] In allen Industrieländern stiegen die Hauspreise seit den späten 1970ern bis heute durchschnittlich um das 14fache.[11]

Die stark BIP-disproportionale Ausweitung der Finanzwirtschaft wirft Fragen auf. Geht die Entwicklung zu Lasten der Realwirtschaft? Warum ist zunehmend mehr Geld in Nicht-BIP-Finanzen geflossen als in BIP-Finanzen? Wird die Finan­ziali­sierung unter anderem nicht auch durch die Schuldenfinanzierung von Staatsausgaben vorangetrieben, zuletzt massiv gefördert durch die Zentralbank­politik des Quantitative Easing (QE)?[12] Soweit neu geschaffenes Geld eine realwirtschaftliche Erstverwendung findet, zirkuliert es auch danach noch in der Realwirtschaft? oder wandert es in Nicht-BIP-Finan­zen? Wenn ja, bleibt es dann dort oder dient es auch wieder einmal BIP-Finanzierun­gen?

Crowding-out der Realwirtschaft durch die Finanzwirtschaft?

Eine neoklassische Kritik am keynesianischen Deficit spending bestand in der Crowding-out-Hypo­these. Diese besagt, der Staat besitze aufgrund seines Steuermonopols eine höhere Bonität als private Schuldner. Deshalb würde die staatliche Kredit­nachfrage für Deficit spending den privaten Kreditbedarf aus dem Markt drängen. In ähnlicher Weise stellt sich heute die Frage, ob das starke Wachstum der Nicht-BIP-Finanzen nicht der Realwirtschaft Geld entzieht bzw vorenthält.

Für eine solche Vermutung scheint zu sprechen, dass der kommerzielle Finanzsektor einen Bias zugunsten kapitalstarker Nachfrage von Seiten institu­tio­neller Investoren und Groß­unter­nehmen aufweist, während mittlere und kleine Firmen oft Schwierig­keiten haben, Kredit zu bekommen. Die meisten Kredite werden heute für Immobilien-Transaktionen und Hypo­theken vergeben, danach zur Finanzierung der öffentlichen Haus­haltsdefizite (Staats­schulden) sowie zur Aufhebelung von Finanzmarktanlagen. 72–80% des Kredits entfallen auf diese drei Zwecke. Nur der Rest geht in Kredit für Firmen und Haushalte (ohne Immobilien- und Hypothekarkredit).[13]

Ungeachtet dessen hat sich das Geld- und Finanzwesen in einer Weise gewandelt, die gegen ein Crowding-out der Realwirtschaft durch die Finanzwirtschaft spricht. Im Verlauf des 20. Jhds hat sich die historisch neue Sachlage entfaltet, dass Geld nur noch als frei schöpfbares Fiatgeld existiert. Fiat ist Latein für Es geschehe! in Anlehnung an das biblische Fiat lux (Es werde Licht). Als Fiatgeld werden Zahlungs­­mittel bezeichnet, die nach Maßgabe der dazu Berechtigten oder faktisch dazu Befähigten als reines Zeichengeld in Umlauf gebracht werden, ohne dass dieses Geld durch Hinterlegung von Gold, Silber oder anderen Ver­mögens­werten gedeckt ist. Dem ist so spätestens seit der zeitweisen Aussetzung des Goldstandards in den 1930/40er Jahren, bis 1971, als die 1944 in Bretton Woods verein­barte aber längst nicht mehr eingehaltene Golddeckung des US Dollars fallen gelassen wurde. Die Wertpapiere, gegen deren Hinterlegung eine Zentralbank heute Banknoten und Reserven an Banken herausgibt, sind kein Platzhalter für das herausgegebene Geld, sondern eine Besicherung des Kredits, analog zur Verpfändung von zum Beispiel Immobilien bei Banken­kredit.

Der springende Punkt liegt darin, dass modernes Fiatgeld – sei es als gesetz­liches oder privates Zahlungsmittel – nach dem Willen der maßgeblichen Finanzakteure in faktisch unbegrenzter Höhe geschaffen bzw in Umlauf gebracht werden kann. Sicherlich braucht es dazu eine längere Reihe von institutionellen, rechtlichen und ökonomischen Voraussetzungen. Gleichwohl, als reines Zeichengeld ist das moderne Fiatgeld frei schöpfbar. Es braucht daran kein Mangel zu herrschen. Wenn der Staat und die private Realwirtschaft Finanzierung nachfragen, sollte es im Prinzip kein Problem sein, das Geld dafür bereit zu stellen, per Kredit von Zentralbanken (Basisgeld), Banken (Giralgeld-erzeugend) und Schattenbanken (Giralgeld-basiert). Dieses Geld muss nirgendwo hergeholt oder aufgenommen werden, sodass es in diesem Sinn auch niemandem fehlt.

Aufgrund dieser Sachlage relativieren sich zwei zentrale Annahmen der orthodoxen Gleichgewichtsökonomik. Das betrifft zum einen die Annahme der kausalen Identität von Investitionen und vorauslaufenden Ersparnissen, zum anderen die irreführende Annahme, Banken seien Finanzintermediäre, die aus Kundeneinlagen Kredite finanzieren.

Die bisherige Gleichsetzung von Investitionen und vorlaufenden Ersparnissen [ I = S bzw I = f(S) ] in dieser Weise nicht länger haltbar. In Wirklichkeit dreht sich die Kausalität eher in umgekehrter Richtung [ S = f(I) ]. Die Umkehr und Relativierung der alten Formel ergibt sich zum einen dadurch, dass ein großer Teil von Finanzierungen nicht mit bereits vorhandenem Geld erfolgt, sondern mit neu geschöpftem Bankengeld, zum anderen, dass vermehrt neues und altes Geld in Nicht-BIP-Anlagen fließt. Die aggregierte Gleichbehand­lung von BIP- und Nicht-BIP-Finanzen ist irreführend. Zudem gehen Nicht-BIP-Finanzzyklen und Konjunktur­zyklen zu einem gewissen Grad auch eigene Wege.[14]

Was die Finanzintermediation angeht – als Vermittlung von bereits vorhandenem Geld von Anlegern zu Geldaufnehmern – so findet diese im Bereich der Nichtbanken weiterhin in großem Umfang statt, tatsächlich in größerem Umfang als durch Bankenkredit finanziert wird. Diese Finanzintermediation geschieht jedoch auf Basis von Banken­geld (Giralgeld), inzwischen teils auch eigenen Geldsurrogaten von Schattenbanken wie zum Beispiel Geldmarktfonds-Anteilen. Eingesetzt werden dabei die Ersparnisse, Rücklagen, Überschüsse von Nichtbanken. Die Banken selbst aber managen zwar Giralgeld-Überweisungen für ihre Kunden, und in diesem Sinn können sie als monetäre Intermediäre angesehen werden, aber sie sind nicht Finanzintermediäre ihres eigenen Giralgeldes, sondern die Schöpfer dieses Geldes wann immer sie an Nichtbanken Darlehen vergeben oder von Nichtbanken Wertpapiere kaufen (siehe auch Anhang B).   

Von daher gilt bezüglich der Crowding-out-Hypothese: Wenn der Staat hohe Schulden macht, braucht dieses Geld dem Privatsektor weder weggenommen noch vorenthalten werden, denn das Geld für die staatlichen Schulden kann teilweise bis vollständig neu geschöpft werden – was auf verschie­den­­en Wegen denn auch geschieht. Im Ergebnis kommen die Schulden-finanzier­ten Staatsausgaben der Privatwirtschaft in hohem Maß zugute, sowohl der privaten Finanz­wirtschaft durch entsprechende Renditen als auch der privaten Realwirtschaft durch Investitionen und Massenkaufkraft.  

Desgleichen gilt noch allgemeiner: Die Nicht-BIP-Finanzwirtschaft kann noch so viel Geld absorbieren, es braucht der Realwirtschaft deshalb nicht an Geld zu fehlen, denn auch für die Realwirtschaft kann benötigtes Geld jederzeit geschaffen werden soweit die maßgeblichen Finanzakteure dazu willens sind. Das kann allerdings schon dazu führen, dass es Teilen der Realwirtschaft an Finanzierung mangelt.

Das Problem ist also nicht Konkurrenz um knappes Geld, sondern 'zu viel Geld' in Nicht-BIP-Finanzen infolge einer zunehmend unge­bremsten Geldschöpfung zweiter und dritter Stufe, indem übermäßig viel dieses Geldes in Nicht-BIP-Finanzen fließt und dies wieder­kehrend zu Assetinflation, Überinvestment bzw Überschuld­ung, Blasen­bildung und Finanzkrisen führt. Das zieht in der Regel auch die Realwirt­schaft in Mitleidenschaft.

Was es als Crowding-out aber definitiv gibt, ist ein Abgehängt werden realwirtschaftlicher Arbeitseinkommen durch Finanzeinkommen bei der Nachfrage nach höherpreisigen Gütern und Diensten (zum Beispiel Wohnraum). Dazu noch einmal später.  

Monetäre Staatsfinanzierung

In Erkenntnis der freien Schöpfbarkeit des Fiatgelds wurden im Zuge der Krise 2008 Forde­run­gen nach monetärer Staats­finanzierung erhoben, das heißt, einer ­Finan­zierung von Staatsausgaben durch die Zentralbank. Unter den Befürwortern waren u.a. der damalige Leiter der britischen Finanzaufsicht, A. Turner, oder die New Economics Foun­dation.[15] Zur Überwindung der Großen Depression der 1930er Jahre sowie im Zweiten Weltkrieg war monetäre Staatsfinanzierung in großem Stil schon praktiziert worden.     

Wenn Geld reines Zeichen- und Fiatgeld ist, braucht ein Staat mit eigener Zentralbank in eigener Währung niemals zahlungsunfähig werden. Der Staat kann per Anleihen am offenen Markt Schulden machen, und die Zentral­bank kann zeitnah einen ausreichenden Teil dieser Staatsanleihen am offenen Markt aufkaufen. In einem solchen Paso doble zwischen Finanzministerium (Anleihe-finanzierte Staatsausgaben) und Zentralbank (Aufkauf der Staatsanleihen am offenen Markt, und damit indirekte monetäre Finan­zierung der Staatsausgaben) lassen sich erwünschte Geldmengen jederzeit bereit stellen – sei es zur Ankurbelung von Konjunktur und Beschäftigung, sei es zur Finanzierung von Wahl­geschen­ken, sei es zur Milderung eines Schocks wie der Coronakrise, oder sei es zur Finanzierung der ökologischen Modernisierung der industriellen Produktions- und Lebensweise. Die Anleihe­käufe der Zentralbanken tragen inzwischen maßgeblich dazu bei, das Kursniveau der Staats­anleihen zu stabilisieren, die Zinsen niedrig zu halten, und damit auch die Schulden­­auf­nah­me­­fähigkeit der Regierungen zu erhalten.

Zugleich entledigt sich der Staat damit auch eines Teils seiner Schuldenlast gegenüber privaten Gläubigern. Soweit Staatsanleihen von der heimischen Zentralbank gehalten werden, spielen Zinsen im Prinzip keine Rolle. Denn vom Finanzministerium an die Zentral­bank gezahlte Zinsen fließen mit dem Zentralbank­gewinn an das Finanzministerium zurück. Was dagegen die Anleihesummen angeht, so muss das Finanzministerium diese bei Fälligkeit erst einmal bei der Zentralbank tilgen. Andernfalls hätte die Zentralbank einen entsprechen­den Forderungs­ausfall (Verlust), weshalb sie bald mit negativem Eigenkapital operieren müsste. Was das Finanzministerium aber tun kann, ist fällige Anleihen zwar tilgen, aber zugleich neue Anleihen ausgeben, einen Teil derer die Zentralbank wiederum am offenen Markt aufkauft. Die Zentralbank kann dann in ihrer Bilanz den Saldo zwischen getilgten staatlichen Altschulden und Neuschulden akku­mu­lieren bzw 'konsolidieren', soll heißen, den resultierenden Schuldenbestand des Staates gleichsam 'für immer' in der Bilanz weiterwachsen lassen.

Man kann das recht lange Zeit so machen. Siehe Japan seit 2001, die USA in prozentual geringerem Umfang schon Jahrzehnte länger, desgleichen einige Länder Europas vor Einführung des Euro, ebenso wie heute die EZB in Form ihrer massiven Aufkäufe von Euro-Staatsanleihen seit 2012/13. Der Anteil der Staatsanleihen, die von der jeweiligen inländischen Zentralbank gehalten werden, lag 2018 in größeren Industrieländern zwischen 15 bis 22 Prozent, in Japan bei 40 Prozent. Bei den 10-30jährigen Staatsanleihen lagen die Anteile teils doppelt so hoch. Infolge der zusätzlichen Staatsausgaben zur Abfederung der Coronakrise 2020 haben die Staats­anleihen in Zentral­bankbesitz noch einmal um 40–60% zuge­nom­men.[16]

Forderungen nach monetärer Staatsfinanzierung haben sich so gesehen längst erfüllt, denn die eben beschriebene indirekte monetäre Staatsfinanzierung ist inzwischen verbreitete Praxis. Wenn dem aber so ist, stellt sich die Frage, was das Verbot monetärer Staatsfinanzierung eigentlich soll, in wessen Interesse es ist, und warum die Zentralbanken nicht auch direkt Beiträge zur Staats­finanzierung sollen leisten können (was der ursprüngliche Grund für die Einrichtung von Zentral­banken war). Die Großbanken und institutionellen Großanleger haben kein Geburtsmonopol auf ein normalerweise risikoarmes und lukratives Geschäft wie das mit Staats­an­leihen.

Ob direkt oder indirekt, monetäre Staatsfinanzierung bedeutet eine Fortsetzung des keynesianischen Deficit spending mit anderen Mitteln. Die anderen Mittel bestehen in diesem Fall in der zunehmenden Verschuldung des Staats 'bei sich selbst', und eine anteilig abnehmende Verschuldung bei privaten Banken und Schattenbanken (Fonds). Das erscheint einerseits vernünftig soweit es die einseitige Abhängigkeit vom Kapitalmarkt verringert. Anderseits muss man es aber auch so sehen, dass es der Ausweg ist, der bleibt, wenn die Märkte ihr Vertrauen in bestimmte Regierungen verlieren und nicht mehr, oder nur noch zu sehr hohen Zinsen, bereit sind, zur Staatsfinanzierung beizutragen.

Die indirekte monetäre Staatsfinanzierung im Paso doble von Regierung und Zentralbank ist in einer schweren Krise mit erheblich unterausge­lasteten Kapazi­täten zweifellos von Nutzen. Man muss sich aber auch fragen, inwiefern die zur Gewohn­heit gewordenen defizitären Haushalte und die fortgesetzte Akkumulation von Staats­schulden zu einem festen Bestand­teil der allgemeinen Finanzialisierung geworden sind und sie insoweit selbst eine Ursache von Finanzkrisen darstellen. 

QE for finance versus QE for people (= QE für die Realwirtschaft)

Das Quantitative Easing (QE) der Zentralbanken entstand als Reaktion auf die Immobilien- und Bankenkrise von 2008–09 und die Euro-Staatsschuldenkrise von 2010–12. Das QE bestand dabei im wesentlichen im Aufkauf von Staatsanleihen wie oben beschrieben, zusätzlich zur Rekapitalisierung bedrohter Großbanken durch die Regierungen. Die betreffenden Summen dienten dazu, die Liquidität (den Zahlungsverkehr) und die Bilanzen der Banken und anderer tangierter Finanzinstitute zu stützen, ebenso die Staatsanleihen und Staatshaushalte zu stabi­­lisieren. Das war faktisch QE for finance. Der für bisherige Maßstäbe gigantische Umfang des QE im Mehrbillionen­bereich und der damit verbundene Angebotsüberhang an Zentralbankgeld drückte das seit den 1980ern ohnehin fallende Zinsniveau weiter nach unten in den Bereich von Niedrig-, Null- und Negativzinsen.

Kritische Stimmen zum QE der Zentralbanken haben von Beginn an die Forderung erhoben, das zur Bekämpfung der Krise nach 2008 geschöpfte Geld dürfe nicht nur QE for finance bleiben und letztlich nur in Nicht-BIP-Finanzen fließen, sondern das Geld müsse auch in BIP-Finanzen fließen und der Wirtschaft insgesamt nützen. Daraus erwuchs der Ruf nach einem QE for people, anders gesagt, QE für die Realwirtschaft.[17]

Es sind zwar nicht direkt die Zentralbanken, die Programme zur Finanzierung der Realwirt­schaft bezahlen, sondern die Regierungen. Aber die Zentralbanken kaufen eben in großem Stil die Anleihen auf, welche die Regierungen zur Defizit-Finanzierung ihrer Ausgaben­programme zugunsten privater Haushalte und Firmen begeben. Die von der Coronakrise ausgelösten groß­volumigen Ausgabenprogramme der Regierungen haben nun in bisher nie dagewesenem Ausmaß eine breite Palette von Nachfrage- und Angebots­kompo­­nen­ten miteinander kombiniert. So findet indirekte monetäre Staatsfinanzierung jetzt in der Tat auch als QE für die Realwirtschaft statt. Das gilt ebenso für die TLTRO Programme der EZB, durch welche längerfristige Bankkredite an Firmen zu besseren Konditionen als üblich refinanziert werden.[18]  

Ist damit sozusagen 'alles gut'? Nicht ohne weiteres. Auch eine monetäre Finanzierung für die Realwirtschaft  ändert im Prinzip nichts an den altbekannten Risiken jeder Kapital- und Schulden­akku­mu­lation im Übermaß, gleich ob es sich um öffentliche oder private Schulden handelt. Das Eintreten dieser Risiken kann man nach Ausmaß und Zeitpunkt im genaueren nicht vor­her­sagen. Gleichwohl bestehen die Risiken. Dazu gehören zum Beispiel
-    der Treibsand von Inflation. Deren Wiederkehr ist keinesfalls auszuschließen, zumal nicht mit dem allmählichen Ende der Billiglohnkonkurrenz neuindustrieller Länder, sowie Ein­schrän­kungen des Welthandels und einem Rückbau internationaler Produktionsketten.
-    eine erhöhte Anfälligkeit für Finanzkrisen, indem Blasen platzen, auch weil Schuldner ihren Verbindlich­keiten nur noch teilweise oder gar nicht mehr nachkommen.
-    eine auf Dauer sozial desintegrative Ausweitung von Finanzeinkommen im Verhältnis zu den Arbeitseinkommen.
-    in manchen Ländern eine schleichende oder auch beschleunigte Währungsabwertung soweit 'Gelddrucken' mit abneh­m­ender Wettbewerbsfähigkeit, sinkender Produktivität und importierter Inflation einher­geht.

Diese Gefahren bestehen mit und ohne monetäre Staatsfinanzierung. Fiatgeld im Übermaß besteht als allgemeine Problematik ein Stück weit unabhängig davon, ob es sich um gesetzliche oder private Zahlungsmittel handelt, um staatliches Vollgeld der Zentralbanken oder private Geldsurrogate der Banken und Schattenbanken.

Gewiss unterscheiden sich die Motive und Allokationsmuster einer privaten Geldschöpfung von denen eines Zentralbank-Vollgelds, das über Staatsausgaben und somit über eine andere Erstverwendung des Geldes in Umlauf kommt. Das macht einen Unterschied. Andererseits sagt die Erstverwendung des Geldes nicht schon viel über seine weiteren Verwendungen in der nachfolgenden Zirkulation. Es wäre nicht viel gewonnen, stünde man vor der Wahl zwischen ausufernden Nicht-BIP-Finanzanlagen oder ausufernden Staats­aus­gaben, und der Frage, wer hierbei in unge­hemm­terer Weise die 'Druckerpresse' in Gang hält – die Banken und Schattenbanken, oder die Regierung, während die Zentralbank beiderlei Geldnachfrage stets (re-)finanziert.  

Wo konzentriert sich das Geld auf Dauer – im privaten oder öffentlichen Sektor? in BIP- oder Nicht-BIP-Finanzen?

Wenn Geld in der Erstverwendung zunächst in realwirtschaftliche Güterkäufe, Entgelte usw. fließt, oder es zunächst in Nicht-BIP-Finanzen fließt, hört es damit nicht auf zu zirku­lieren. Wohin fließt das Geld danach? Zirkuliert es weiterhin in der betreffenden Hemi­sphäre? Wechselt es über in die andere Hemisphäre, auch hin und her? Oder konzen­triert es sich auf Dauer nicht doch in einem dieser Bereiche?

Die Ökonomik gibt darauf bisher keine Antwort. Input-Output-Tabellen nach Leontief sind bezüglich der Fragestellung nicht aufschlussreich. Auch die bisherigen Stock-Flow-Analysen auf Basis sektoraler Salden­mechanik decken die Thematik BIP- und Nicht-BIP-Finanzen nur unzureichend ab (obwohl dieser Ansatz sich in geeigneter Weise fortentwickeln ließe).

Ebenso wenig aufschlussreich ist die Quantitäts­gleichung nach Newcomb, Fisher u.a. in ihrer heutigen Form.[19] Die Zirku­lations­geschwin­dig­keit des Geldes in diesem Modell ist keine empirisch erfasste Größe, sondern eine abstrakte, über-aggregierte Rechen­resultante (Output dividiert durch Geldmenge), ein Wert von dem man nicht wissen kann was er konkret besagt. Dass sich die Zirkulationsgeschwindigkeit des Geldes verlang­samt habe, ist ein groteskes Rechenartefakt. Es resultiert daraus, dass die großen Geld­volu­men in Nicht-BIP Finanzen zirkulieren, nicht in der im Output sich wider­spiegeln­den Real­wirtschaft. Nur durch eine entsprechende Desaggregierung würde dieser Sachverhalt sicht­bar, ebenso, dass Geld durch IuK-technische Entwick­lungen und die hohe Konzentration im Banken­sektor noch nie so schnell zirkulierte wie heute.[20]

Was das Verhältnis von privatem und öffentlichem Sektor angeht, konnte man die letzten Jahrzehnte durchaus sagen, dass beide einander alimentieren. Die Abgabenquote (Steuern und Sozialabgaben in Prozent des BIP) ist in den altindustriellen Staaten seit dem Ersten Weltkrieg je nach Land bis 1975–90 gestiegen. Sie liegt seither mit geringen Schwankungen zwischen 25–30% (Schweiz, USA, Japan) und 45–50% (Frankreich, Schweden, Dänemark).[21] In Deutschland liegt die Abgabenquote gegen 40% des BIP.[22] Die damit finanzierten Ausgaben der öffent­lichen Haushalte fließen in private realwirtschaftliche Umsatzerlöse und Einkommen. In umgekehrter Richtung deckt der private Sektor mit seinen Steuern und Abgaben noch immer den weitaus größten Teil der Staatsausgaben.

Allerdings wird ein Teil der realwirtschaftlichen Einkommen aus der Realwirtschaft aus­ge­schleust, indem diese Mittel kumulativ gespart werden, teils stillgelegt in Spareinlagen und Termineinlagen bei Banken, zum größeren Teil in Anlagefonds, zu einem  geringeren Teil auch direkt in Aktien, Anleihen und Derivaten, im Gesamtbild überwiegend in Nicht-BIP-Finanzen.

Das mag bei wachsendem Wohlstand zunächst einer nützlichen Bildung von Rücklagen bzw Eigenkapital dienen, zumal ein Teil der Nicht-BIP Finanzen von Zeit zu Zeit liquidiert wird, um für realwirt­schaft­liche Ausgaben und Investitionen verwendet zu werden. Dennoch wird unterm Strich mehr Geld in Finanzkapital umgewandelt oder in Bankeinlagen deaktiviert als für realwirtschaftliche Zwecke reaktiviert. Wie im Zahlenteil berichtet, sind die aktiven Geldmengen in M1 ebenso wie die inaktiven Geldmengen in M2/M3 in den letzten Jahrzehnten um ein Mehrfaches des nominalen BIP gewachsen. Die Anlagen bei Vermögens­verwaltern (sowohl Schattenbanken als auch betreffende Abteilungen herkömmlicher Banken) wuchsen um ein Vielfaches der Bankeinlagen. Generell wuchsen die Finanz­ver­mögen, die bis um 1980 je nach Land um das Zweifache oder Vierfache des BIP pendelten, sprunghaft auf ein Mehrfaches davon.

Zudem entsteht ein einseitiges Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Sektor dadurch, dass der defizitäre Teil der Staatsausgaben durch Schuldenaufnahme beim privaten Sektor finanziert wird. Dadurch fließt ein entsprechender Teil der Staatsaus­gaben in die laufende Verzinsung und Tilgung fälliger Schulden. Die Gläubiger des kumulier­ten Schuldenbergs sind nur zu einem geringen Anteil private Haushalte und Firmen. Sie halten im internationalen Durch­schnitt nur um die 5–15 Prozent der Staatsanleihen. Etwa ein Drittel der Staatsanleihen bleibt im Besitz von Banken, während große Fonds und Versicherungen um die Hälfte besitzen. Als zusätzlicher Halter von Staats­anleihen in großem Umfang treten nun auch die Zentralbanken auf infolge der QE-Krisenpolitik bzw der indirekten monetären Staatsfinanzierung.

Das Gesamtbild hat sich dadurch noch nicht völlig verändert. Es ist weiterhin der private Finanz­sektor, der kumulativ von den Staatsschulden profitiert, wobei besonders die Hemi­sphäre der Nicht-BIP-Finanzen als Nutznießer dasteht. Dass der Sozialstaat einer ständigen Alimentierung des Finanz­kapitals dient, war so wohl nicht intendiert.

Wohlstand und Finanzwirtschaft

Private Finanzinstitute reinvestieren den Großteil ihrer Gewinne, soweit diese nicht an die Eigentümer ausgeschüttet werden, in Nicht-BIP-Finanzen. Auch die betreffenden Eigentümer legen einen Teil dieser Einkommen wiederum in Nicht-BIP-Finanzen an. Überhaupt werden die Nicht-BIP-Finanzen dadurch gespeist, dass der disponible Teil der Einkom­men der geho­ben­­en Mittelschicht und Ober­schicht – egal ob in der Real- oder Finanz­wirtschaft er­worben – in den Aufbau von Finanz­vermögen gesteckt wird. Ansonsten fließen die Ein­kom­men dieser Schichten in gehobene Statusausstattung und höherpreisigen Konsum. Beides – hoch­preis­iger Konsum und Finanzvermögen – verstärken rückwirkend die Ungleich­verteilung von Ein­kommen und Vermögen, mit der Zeit das Entstehen neuer sozialer Disparitäten und Spaltun­gen.

Die Frage, wie viel des laufenden Einkommens in Finanzanlagen fließt, hängt wesentlich vom allgemeinen Niveau der Einkommen und Vermögen sowie ihrer Verteilung ab. Wo es kaum Wohlstand gibt, wird es auch kaum Finanzanlagen geben. Wo dagegen ein hohes Maß an disponiblen Einkommen vorhanden ist, werden in entsprechend hohem Maß  Ersparnisse, Rücklagen, Eigenkapital, also Finanz- und Realvermögen gebildet. Ebenso werden diejenigen Sektoren der Realwirtschaft wachsen, welche die Nachfragemuster bedienen, die mit höheren Ein­kom­men und Wohlstand einhergehen. Dazu gehören höhere Bildung, medizini­sche Versorgung, Kulturkonsum, Reisen und kostspielige Freizeit­aktivitäten, Wohnqualität und Wohneigentum, eben Wohlstands- und Luxusnachfrage jeder Art.

Es konnte bisher nicht abschließend geklärt werden, ob Wirtschaftswachstum die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen verringert oder verstärkt. Wenn es gut geht, werden im Sinn des Pareto-Optimums alle besser gestellt, wenn auch ungleich viel besser, aber ohne jemanden schlechter zu stellen. In den 1950er Jahren bis um 1980 ging Wirtschafts­wachstum mit verringerter Ungleichheit einher. Mit dem Aufbau neuer Ver­mö­gen hat sich das geändert, generell mit dem Takeoff des Finanzmarkt­kapita­lis­mus um 1980. Seither geht ein BIP-überpropor­tionales Wachstum der Nicht-BIP-Finanzen mit zuneh­mender sozialer Ungleich­heit einher.[23]

Von daher lässt sich sagen, wo ein hohes Produktivitäts- und Wohlstandsniveau mit wachsender Ungleichverteilung des Wohlstands zusammentrifft, ist mit einem besonders ausgeprägten Wachstum der Nicht-BIP-Finanzen zu rechnen. Solange Sach- und Finanz­vermögen proportional zum Output und den Arbeitseinkommen wachsen, dürften bestehende Dispari­tä­ten kaum verstärkt werden. Wachsen jedoch Finanzeinkommen und Vermögen disproportional zum BIP, so beinhaltet dies eine verstärkte Ungleichheit der Einkommen und Vermögen.

Warum sind Nicht-BIP-Finanzanlagen lukrativer als BIP-Finanzen?

Die Frage, warum zunehmend mehr Geld in Nicht-BIP-Finanzen fließt, relativ weniger in BIP-Finanzen, ist vordergründig leicht beantwortet: weil im Bereich der Nicht-BIP-Finanzen höhere Gewinne oder schnellere Gewinne locken, bei gleichem oder sogar niedrigerem Risiko. Wie aber kann es sein, dass Nicht-BIP-Finanzen bezüglich Rendite und Risiko meist besser dastehen als BIP-Finanzen? Man kann dafür Gründe in beiden Hemisphären finden. Dazu gehören realwirtschaftlich eine lebenszyklische Sättigung vieler Märkte und dadurch zurück­gehende Wachstums- und Profitraten. Andererseits gibt es partiell immer wieder gegenläufige Ent­wick­lungen durch technisch-industrielle Neuentwicklungen und neue Handels- und Service­­angebote im Zuge des weiter­gehenden Strukturwandels.

Dagegen besteht in der Finanzwirtschaft die Möglichkeit, Finanzanlagen per Kredit zu finanzieren. Dabei wird nicht nur bereits vorhandenes Geld eingesetzt, sondern es kann dafür zusätzliches Geld geschaffen werden, sei es Bankengeld (Giralgeld) oder neue Zahlungsmittel dritter Stufe (z.B. Geldmarktfonds-Anteile, Stablecoins). Das BIP-disproportional gesteigerte Geldangebot wird seinerseits multipliziert durch die beschleunigte Zirkulation so geschaf­fenen Geldes durch neue IT (etwa automatisierter Hochgeschwindigkeitshandel) und neue Verbrief­ungs­methoden (etwa spezielle Zweckgesellschaften, Finanz­ver­mögens-besicherte Wertpapiere) oder durch herkömmliche und neuartige Derivate, die in beliebiger Vielzahl angeboten werden können.

Wenn Giralgeld erzeugender Kredit von Banken ebenso wie Giralgeld benutzender Kredit von Schattenbanken über­wiegend in die Nachfrage nach Nicht-BIP-Finanzen fließen, und die Mittel dafür erweitert und beschleu­nigt bereit gestellt werden, so nährt dieser Prozess selbst­bezüg­lich das Wachs­tum und die Gewinne dieser Nicht-BIP-Finanzen – so gesehen ein Ponzi-Muster. Dieses könnte für sich alleine gesehen eine endlose Geschichte abgeben, wäre da nicht die lästige Realwirt­schaft. Auch sie muss Wachstums- und Gewinnerwartungen genügen, die sie nicht immer erfüllen kann, während die wachsenden Nicht-BIP-Finanz­ein­kommen zuneh­m­end auch auf den realwirtschaftlichen Output zugreifen. 

Die finanzkräftige Nachfrage nach Gütern und Diensten gehobener Qualität bewirkt eine Auf­sprei­zung der Preisrelationen nach oben, besonders anschaulich zum Beispiel bei Immo­bilien. Die finanzkräftige Nachfrage trägt rückwirkend dazu bei, die Finan­zie­rung betreffen­der Angebote zu amortisieren, dies freilich mit einer Kaufkraft, die die meisten Arbeits­einkom­­men und daraus gebildete Ersparnisse aus dem Feld schlägt. So findet in der Tat das schon erwähnte Crowding-out realwirtschaftlicher Einkommen durch finanzwirtschaft­liche Einkom­men in Angebot und Nachfrage der Realwirtschaft statt. Im Vorfeld der franzö­sischen Revolution wurde Marie Antoinette die satirische Aussage unterschoben, wenn die Leute zu wenig Brot hätten, sollten sie doch Kuchen essen. Im gegebenen Zusammen­hang ließe sich dem Gros der Beschäftigten und Rentner raten, wenn ihr Einkommen nicht mehr ausreiche, sollten sie doch mehr Finanzeinkommen erzielen.

Inflation und Assetinflation

Seit J. Bodin gibt es die Quantitätstheorie der Inflation (1568). Sie besagt, wenn eine steigende Geldmenge ein nicht gleichermaßen wachsendes Angebot nachfragt, folgt daraus Preisauftrieb. Das entsprach der Erfahrung der spanischen Silberinflation jener Epoche. In den 1960/70er Jahren ist M. Friedman mit einer extremen Sicht der Sache hervor­getreten: 'Inflation is always and everywhere a monetary phenomenon‘.[24] Aber Inflation kann sich außer durch einen Überhang aktiven Geldes auch aus einer realen Faktorverknappung ergeben, zum Beispiel Mangel an Grund und Boden oder an Arbeitskräften. In der modernen Welt wird ein erhöhter Preis der Arbeit (Arbeitseinkommen) teilweise durch Geld­schöpfung per Kredit finanziert, was seinerseits ein steigendes Niveau der VPI nach sich ziehen kann.

Wenn auch als Schulbuchmodell übervereinfacht, die Quantitätstheorie beschreibt einen tatsächlichen Mechanismus. Mit dem Scheitern des Monetarismus mit den 1980er Jahren hat man das Kind mit dem Bad ausgeschüttet, vor allem im Postkeynesianismus, indem man die Geldmengen seither für geradezu irrelevant erachtet. Der Zusammenhang zwischen Geldmengen und Inflation sei verschwunden. Das ist kurzsichtig. Die Hälfte und mehr des nominalen BIP-Wachstums  von 2–3% besteht weiterhin aus Inflation in Höhe von 1–1,5%, und darüber hinaus hat es vor allem eine hohe Assetinflation gegeben.

Mit der Globalisierung seit den 1980er Jahren hat der internationale Aspekt in Form der importierten Inflation an Gewicht gewonnen, auch als importierte Disinflation. Neuindustrielle Länder, noch als Billiglohnländer, boten ein immer größeres Warenangebot billig an. So hat ein steigendes und oft billigeres Warenangebot mit steigenden Nachfrage-wirksamen Einkommen bei geringer Inflation Schritt gehalten.

Vor allem aber hat die neoklassische ebenso wie die keynesianische und postkeynesianische Ökonomik versäumt, die finanzielle Geldzirkulation in BIP-Finanzen und Nicht-BIP-Finanzen zu desaggregieren. Sobald man das tut, tritt zutage, dass das Nachfrage-wirksame BIP-überschießende Geld­mengen­wachstum vor allem im Bereich der Nicht-BIP-Finanzen stattgefunden hat, viel weniger im Bereich der BIP-Finanzen. Deshalb kam es zurückliegend vor allem zu wieder­holten Phasen von Assetinflation anstelle der zuvor üblich gewesenen stärkeren VPI.

Wie auch sonst bei positiver Markt-Rückkopplung ist Assetinflation hierbei mehr als nur Ver­mögens­­preisinflation, sondern auch Ausweitung und Ausdifferenzierung der Finanzassets nach Menge und Art. Die Blasen an Finanzmärkten sind nicht nur Preisblasen (nicht einmal unbedingt solche), sondern auch eine Mengenaufblähung ausdifferenzierter Finanz­kontrakte. Besonders deutlich ist dies bei Derivaten, neuen Verbriefungs­methoden, Ausweitung der Menge an Wertpapieren, vermehrten Fusionen und Übernahmen, vermehrten Börsengängen, oder ausgewei­tetem Immobilienangebot bei fortgesetzt steigenden Immobilien­preisen.

Grenzen der monetären Absorptionsfähigkeit der Wirtschaft. Überangebot an Geld als Fremdkapital. Tendenz zu Null- und Negativzinsen bei tendenzieller Stagnation 

Eine realwirt­schaftliche Konjunktur kann hinsichtlich Kredit, Investitionen, Verschuldung und Produktion überhitzen mit der Folge von Konjunkturkrisen. Eine vergleichbare Problematik besteht auch bezüglich Nicht-BIP-Finanzzyklen, die in gewissem Maß immer noch mit der Realwirtschaft zusam­men hängen.[25] Wie weit können Nicht-BIP-Finanzen sich zyklisch jeweils ausdehn­en, ohne dass ihr Nutzen (Rücklagen-, Eigenkapital-, Vermögens­bildung) zur Gefahr und zum Schaden für alle wird? Anders gefragt, wo liegen die Grenzen der monetären Absorptions­fähigkeit und der finanziellen Trage­kapa­zität einer Wirtschaft? Um sich dieser Problematik zu nähern, ist die Unter­scheidung zwischen Eigenkapital und Fremdkapital nützlich. Je nach­dem, ob ein Finanztitel Eigen- oder Fremdkapital darstellt, hat das monetäre und finan­zielle Über­schießen andere Folgen.

Im Handel mit Fremdkapital (Darlehen, Anleihen, andere Schuldpapiere) entsteht bei anhaltendem Geldangebots-Überhang eine Tendenz zu Niedrig- bis Nullzins. In künstlicher Fortsetzung dessen wird daraus auch die Erzwingung eines sog. Negativzinses. Bei der viel­zitierten savings glut handelt es sich genauer gesagt um ein Überangebot an Nicht-BIP-Finanzkapital als Fremdkapital. Die Tendenz dazu besteht seit um 1980. Die vorangegangene Inflations- und Hochzins-Phase hat sich seither in eine Disinflations- und Zinssenkungs-Phase umgekehrt. Mit den aktuell erreichten extremen Niedrigzinsen sind die Grenzen dieser Entwicklung erreicht und in Form von Negativzinsen teils schon überschritten worden. Die gegen­wärtige Meinung, Negativzinsen seien nur eine Fortsetzung üblicher Zinspolitik und  würden etwas Positives bewirken, ist eine rationalistische Fiktion, Ausdruck einer paradigmatischen Fixierung, die nicht wahr­haben will, dass sie mit dem aktuellen Zinsniveau auch ihre eigenen Grenzen erreicht hat.[26]  

Welche Bankkunden sind bei Negativzins freiwillig bereit, längerfristig Depositen zu halten? wer als Gläubiger, zu negativer Rendite Geld zu verleihen? Bisher hat das nur bei japanischen und europäischen Staatsanleihen funk­tioniert. Die negative Rendite für den Gläubiger ergibt sich aus einem  Niedrigst- oder Nullzins kombiniert mit einem Rückzahlungs-Abschlag (oder Auszahlungs-Aufschlag) für den Schuldner. Käufer solcher Staatsanleihen machen dadurch einen Verlust. Dass institutionelle Anleger dies bisher trotzdem getan haben, hat unterschiedliche Gründe. Das Portfolio von Renten­fonds besteht bislang noch aus einem gewissen Mix von alten rentablen und neuen unren­tab­len Staats­anleihen, sodass sich noch ein gewisser Gesamtgewinn ergibt. Ungeachtet dessen sind manche Fonds, speziell auch Pensionsfonds, per Statut verpflichtet, in Staats­anleihen anzulegen. Zudem scheint es in Zeiten finanzieller Unsicherheit klüger, Geld mit einem vorerst noch kleinen Verlust relativ sicher in Staats­anleihen anzulegen als deutlich höhere Risiken auf über­kauften Aktien- und Immobilien­märkten einzugehen.

Die Situation wird nicht so bleiben. Verharrt das Zinsniveau um null, werden viele Renten­fonds ihre Statuten ändern oder schließen müssen. Finanzminister werden wieder höhere Positivzinsen zahlen müssen, oder ihre Anleihen unter par anbieten müssen, um sie am Markt unter­zubringen. Das wird den öffentlichen Haushalten angesichts der hohen Schuldenstände Probleme bereiten und in manchen Ländern ernstliche Budgetkrisen und politische Verwerfungen auslösen. Was dann?

Dann geschieht in noch größerem Umfang was längst eingesetzt hat: Die indirekte monetäre Staatsfinanzierung wird zum Normalfall. Die Zentralbanken fahren damit fort, einen immer größeren Anteil der Staatsanleihen aufzu­kaufen. Oder Staaten gehen gleich dazu über, das Tabu der Staatfinanzierung direkt zu brechen – wie in England, wo der Regierung auf ihrem Trans­aktions­konto bei der Bank von England seit Ostern 2020 ein unbegrenzter Dispokredit einräumt wurde. In Kanada handelt die Zentralbank als Auktionator der Staatsanleihen, wobei sie 20% jeder Emission direkt in ihre Bilanz nimmt.[26b]

Niedrige Zinsen sind normalerweise Aus­druck eher schwacher als starker Wachstums­aussichten und VPI. Das bleibt so, solange der Geld- und Kapitalüberschuss im Bereich der Nicht-BIP-Finanzen aktiv ist und Niedrigzinsen zusammen mit Assetinflation erzeugt. Sollte dagegen bisher Nicht-BIP-aktives Geld nun vermehrt realwirtschaftlich aktiv werden, ohne dass es aus der Realwirtschaft selbst heraus stärkere Wachstums- bzw Strukturwandel-Impulse gibt, so resultiert daraus Stagfla­tion – oder ein gespaltenes Wachstum mit gespaltener VPI, derart, dass Segmente des gehobenen Verbrauchs und ihre Preise zulegen, der Rest der Wirtschaft aber eher stagniert. Es sieht danach aus, dass eine solche gespaltene Entwicklung gegenwärtig bereits besteht, und zwar hinsichtlich des Immobiliensektors und den Segmenten hochpreisigen Konsums und Lebensstils.  

Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Erwartung, niedrige bis negative Zinsen würden die Realwirtschaft stimulieren, als irreführende Halb­wahr­heit. Es ist vor allem der Handel mit Eigen­kapital, der von Niedrig- und Nullzinsen profitiert. Dagegen stellen Niedrig- bis Negativzinsen für den Handel mit Fremdkapital, BIP-Anlagen und für die Realwirtschaft keineswegs automatisch einen Anreiz dar. Eher im Gegenteil. Vor allem Negativzins auf Geldbesitz und Negativrenditen auf Anleihen sind ein Programm zur Förderung realwirtschaftlicher Stagnation, je höher und je breiter allen Akteuren auferlegt, desto demotivierender und kontrahierender. Am Ende dient Negativzins nur der Geld­ab­schöpfung zuguns­ten des Gewinns der Banken und Zentralbanken. In der Tat ähneln Negativ­zinsen mehr einer kontraproduktiven Geldsteuer als einem Zins oder einer Kontoverwaltungsgebühr.

Grenzen der finanziellen Tragekapazität der Wirtschaft. Überangebot an Geld zum Erwerb von Eigenkapital. Tendenz zu Assetinflation und Finanzkrisen

Eigenkapital kann Wertzuwächse erfahren, die über eine normale Verzinsung, Divi­den­den, Mieten und Pachten weit hinaus gehen. So beflügelt das extrem niedrige Zinsniveau vor allem Immobilien­-Transaktionen. Immobilien sind heute hochgradig finanzialisiert. Sie dienen in erster Linie der Kapitalanlage, die auf Wertsteigerung angelegt ist, ein Teilbereich der Nicht-BIP-Finanzen.[27] Der realwirtschaftliche Hausbau hat davon auch ein Stück weit profitiert, inzwischen bei stark steigenden Grundstückspreisen und Baukosten jedoch mit abnehmender Tendenz. Der Anreiz, mit billigem Geld auf erwartete Kapital­wertsteigerungen zu setzen, gilt in sinnge­mäßer Weise auch für Preissteigerungen bei Aktien und Rohstoffen.

Zum Beispiel Aktien. Dividenden spielen weiterhin eine Rolle, aber zum wichtigeren Faktor ist die erwartete Kurs­steigerung geworden. Zwar spielt der realwirtschaft­liche Erfolg im Wettbewerb der Aktien untereinander eine Rolle, aber es sind in erster Linie doch die Wachstums­erwart­ungen, die für oder gegen eine bestimmte Aktie sprechen. Die daraus folgende steigende Nach­frage nach Aktien treibt die Kurse. Wie weit dem ein reales Wachstum folgt, steht oft noch in den Sternen, aber der Marktwertzuwachs des betreffenden Kapitalstocks ist erst einmal vorhanden.

Alle Beteiligte wissen, dass eine Kurs-Gewinn-Kennziffer nicht in den Himmel wächst, und dass mit dem Kurs auch das Risiko zunimmt. Bis wohin, das kann man nie wissen. It works until it doesn't. Dafür weiß man, was es sein wird: ein Kursrutsch, eine Vernichtung von Finanzkapital, vielleicht nur partiell und begrenzt, vielleicht aber auch als der nächste große Finanz­krach samt dadurch aus­ge­löster Wirtschaftskrise. Die Hauptursachen dafür finden sich stets in Überkreditierung (auf Basis hyper­trophierender Geldschöpfung und Finanzierungs­verfahren), Überinvestment und Über­schuldung.

Das damit verbundene Finanzmarktversagen als Dynamik der Selbstübersteigerung ist in Minsky's Finanz-Instabilitäts-Theorie dargelegt worden, insbesondere dem finalen Ponzi-Stadium einer solchen Fehl­entwicklung (exponentieller Schneeballeffekt).[28] Shiller hat in seiner Feedbacktheorie der Finanzkrisen dafür den Ausdruck irrational exube­rance geprägt.[29] Es hat diese Zusammen­hänge im Kapitalismus schon immer gegeben, als Form von crowd madness wie die holländische Tulpenmanie 1636/37, die franzö­sische Mississippi Blase und die englische South Sea Bubble, beide 1720,  der Gründerkrach im Deutschen Reich und Österreich-Ungarn 1873, der New Yorker Schwarze Freitag 1929, bis hin zur Dotcom Bubble 2000 und dem Subprime Crash 2008. Aber unter den heutigen Bedingungen gleichsam unbegrenzten und spottbilligen Geldes sieht es fast so aus, als sei die Sache von der seltenen Ausnahme zur neuen Normalität der Finanzwirtschaft geworden.

Beim Handel mit Geld (Geldwechsel, Devisen) liegen die Dinge anders. In gewisser Weise handelt es sich um ein buchstäblich alttestamentarisches Gewerbe, Zeitalter bevor es seit dem Spätmittelalter übertragbare Schuldscheine gegeben hat (Fremdkapital) und seit vierhundert Jahren einen Handel mit Aktien (Eigenkapital). Dennoch, seit dem definitiven Ende des Gold-gebundenen Dollars 1971/73 und der weit­gehenden Freigabe der Währungs-Wechselkurse seither, ist die heutige Devisen­speku­lation historisch ohnegleichen. Das Volumen des Devisenhandels beläuft sich auf das Mehrhundert­fache des grenz­überschreitenden realwirtschaftlichen Handels mit Gütern und Diens­ten.[30]

Schließlich der Handel mit Derivaten (Optionen, Futures, Swaps). Derivate können sich auf alle Arten vorgenannten Handels mit Eigen- und Fremdkapital, Zinsen und Devisen beziehen. Ihr ursprünglicher Nutzen liegt darin, Preise für Vieh, Getreide usw. in die Zukunft hinein abzu­­sichern. Das erfüllen Derivate auch heute noch in erweiterten Anwendungen, zum Beispiel als Kredit­ausfallversicherung (die freilich selbst Konkurs macht, wenn zu viele Kredite auf einmal ausfallen). Darüber hinaus aber hat sich der Derivatehandel heute in stellarer Weite von seinem eigentlichen Zweck entfernt. Der Nennwert aller Derivate belief sich schon 1990 auf das 10fache des Welt-BIP und wuchs bis 2008 auf das 55fache.[31] Bei nur 2% der Kontrakte kommt es zur Ausübung, der Rest wird vorfällig glatt gestellt. Das heißt, 98% des Derivate­handels sind reines Wettgeschäft im 'globalen Kasino' (Keynes).[32] Unter den Teilnehmern ist es ein Nullsummenspiel, das heißt, jemandes Gewinn ist jemand anderes Verlust. Selbst große Finanzinstitute sind durch solche Wettspielverluste schon in die Bredouille geraten.    

Nicht-BIP-Finanzen sind nicht neutral

Das Wettspiel im Derivate-, Devisen- und Eigenkapitalhandel wäre vielleicht nicht sonderlich bemerkenswert, wären davon nur die beteiligten Spieler tangiert. Jedoch ist die Über­schießens­dynamik der Nicht-BIP-Finanzen keineswegs neutral gegenüber der Realwirt­schaft. Es kommt zu Entwicklungen, die teils sozial desintegrativ und ungerecht, teils ökonomisch dysfunktional sind.

Sozial desintegrativ und ungerecht ist die Sache im Sinn der Leistungsgerechtigkeit. Nicht-BIP-Finanz­gewinne besitzen die gleiche Kaufkraft wie Arbeitseinkommen und gewähren denselben Zugriff auf das realwirtschaft­liche Angebot. Das Angebot selbst wird dabei rückwirkend verändert in Richtung einer gespal­tenen Preis- und Konsumstruktur. Selbst wenn die Arbeitseinkommen absolut nicht sinken, so werden sie von den stärker steigenden Nicht-BIP-Finanz­einkünften doch abgehängt. Darin liegt selbst bereits ein Stück ökono­mischer Dysfunktion, insoweit ein 'ständisch' gegliedertes Angebot weniger Gesamt­wirt­schafts­potenzial besitzt als eine sozial und marktlich breiter aufgestellte Angebots- und Verbrauchsstruktur. 

Dysfunktional wirkt die Überschießensdynamik der Nicht-BIP-Finanzen nicht zuletzt durch die oben beschrie­bene generelle Tendenz zu finanziellen Über­invest­ments und Über­schuld­ung samt den daraus resultierenden Finanzmarkt- und Wirtschaftskrisen. Nach einer Studie der Deutsche Bank Markets Research zu 400 Jahren Finanzkrisen treten diese heute deutlich häufiger und schwerwiegender auf als in früheren Epochen.[33] Nach einer anderen viel zitierten Studie des IWF kam es in der Zeit von 1970 bis 2007 weltweit zu 425 nationalen und internationalen Finanzkrisen – davon 145 systemi­sche Bankenkrisen, 72 Staats­schulden­krisen und 208 Währungskrisen.[34] Solche Krisen sind keine 'bereinigenden Ge­witter' mit positiver Wirkung, sondern sie vernichten außer Finanzkapital auch Sachkapital und bedrohen die Existenz von Firmen und die berufliche und private Existenz vieler Menschen.

Was tun?

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Finanzkrisen wird man auch in Zukunft nicht verhindern können. Man soll es auch nicht wollen, denn trotz der Gefahr ihres Überschießens haben Nicht-BIP-Finanzen für die Bildung von Rücklagen und Eigenkapital eine konstruktive Funktion im Lebens­zyklus von Firmen und privaten Haushalten. Die sachgemäße Frage lautet: Wie lässt sich finanzzyklisch einem maßlosen Überschießen der Nicht-BIP-Finanzen besser vorbeugen? wie eine solche Dynamik eindämmen? sinngemäß analog zur Entschärfung der realwirtschaftlichen Konjunk­turkrisen, die im 19. und noch im 20. Jhd schwerwiegend sein konnten.

Geldsystem

Die wichtigste Grundbedingung einer erfolgreichen Finanzmarktpolitik besteht darin, eine wirksame Kontrolle über das Geld zu erlangen, genauer, über die Geld­schöpfung und die laufende flexible Readjustierung des Geldbestands. Kontrolle der Geldschöpfung bedeutet noch nicht Kontrolle der Geldverwendung, außer vielleicht hinsichtlich der Erstverwendung des Geldes. Die Aufgaben monetärer Steuerung sind im Lauf der Zeit den nationalen Zentralbanken zugefallen, zumindest der Absicht nach. Auch dort, wo die Zentral­banken immer noch korporative Institu­tionen kommerzieller Herkunft sind, unterliegen sie in den wesentlichen geld­politi­schen und personellen Belangen inzwischen doch öffentlichem Recht.

De facto aber ist es im bestehenden Giralgeldregime der Bankensektor, aufsteigend auch der Schattenbankensektor, der die Geldmengen bestimmt und damit die re-aktive Geldpolitik der Zentral­banken vorbestimmt. Solange die Situation so bleibt, wird man finanzmarkt­politisch nicht viel erreichen und sich in aufsichtsbüro­krati­scher Regulierung von nachrangiger Bedeutung verlieren wie zum Beispiel den Basel Regeln zum Eigenkapital und der Liquidität der Banken unter Bedingungen fraktionaler Reservehaltung. QE hat die Situation erst einmal gerettet, aber nicht bereinigt. Was bei Ausbleiben einer grundlegenden Änderung des Geldsystems notfalls noch übrig bliebe, ist das Instrumentarium der Kapitalverkehrskontrollen und Kredit-Globalsteue­rung durch die Zentralbanken. Auch in den westlichen Marktwirtschaften war das im und nach dem Zweiten Weltkrieg teils noch bis in die 1960er durchaus üblich. Eine Vorzugsoption liegt darin sicherlich nicht.

Die effektivste Kontrolle über das Geld ermöglicht eine reine Vollgeldordnung, ein Geld­mono­pol der Zentralbank ohne konkurrierende private Zahlungs­mittel. Langfristig ist das nicht auszuschließen, denn anders wird man bestimmte Dysfunk­tionen, die in monetärer Überschießensdynamik wurzeln, nicht in den Griff bekommen. Kurzfristig ist mit einer kompletten Vollgeldordnung wohl nicht zu rechnen. Was sich aktuell anbahnt, ist ein erneuertes gemischtes Geldsystem durch die Einführung von digitalem Zen­tral­­bankgeld, im Euroraum einem digitalen Euro (= Central Bank Digital Currency CBDC = digitales Vollgeld).[35] Dieses soll ein universales Zahlungsmittel sein, das heißt, für den allgemeinen uneingeschränkten Gebrauch von Banken und Nichtbanken zugleich. Das digitale Vollgeld der Zentralbank und das weiterbestehende Giralgeld der Banken koexistie­ren und konkurrieren miteinander.

Faktisch übernimmt damit das digitale Vollgeld die frühere Rolle des Bargelds. Dieses geht schneller oder langsamer seinem Ende entgegen, abhängig davon, wie lange das Publikum Bargeld noch in einem Umfang verwendet, der eine kosten­deckende Aufrecht­erhaltung der Bargeld-Infrastruktur erlaubt. Eine andere Frage ist, ob das unbare Zentral­bank­geld das unbare Bankengeld mit der Zeit verdrängt. Gewiss jedoch wird das Zentralbankgeld im allgemeinen Gebrauch gegenüber dem Bank­engeld relativ an Gewicht gewinnen. Infolgedessen wird die Wirksamkeit der Geld­politik in dem Maß wieder zunehmen wie der Anteil des digitalen Vollgelds an der Geldmenge M1 wächst.

Zugleich kommen die neuen privaten Geld­surrogate hinzu, gegenwärtig in Form von MMFs, E-Geldern und Stable­coins. Aufgrund ihrer schon bestehenden und anstehenden Regulie­rung, steht die Gefahr, sie könnten ausufern und eine entsprechende Krisendynamik ent­falten, nicht wirklich im Vordergrund. Jedoch steht zu erwarten, dass die anfängliche Vielfalt solcher Zahlungsmittel auf Dauer von einem Oligopol nur weniger, aber umso gewichtigerer Privatwährungen aufgeht. International stünden diese jenseits staatlicher Geldhoheit. Das hat sich proto­typisch mit dem ersten Plan einer Facebook Stablecoin (Libra) von 2019 schon angekündigt.

Solchen Entwick­lungen lässt sich dadurch vorbeugen, dass die neuen Geld­surro­gate bestimmte Bedingungen erfüllen:
- Sie müssen auf eigenen Namen lauten, nicht in offizieller Währung denominiert sein.
- Sie sind 1:1 mit Zentralbankgeld gedeckt, nicht mit Bankengeld oder anderen Geld­surro­gaten.
- Die der Deckung dienenden Zentralbankgelder mögen zu einem kleinen Teil für anderweitige Geschäfte verwendet werden, aber
- Zentralbank oder Regierung dürfen unter keinen Umständen und in keiner Weise für die betref­fenden Geldsurrogate einstehen. (Das Bankengeld wäre längst verschwunden, hätten Zentralbank und Regierung es nicht ein ums andere Mal gerettet und damit seiner Dominanz und seinem parastaatlichen Status den Weg bereitet).
Sind die genannten Bedingungen erfüllt, verfügt die Zentralbank über einen berechenbaren Transmissionsweg, über den sich ihre Geldpolitik auf die neuen Geldersatzmittel überträgt.  

Die voraussichtlich weiterhin praktizierte indirekte monetäre  Staatsfinanzierung lässt sich mit der Einführung von digitalem Zentralbankgeld vorteilhaft verbinden. Die Zentralbank kann ihre Offenmarktkäufe von Staatsanleihen mit digitalem Vollgeld (CBDC) bezahlen, seien die Ver­käufer, die dieses Geld direkt erhalten, außer Banken auch Schattenbanken, Firmen oder private Haushalte. Zugleich können die gegenwärtig über­schüssigen Reserven der Banken in digitales Zentralbankgeld wechselbar sein bzw einem Dual use geöffnet werden, eben als herkömmliche Überschuss­reserven oder aber als digitales Vollgeld in der Verwen­dung von Banken und Nicht­banken.

Mit dieser Art von gemischtem Geldsystem, in dem Zentralbankgeld zunehmend an Gewicht gewinnt, ist geld- und finanzmarktpolitisch schon viel gewonnen. Denn Finanzinstitute können dann nicht mehr in dem Maß wie bisher zusätzliches Geld gleichsam per Knopfdruck bereitstellen, sondern müssen Kredite und Investments weit mehr als bisher aus dem schon vorhandenen Geldangebot finanzieren. Das alleine schafft wohl noch kein ganz aus­balan­cier­tes Level playing field zwischen BIP- und Nicht-BIP-Finanzen, trägt aber wesentlich zu einem solchen bei. Für diese Erwartung spricht der eingangs erwähnte Sachverhalt, dass in den USA und Europa die Finanzvermögen bis um 1980 sich in einer gewissen Bandbreite in einem relativ gleich bleibenden  Verhältnis zum BIP entwickelten und sich erst seither dispro­por­tio­nal davon entfernten. Ähnliches gilt für die Immobilienpreise, die inflations­bereinigt bis um 1980 kaum anstiegen, seither aber real in die Höhe geschossen sind.     

Geldpolitik

Trotz QE und monetärer Staatsfinanzierung werden die Zentralbanken in ihrem eigenen Interesse versuchen, sich auf Geldpolitik zu beschränken. Dennoch gilt: auch Geldpolitik ist Politik. Leitende Funktionen der Zentralbank sind politische Ämter, gewiss für Sachkundige, aber nichts für 'Technokraten', wie in Verkennung der politischen Natur der Sache immer wieder verlangt wird. Geldpolitik und Fiskalpolitik können kooperieren, aber ihre Zuständig­keiten und die Grenzen zwischen ihnen dürfen nicht verschwimmen.

Geldpolitisch werden die Zentralbanken nicht länger umhin können, den Kranz der für sie relevanten Sachverhalte und Indikatoren zu erweitern, teils auch das anzuwendende Instru­mentarium. Die EZB hat ihr Mandat zunehmend auf Preisstabilität (VPI) verengt. Dabei sieht das EU-Recht vor, auch die Wirtschaftspolitik zu unterstützen soweit sich das mit Geld- und Finanzstabilität vereinbaren lässt (AEUV Art. 127). Die Geldpolitik der US Federal Reserve und die Finanzpolitik des US Treasury legen deutlich größeren Wert auf ihren Beitrag zur Wirtschafts- und auch Währungs­politik.

Eine weitere Zentralbankfunktion – nicht direkt de jure, aber de facto – besteht neuerdings darin, die Liquidität und Solvenz systemisch relevanter Finanzinstitute zu gewährleisten. Solange Banken Giralgeld auf einer fraktionalen Reservenbasis in Umlauf geben, wird man daran vermutlich festhalten. Da die Zentralbanken aber nicht nur Bank der Banken und der Finanzwirtschaft sind, sondern auch Bank des Staates, sollte die faktische Liquiditäts- und Solvenzstützung ausdrücklich auch für den Staat gelten. Die Zentral­banken üben diese Funktion mittels der indirekten Staatsfinanzierung durch QE faktisch bereits aus.

Ein Thema, bei dem die Zentralbanken sich bisher nicht für zuständig halten, ist Asset­inflation, also das Wachstum der Vermögenspreise und der Nicht-BIP-Finanzen. Dabei ist Assetinflation offensichtlich doch der eine Teilbereich der Preisniveaustabilität, dessen anderer Teil in der VPI besteht. Die Einbeziehung von Assetinflation verlangt ein erwei­tertes analytisches Rüstzeug. Teils ist es schon vorhanden, zum Beispiel empirische Metho­den des Bubble spotting, teils muss es noch entwickelt werden, zum Beispiel, um etwas genaue­res über die Grenzen der monetären Absorptionsfähigkeit und der finanziellen Tragekapazität der Wirtschaft sagen zu können.

Der Kranz der geldpolitisch relevanten Bezugsgrößen, die gegeneinander abzuwägen sind, erweitert sich also: VPI, Assetinflation, Außenkurs und internationale Stellung der Währung, Zinsen, Realwirtschaft und Beschäftigung, sowie Nicht-BIP-Finanzen – bei übergreifender und ausgewogener Gewährleistung der Liquidität in den staatlichen und privaten Wirt­schafts­bereichen, für BIP- und Nicht-BIP-Finanzen. Die Geldmenge selbst ist kein Ziel, sondern ein Instrument der Geldpolitik, kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Erreichung einer bestmöglichen Balance der vorgenannten Bezugsgrößen. Nicht nur in dieser Hinsicht lag der Monetarismus völlig falsch.

Die EZB hat ihren gesetzlichen Auftrag, für Preisstabilität zu sorgen, bisher dahingehend ausgelegt, sie müsse sich eine operative Zielvorgabe von 2% VPI setzen. Sie könnte sich ebenso gut auf ein bestimmtes Zinsniveau festlegen. Während des Monetarismus glaubte man, sich ein bestimmtes Wachstum der Geldmengen M1, M2, M3 vorgeben zu sollen. Der Erfolg der Geldpolitik wird so am (Nicht-)Erreichen der jeweiligen Zielvorgabe gemessen. Solche operativen Vorgaben sind zu hinter­fragen, schon alleine deshalb, weil Zentralbanken solche Bezugs­größen vielleicht ein Stück weit beeinflussen können, sie diese aber nicht effektiv kontrol­lieren und gesetzte Zielwerte wunschgemäß herbeiführen können.

Es wäre angemes­sener, die Entwicklung der für die Geldpolitik relevanten Bezugsgrößen fort­laufend gegeneinander abzuwägen, so die Situation zu bewerten und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, und dies dementsprechend öffentlich zu kommunizieren. Die Öffent­lich­keit würde Sinn und Zweck einer solchen Abwägung vermutlich besser verstehen als einen scheinbar konkreten, in Wirklichkeit aber abstrakt bleibenden Zielfetisch '2% Inflation'. Natürlich gäbe es öffentliche Diskussionen zur jeweiligen geld­politi­schen Gewich­tung der verschieden­en Faktoren. Das ist erwünscht. Moderne Zentralbanken müssen in ihren geldpolitischen Entscheidungen zwar unabhängig gestellt sein vergleichbar der Unab­hängig­­keit der Justiz, aber sie stehen deshalb nicht außerhalb der res publica.

Was die Instrumente der Geldpolitik angeht – mengen- oder zinspolitischer Art – so sollte monetäre Staatsfinanzierung in begrenztem Rahmen zu einem Regeltool werden. Dies sollte, wie schon erwähnt, mit der Inumlaufbringung von digitalem Zentralbankgeld (CBDC) für den allge­meinen Gebrauch verknüpft werden, indem die betreffenden Gelder in digitalem Zentralbankgeld ausbezahlt werden.

Zinspolitik bedeutet, Bankenkredit und Geldmengen durch Zentralbankzinsen zu steuern. Von einer Steuerung kann man im heutigen Giralgeldregime allerdings nur beim Inter­banken­kredit sprechen, ansonsten nicht mehr. Jedoch kann man damit rechnen, dass die Geldpolitik dies­be­züglich in dem Maß an Wirksamkeit zurück­gewinnt wie der Anteil von Zentralbankgeld gegenüber Bankengeld und anderen Zahlungs­mitteln wieder zunimmt. Dies deshalb, weil dadurch der Mengenhebel, und mit ihm die Transmissionswirkung des Zentralbankzinses wieder an Gewicht gewinnt. Man wird darauf zurückkommen, dass es wirksamer ist, Zinsen durch Mengen zu beeinflussen als umgekehrt Mengen durch Zinsen. Ein solches Comeback der Mengen­politik wäre ebenfalls Ausfluss der QE-Politik der zurück­liegenden Jahre, denn die QE-Maßnahmen sind ein schlagendes Exempel zinswirksamer Mengenpolitik.

Finanz-Transaktionssteuer

Finanz-NGOs setzen sich seit langem für die Einführung einer Tobin-Steuer ein, d.h. einer Steuer auf Devisentransaktionen, benannt nach dem Ökonomen James Tobin. Keynes hatte Mitte der 1930er Jahre eine Kapitalverkehrssteuer im Aktienhandel vorgeschlagen, in der Absicht, Exzesse im 'globalen Kasino' einzudämmen. Solche Steuern auf Börsen­umsätze und sonstige Wertpapier­trans­aktionen gab es in verschiedenen Ländern lange, zum Beispiel im Deutschen Reich die sog. Stempelsteuer. Im Zug der internationalen Kapital­verkehrs-Deregulierung seit um 1980 wurden die meisten dieser Steuern abgeschafft. Das trug zur Entfesselung der Finanzmärkte das seine bei.

Im Versuch, den Fehler zu korrigieren, beschlossen in 2013 elf EU-Staaten, eine Umsatz­steuer auf alle Arten von Finanztrans­aktionen einzuführen, freilich nach eigenem Ermessen. In der Folge sprangen einzelne Länder ab, andere zögern weiterhin, oder wollen eine spezielle, keine allgemeine Transaktions­steuer. Inzwischen gibt es in sieben dieser EU-Länder die ein oder andere abgespeckte Version vor allem auf den Kauf von Aktien und Anleihen börsennotierter Unternehmen in Höhe von 0,1–0,3%, teils auch auf einzelne Arten von Derivaten in Höhe von 0,01%.

Die Politik übt Zurück­haltung aus Sorge, die internationale Stellung des eigenen Finanz­platzes zu schwächen. Von den niedrigen Steuer­sätzen geht aber kaum eine Lenkungs­wirkung aus. Es erhöht sich die allgemeine Steuerquote, während sich an der besteuerten Sachlage nicht wirklich etwas ändert.

Gerechtfertigt wäre eine wirksamere Finanz-Transaktionssteuer schon alleine aus dem Grund, die einzige noch vor­han­dene Lücke in der Systematik der Umsatzsteuern zu schließen. Es gibt eine Mehrwertsteuer auf Güter und Dienste, Grunderwerbssteuer, Versicherungsteuer und noch einige kleinere Ver­kehrsteuern, aber eine Finanz-Transaktions­steuer gibt es nicht oder nur sehr partiell und geringfügig. Eine ernst zu nehmende Finanz-Transaktionssteuer sollte eine allgemeine Steuer auf alle Arten von Finanztransaktionen sein, wenn auch in jeweils unterschiedlicher Höhe (Aktien/Anleihen, Devisen, Derivate). Die zusätzliche Besteuerung sollte aufkommensneutral umgesetzt werden. Das könnte zum Beispiel bedeuten, im Gegenzug die Mehr­wert­steuer­sätze auf realwirtschaftliche Güter und Dienste zu senken. 

Haltefristen

Im Hinblick auf Überhitzungsphasen der Finanzmärkte ist ein weiteres Instrument denkbar in Form von Haltefristen für Devisen- und Wertpapiertransaktionen. Damit ist ein befristetes Haltegebot gemeint. Wird ein bestimmter Finanzkontrakt gekauft, muss er eine bestimmte Zeit lang gehalten werden ehe er wieder veräußert werden kann.

Haltefristen sind eine ordnungsrechtliche Maßnahme, als solche eine Alternative, oder auch Ergänzung, zur Finanz-Transaktionssteuer als einer fiskalischen Maßnahme. Eine Haltefrist geht weiter als die bisher bekannten steuerlichen Spekulationsfristen. Zum Beispiel gibt es für Wohneigentum eine steuerliche Spekulationsfrist von zehn Jahren. Wenn man danach verkauft, ist der Erlös steuerfrei; wenn vorfristig verkauft, ist der Erlös zu versteuern. Eine Haltefrist hat mit Besteuerung nichts zu tun.

Haltefristen sind temporär und variabel anwendbar. Sie sind nicht als stehendes Gebot gedacht. Wie lange Haltefristen ggf zu wählen sind – ob Minuten, Stunden, Tage oder Wochen – wäre für verschiedene Arten von Transaktionen im jedem Anwendungsfall zu spezifizieren. Eine solche Fristen­­politik wäre auch wirksam im Hinblick auf den inter­natio­nalen 'Wanderzirkus' von Nicht-BIP-Hotspots. Diese können großen Schaden anrichten wie zum Beispiel in der Asienkrise 1997/98.

Gestufte Zinsen für BIP- und Nicht-BIP-Finanzen

Die EZB hat mit den TLTRO Programmen zur Förderung von Bank­kredit an realwirtschaftliche Firmen einen neuen Weg beschritten. Das Programm unterscheidet faktisch zwischen Kredit für BIP-Finanzen und Nicht-BIP-Finanzen und beinhaltet die Besserstellung von BIP-Finanzen in Form vorteilhafterer Konditionen (Zinssatz, Laufzeit).[36] Das Prinzip gestufter Zinsen zum Vorteil der BIP-Finanzen ist sicherlich weiter ausbaufähig und sollte auf Dauer gestellt werden.

Das TLTRO-Programm hat gezeigt, dass es rege nachgefragt wird. Gestuft sind hierbei erst einmal die Zentralbankzinsen. Eine stärker wirksame Maßnahme wird daraus, wenn Banken und Schattenbanken aufgetragen wird, die gestuften Konditionen ihrerseits auf Kunden­geschäfte zu übertragen. 'Grüne TLTROs', wie von Positive Money Europe vorgeschlagen, lassen sich in einem solchen Rahmen vorteilhaft unterbringen.[37]

Kredit-Plafonierung statt Trennbankensystem

Eine US-amerikanische Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise der 1930er war die Einführung eines Trennbankensystems. Die Banken mussten sich entscheiden, ob sie künftig entweder als Geschäfts­bank tätig sein wollten, also als Bank, die ihre Kredite in selbst geschaffenem Giralgeld ausbezahlt, bei geringer Refinanzierung in Zentralbank-Reserven, oder aber als Investmentbank ohne Zentralbank-Refinanzierung. Beides zusam­men sollte nicht mehr möglich sein. Dadurch wurde die Finanzierung des Wertpapierhandels der Investmentbanken durch Giralgeld­schöpfung im Eigengeschäft unterbunden.

Allerdings wurde die Kreditaufnahme der Investmentbanken bei Geschäftsbanken zwecks Aufhebelung von Wertpapiergeschäften nicht verboten. Damit war klar, dass eine solche Trennbanken­ordnung ihren Zweck nicht wirklich erfüllen würde. Die Kredit­auf­nahme erhöhte zwar die Kosten der Investment­banken, aber anschein­end nicht bis zu der Preisschwelle, ab der sich etwas grundlegend geändert hätte. In Europa blieb es beim Universal­bankenprinzip. Die US Trennbanken-Gesetze wurden bald gelockert (u.a. wurden Invest­ment­banken wieder zur Zentralbank-Refinanzierung zugelassen) und schließlich 1999 von Clinton ganz aufge­hoben. Eine Trennung von Darlehens- und Investmentgeschäft ist grundsätzlich wenig sinnvoll. Worauf es kommt, ist die Trennung von Geldschöpfung und finanzwirtschaftlicher Geldverwendung. Das ist es u.a., was eine Vollgeldordnung leistet.

Um Nicht-BIP-Leverage, Assetinflation und Blasen­bildung einzudämmen, gibt es als Alter­native zum Trenn­bankenansatz ein einfacheres, nur momentan etwas in Vergessenheit geratenes Instrument: eine Kreditplafo­nie­rung durch die Zentralbank, wenn die Umstände es erfordern. Eine Kredit­ver­gabe bzw die Geldanlage oder Mittelannahme für bestimmte Arten von Finanz­geschäften (ein­schließlich Immobilien­handel nicht zur Eigen­nutzung) kann gegebenenfalls eine gewisse Zeit lang gedeckelt werden. Eine betref­fende Plafonierung kann der Verände­rung der Lage variabel angepasst, straffer angezogen oder gelockert, und schließlich wieder aufgehoben werden.

Eine Plafonierung, oder auch Kontingentierung, ist ein starker Eingriff in die Kapital­märkte, wenn auch nicht so extrem wie Preisadministrierung oder ein Preisstopp oder gar Handels­verbot. Dennoch gehört eine Plafonierung zu jenen Instru­menten, die als ultima ratio in Frage kommen können – in einer Situation, in der es besser ist beizeiten und resolut zu intervenieren als einer Finanzmarkt­eskalation ihren Lauf zu lassen bis zum Zusammenbruch in einer schweren Krise.   

Derivatehandel

Eine Feuerversicherung auf das eigene Haus abschließen ist eine sinnvolle Sache. Es würde dagegen zu Miss­brauch einladen, eine Feuerversicherung auf fremde Häuser abzuschließen. Aus gutem Grund ist das unzulässig. Nur der Eigentümer einer Sache kann eine Feuerversicherung für diese Sache abschließen. Übertragen auf Derivate (Optionen, Futures, Swaps und Zertifikate) heißt das: Derivative Kontrakte sollten nur in dem Maß zulässig sein wie zurechen­bare Risiko­posi­tionen (Under­lyings) im Besitz der Ausübungs­berechtigten vorhan­den sind. Das erlaubt weiterhin Derivate zur Preisabsicherung von Produkten, ebenso zum Beispiel auch Derivate auf Indices, Zinsraten oder Währungskurse, voraus­gesetzt, es ist eine abzusichernde Risikoposition zurechenbar vorhanden.

Einkommenspolitik und Steuerpolitik  

Einkommens­politik und Steuerpolitik gehören zu den maßgeblichen Rahmen­bedin­gungen für das Verhältnis von Finanz- und Realwirtschaft. Soweit die Verteilung der Einkommen und Vermögen tangiert ist, verlangt eine gemäßigtere Dynamik der Nicht-BIP-Finanzen nach einer relativen Annäherung der Einkommen zur Mitte hin, anders gesagt, eine Eindämmung zentrifugaler Einkommensspreizung nach oben und unten. Die bestehende Einkommensbesteuerung sollte in den obersten 10–5–1% der Einkommen besser ausdifferenziert werden. In diesem Bereich gibt es eine massive Aufspreizung, der die ESt-Progression nicht Rechnung trägt.  Will man daran nicht rühren, oder würde man gar eine einheitliche Kopfsteuer einführen, so muss das durch Vermögens- und Erbschaftssteuer ausgeglichen werden.

Eine mögliche Neuerung der Einkommensbesteuerung, über die man bisher noch nicht nachgedacht hat, besteht in der Möglichkeit, Einkommen aus BIP- und Nicht-BIP-Finanzen unterschiedlich zu besteuern. Das wäre gesamtwirtschaftlich sachdienlicher und auch leistungsgerechter als alle Einkommen ungeachtet ihrer Quelle gleich zu behandeln.

In Anbetracht der strukturellen Entwicklung von Betrieben und Beschäftigung kann Einkommens­politik heute nicht mehr alleine Sache der Gewerk­schaften und Arbeitgeber­verbände sein. Deren Binde- und Integrationskraft hat auf beiden Seiten nachgelassen. Nur noch eine Minderheit der Arbeitnehmer ist gewerk­schaftlich organisiert (vor allem in industriellen Großunternehmen und im öffentlichen Dienst). Zugleich gewährleisten die Einkommen der individualisierten Arbeitnehmer immer weniger eine Familienversorgung, wobei kaum noch die Hälfte der Bevölkerung überhaupt erwerbs­tätig ist, viele davon in Leiharbeit, Teilzeit, befristet, geringfügig, solo-selbständig, pseudo-selbständig o.ä.

Von daher muss die Regierung einkommenspolitische Eckwerte und allgemein verbindliche Rahmen­vorgaben setzen. Dies geschieht in Anfängen bereits, etwa in Form des Existenz­minimums oder durch Vorgabe von Mindestlöhnen. Damit wird faktisch auch der Lohnabstand zwischen Erwerbseinkommen und Sozialtransfers vorgegeben. Ein künftiges Grundeinkommen wäre ein historischer Meilenstein staatlicher Einkommenspolitik.

Die Erhebung der Vermögenssteuer wurde in Deutschland 1997 ausgesetzt. Zu den Gründen gehörten die gerichtlich als ungerechtfertigt erachtete Besserstellung von Immobilien­ver­mögen sowie der damalige ESt-Spitzensatz von 53%. Strategisch war die Aussetzung ein einkommens- und vermögenspolitischer Fehler. Da der Spitzensatz heute gut zehn Prozent­punkte tiefer liegt und die Immobilienvermögen mancherorts geradezu 'durch die Decke' gegangen sind, sollte die Vermögenssteuer wieder aktiviert werden.

Bleibt die Erbschaftssteuer. Sie kann gezielter als bisher zur Eindämmung über­schieß­ender Nicht-BIP-Finanzen eingesetzt werden. Jedoch – im Sinn des Unterschieds von BIP- und Nicht-BIP-Finanzen – sollte man dabei Betriebs­vermögen und selbst genutzte Immo­bi­lien verschonen, wenn auch mit Vorkehrungen bezüglich Dauer und Umständen, und sachgerechter Abgrenzung dessen, was notwendiges und sinnvolles Betriebsvermögen ist.

Fiskalpolitik ist kompliziert, aber das hier verfolgte Prinzip ist einfach: Bis Erreichen strukturell stabiler und ausgewogener Verhältnisse sind Realwirtschaft und Arbeitseinkommen, einschließlich der Unternehmer- und Selbständigeneinkommen, zu entlasten, dagegen Nicht-BIP-Finanzeinkommen zu belasten. Das eröffnet der Fiskal­politik eine veränderte Perspektive.

Anhang A
Weiteres zu den Begriffen Realwirtschaft, BIP-Finanzen und Nicht-BIP-Finanzen

 Die Realwirtschaft umfasst alle Güter- und Arbeitsmärkte, also die Übertragung von Geld beim Kauf bzw Verkauf von Arbeits- und Dienstleistungen, Infrastrukturen, Gütern, intangiblen Gütern (z.B. Nutzungsrechten). Obwohl im BIP nicht erfasst, gehören zur Realwirtschaft auch die Sektoren unbezahl­ter Arbeit (Hausarbeit, Eigenarbeit und Nachbarschafts­hilfe, ehrenamtliche und freiwillige Tätigkeiten). Sie benötigen ebenfalls Geld, erwirtschaften direkt aber keines. Ebenso zählen zur Realwirtschaft die Bereiche der illegalen Untergrund­wirtschaft und der Schwarzarbeit. (Geldwäsche und Steuer­hinter­ziehung fallen in die Hemisphäre der Finanzwirtschaft).    

Die Finanzwirtschaft beginnt, wo Geldbesitzer ihr Geld nicht mehr selbst realwirtschaftlich verwenden, sondern es verleihen oder investieren. Geld wird damit zu Kapital. Die kommer­zielle Finanz­wirtschaft dient der Finanzierung von Aktivitäten über Finanz­märkte, speziell  Geld- und Devisenmärkte, Kapitalmärkte und Derivatemärkte. Hierbei erfolgt die Geldüber­tragung in den Grund­formen von Darlehen (gegen Zins und Tilgung) und Finanzanlagen. Letztere beinhalten u.a. den Handel mit Kapital­beteili­gungen, Aktien, Schuldverschreibun­gen jeglicher Art (z.B. Anleihen), andere Finanzkontrakte, sowie auch Versiche­rungsprämien und Versicherungsleistungen­­.

Zum nicht-kommerziellen Teil der Finanzwirtschaft gehört die Übertragung von Geld durch Steuern und öffentlich-rechtliche Abgaben, daneben auch die mehr oder weniger selbstlos-freiwillige Übertragung von Geld durch Sponsoring, Stiftung, Spende, Geldgeschenk sowie durch Erbschaft von Geld, Wertpapier- und Immobilienvermögen.

In Finanztransaktionen – gleich ob Nicht-BIP- oder BIP-Finanzen – werden in der Regel Arbeitseinkommen für erbrachte Finanzdienste erzielt. Diese Einkommen gehen ins BIP ein, betragen aber nur einen geringen Prozentsatz der betreffenden Finanztransaktionen.

Was die Grenzen zwischen den beiden Hemi­sphäre der Finanzwirtschaft angeht, so bestehen gelegentliche Überlappun­gen, aber dennoch ist der funktionale Unterschied klar. BIP-wirksam, oder allgemeiner gesagt Output-wirksam, sind
-    die Finanzierung von realwirtschaftlichen Investitionen und anderen Ausgaben (Infra­struk­turen, Güter, Arbeitsleistungen, Dienste, Nutzungs­rechte).
-    Private-equity-Geschäfte, sei es als 'White knight'-Rekapitalisierung einer Firma mit tragfähiger aber erneuerungsbedürftiger Substanz, vor allem aber als Risikokapital in der realwirtschaftlichen Forschung, Entwicklung und Vermarktung (zuletzt mit einem Schwerpunkt auf sauberen Technologien).
-    Überziehungskredit dürfte in der Regel der Finanzierung von Haushalts- und Konsumausgaben dienen, also einer realwirtschaftlichen Verwendung. Das gilt in gleicher Weise für Über­brückungskredit an Firmen und öffentliche Haushalte.    

Demgegenüber gehören zu den Nicht-BIP-Finanzen zum Beispiel
-    Leveraged buy-outs, die Finanzierung von einvernehmlichen und feindlichen Fusionen und Übernahmen (auch wenn diese die Markt- und Machtposition eines Unternehmens ändern können mit längerfristig realwirtschaftlichen Auswirkungen)
-    Private-equity-Geschäfte als 'Heuschrecken'-Aktivität der Zerschlagung von Firmen mit umgehender Veräußerung profitabler Restsegmente 
-    der Sekundärhandel mit Aktien, Anleihen und anderen Wertpapieren nach ihrer Emission 
-    der Handel mit Anteilen an Kapitalanlagefonds jeglicher Art soweit diese das von ihnen verwaltete Kapital in Nicht-BIP-Anlagen investieren 
-    Versicherungen soweit sie Kapitaldeckung durch Nicht-BIP-Investments  betreiben  
-    der Derivatehandel jenseits selbst gehaltener Underlyings
-    die Immobilienmärkte soweit sie nicht dem Bau und Erhalt oder der Modernisierung baulicher Substanz dienen, sondern sie Immobilienhandel als Kapitalanlage darstellen
-    desgleichen der Handel mit Rohstoffen (einschl. Gold) als reines Finanzinvestment.

Transaktionen mit Sachvermögen dienen also nicht automatisch der Realwirtschaft. Besonders bei Immobiliengeschäften kann der Dual-use-Charakter als Sachvermögen und Finanzvermögen ausgeprägt sein. Bei einer Bau­finanzier­ung durch eine Bank ist klar, dass es sich um die Finanzierung eines realwirtschaft­lichen Produktionsvorgangs handelt. Andere Hypotheken-besicherte Kredite dagegen können investiven und konsumtiven Realausgaben dienen, aber auch Nicht-BIP Transaktionen. Statistiken ist das nur selten zu entnehmen.

Bei Anleihen kann man unterstellen, dass das aufgenommene Geld in real­wirt­schaft­liche Zwecke fließt. Das gilt für Anleihen von Firmen (Nichtbanken) ebenso wie für Staatsanleihen; freilich nicht für jene neuen Schulden, die der Verzinsung und Tilgung alter Schulden dienen.   

Die Erstplazierung und eine Neuausgabe von Aktien dienen wohl überwiegend realwirt­schaft­lichen Investitio­nen oder anderen Firmenausgaben. Es können mit dem Erlös  der Aktienausgabe aber auch vorhandene Verbindlichkeiten abgelöst werden, oder die Sache dient der Anhebung der Eigenkapital­quote, sei es aus finanzwirt­schaft­lichen Erwägungen oder wegen Vorschriften. Auch wenn letzteres indirekt von realwirtschaftlicher Relevanz sein mag, handelt es sich direkt erst einmal um einen nicht-BIP-wirksamen Akt. 

Eine weitere nicht BIP-wirksame Geldanlage besteht in der Deaktivierung von Giralgeld in Form von Spar- und Termineinlagen bei einer Bank. Weiteres dazu in Anhang B.

Anhang B
Spar- und Termineinlagen als stillgelegtes Giralgeld  

Als die Wirtschaft noch überwiegend auf Bargeld beruhte, konnten die Banken mit dem bei ihnen depo­nierten Bargeld arbeiten, denn Bargeld war und ist für die Banken ein Aktivum. Nur zählt es heute nicht mehr viel und in der Finanzwirtschaft gar nichts mehr. Anders als das Bargeld, ist das Giralgeld ein von den Banken selbst geschaffenes Geld, Bankengeld, und als solches eine Verbind­lich­keit (ein Passivum) der Banken gegenüber ihren Kunden. Seit das heutige Giralgeldregime dominiert, operieren die Banken als monetäre Finanzinstitute nicht mit unserem Geld, sondern wir operieren mit Bankengeld.  

Anders als gemeinhin unterstellt, können die Banken die Kontoguthaben ihrer Kunden nicht als Finanzierungsmittel für eigene Geschäfte verwenden. Für solche benötigen Banken Zentralbankgeld in Form von Reserven und abnehmend noch Bargeld. Reservenguthaben der Banken werden zwar an andere Banken überwiesen, können aber nicht auf ein Giro­konto von Kunden (Nichtbanken) überwiesen werden. Ebenso kann umgekehrt ein Kunden-Giroguthaben bei einer Bank niemals auf das Zentralbankkonto einer Bank überwiesen werden.[38] Dies ist eine technische Tatsache, keine Aussage zum dürfen und wollen, berechtigt oder nicht berechtigt sein.

Dagegen können Bankkunden (Nichtbanken) mit ihrem Bankengeld zum Beispiel Anteile an einem Investitionsfond kaufen. Das bleibt ein Geschäft unter Nichtbanken auf der Basis von Bankengeld (auch wenn der Fonds als eigenständige Kapitalanlagegesellschaft unter dem Dach einer Bank operiert). Der disponible Teil des Bankengelds der Nichtbanken liegt also entweder brach, bisher vor allem in Form von Spar- und Termineinlagen bei einer Bank, oder solche Mittel fließen in Fonds und andere Formen von Geldanlagen bei nicht-monetären Finanzinstituten.

Spar- und Termineinlagen sind individuell befristet, im kollektiven Bestand aber stabil und wachsend. Im Bestand handelt es sich um stillgelegtes, aus dem Verkehr gezogenes Giralgeld (Bankengeld). Damit wird nichts finanziert, weder real- noch finanzwirtschaft­liche Aktivi­tä­ten, sodass von diesen Mitteln keine aktive Wirkung auf Inflation und Assetinflation ausgeht.

Obwohl die Banken zwar Bankengeld erzeugen, aber bereits existierendes Bankengeld nicht zur Finanzierung eigener Geschäfte verwenden können, ist die Stillegung von Giralgeld in Form von Spar- und Termineinlagen von Vorteil für die Banken. Die Deaktivierung solcher Mittel verringert ihren bruchteiligen Bedarf an Zentralbankgeld. Ebenso wird einer Abwanderung der Kundenguthaben (= Bankverbind­lich­keiten) und den damit verbundenen Liquiditäts­risiken vorgebeugt. Das erleichtert den Banken wiederum eine zusätzliche Kreditaus­weit­ung und damit Giralgeldschöpfung.  

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Fußnoten

[1] Flossbach von Storch Research Institute, Vermögenspreisindex für die Eurozone, https://www. flossbachvonstorch-researchinstitute.com/de/fvs-vermoegenspreisindex-fuer-die-eurozone/.

[2] Alle Zahlen zu Geldmengen und Kredit aus Huber 2018 108–117.

[3] Ermittelt nach den regelmäßig veröffentlichten Statistiken der Europäischen Zentralbank, Deutschen Bundesbank, Schweizerischen Nationalbank, der Bank von England und des UK Office for National Statistics sowie der Federal Reserve Bank of St. Louis USA.

[4] Deutscher Bundestag 2020 7–8, Sigl-Glöckner 2018.

[5] Van Lerven/Hodgson/Dyson 2015 26f.

[6] Sigl-Glöckner 2018.                                                              

[7] Thomson Datastream. Federal Reserve. Trader’s Narrative, 7.11.2009. Andere Abgrenzungen erbringen ein niedrigeres Niveau, aber gleiche Proportionen, z.B. bei Bhatia 2011 8.

[8] A. Haldane, Chefökonom der Bank of England, in einer Rede über institutionelle Großinvestoren, berichtet in der FAZ vom 8.4.2014, 25. FRED Economic Data St. Louis Federal Reserve, Financial business total financial assets to GDP 1952-2018.

[9] Deutsche Bank Markets Research 2017 8-33; OECD data https://data.oecd.org/‌gdp/‌gross-domestic-product-gdp.htm

[10] Shiller 2015, 20.                        

[11] Jordà/Schularick/Taylor 2014; FAZ, 18.10.2014,32.

[12] Quantitative Easing ist eine Ausweitung der Geldmenge durch umfangreiche Aufkäufe von Staatsanleihen am offenen Markt durch die Zentralbank. Damit findet eine Monetisierung von Staats­schulden statt.

[13] Liikanen Report 2012; Financial Crisis Inquiry Committee 2011; Turner 2016 61.

[14] Vgl. Borio 2012, 2017.

[15] Turner 2016, Buiter 2014, Buiter/Kapoor 2020, Jackson/Dyson 2013, Ryan-Collins 2015, Ryan-Collins/van Lerven 2018.

[16] Lennkh/Bartels/Vasse 2019, https://fred.stlouisfed.org/series/TREAST, Economist June 20th 2020, 62. In den USA halten zusätzlich auch die staatlichen Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac sowie andere öffentliche Körperschaften Staatsanleihen in großem Umfang.

[17] Bernanke 2016, Lonergan/Jourdan 2016, Positive Money 2015.

[18] TLTRO =  Targeted Longer-Term Refinancing Operations

[19] Die Gleichung lautet M mal V = P mal T. Das heißt, die Geldmenge M multipliziert mit ihrer Umlaufgeschwindig­keit V (Nutzungshäufigkeit des Geldes) ist gleich der Summe der bei allen Transaktionen T realisierten Preise P (bzw der allg. Preisdurchschnitt P multipliziert mit der Gesamtzahl der Transaktionen T. Der Einfachheit halber wird statt P mal T in der Regel das BIP eingesetzt.   

[20] Eine Desaggregierung der Quantitätsgleichung in eine finanz- und realwirtschafliche Zirkulation des Geldes wurde vorgeschlagen bei Huber 1998 224–230, Werner 2005 185–190, Walter 2012.

[21]  Abgabenquoten in den OECD Mitgliedstaaten 2018, Statista.com/Statistik/Daten/.

[22] Bundesfinanzministerium, Datenportal: Entwicklung der Steuer- und Abgabenquoten seit 1960, Juli 2019.  

[23] Siehe Atkinson 2015 16–44, Atkinson/Piketty/Saez 2011. 

[24] Friedman 1991 16, Ders. 1992 198.

[25] Vgl. Borio 2012, 2017.

[26] Vgl. Huber 2019.

[26b] Becklumb/Frigon 2015.

[27] Ryan-Collins/Lloyd/Macfarlane 2017 109ff, 169ff.               

[28] Minsky 1982, 1986.

[29] Shiller 2015 225ff.

[30] Bjerg 2014 25.

[31] Deutscher Bundestag 2020 7–8.

[32] Chesney 2014 33, 50. Vgl. ebenso Financial Crisis Inquiry Committee 2011.

[33] Vgl. Deutsche Bank Markets Research 2017.

[34] Laeven/Valencia 2008.

[35] Zu CBDC bzw digitalem Vollgeld vgl. BIS 2018, 2019, Bordo 2018, Huber 2020 Teil II, IMF 2018, Kumhof/ Noone 2018, OMFIF 2020, OMFIF/IBM 2019.

[36]https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/geldpolitik/offenmarktgeschaefte/gezielte-laengerfristige-refinanzierungs-geschaefte-iii/gezielte-laengerfristige-refinanzierungs-geschaefte-iii-782974.

[37] van't Klooster/van Tilburg 2020.

[38] Literatur zur Funktionsweise des heutigen Geldsystems auf https://vollgeld.page/geldsystem und https://vollgeld.page/geldtheorie.