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Digitales Geld und finanzielle Privatsphäre:  Abusus non tollit usum   
Ein möglicher Missbrauch digitalen Zentralbankgeldes (CBDC) spricht nicht gegen seinen regulären Gebrauch 

Es gibt inzwischen etliche Umfragen zu digitalem Zentralbankgeld (Central Bank Digital Currency, kurz CBDC). Wie daraus hervorgeht, bezieht sich die größte Sorge der Leute auf die technische Sicherheit des Geldes, besonders den Schutz vor Hackern, sowie die Wahrung der finanziellen Privatsphäre. Es bestehen verbreitete Bedenken, CBDC könne die Tür zu einem Big-Brother-artigen Überwachungsstaat öffnen. Dieser würde kon­trol­lieren, wofür man sein Geld ausgibt, würde dafür ggf soziale Bonus- und Malus­punkte vergeben, oder womöglich bestimmte Ausgaben blockieren, oder ein Ver­fall­datum setzen zu dem nicht aus­ge­ge­ben­es Geld eingezogen wird (Schwund­geld).

Das sind arge Dystopien und man fragt sich, ob es wirklich Anlass zu solcher Furcht vor dem Großen Bruder gibt. Kurze Antwort: bisher nicht wirklich. Solche Szenarien sind weit hergeholt, teils pure Phantasie, teils vermutlich auch absichtliche Des­infor­ma­tion. Anders wäre die Situation vielleicht in einem totalitären Willkürregime ohne ein­klag­bare Rechtstaatlichkeit. Aus heutiger Sicht ist es jedoch frag­lich, ob es eine totale Über­wachung, Bewertung und Manipulation individuellen Ver­haltens, und die damit ver­bun­­dene Erfassung und Verarbeitung betreffender Daten, flächendeckend und per­ma­nent überhaupt geben kann.

Den Befürchtungen noch am nächsten kommt die Absicht etlicher CBDC-Entwickler, einen Schwundgeld-Mechanismus als Instrument der Geldpolitik zu imple­men­tieren. Das sollte man endlich als das sehen was es ist: eine Verletzung des Eigentums­rechts und der finanziellen Privatsphäre. Zeitweise praktiziert wurde das im Zeitraum 2012-22 in Form der unsachgemäß so genannten 'Negativzinsen', ebenso unsachgemäß auch als 'Verwahr­gebühren' bezeich­net. Etliche Zentral­banken – darunter in Dänemark, Schweden, der Schweiz, dem Euroraum und Japan – haben solche 'Negativzinsen' auf die Reservenguthaben der Banken erhoben, und die Banken haben denselben 'Negativ­zins' auf die Konto­gut­haben ihrer Kunden erhoben, meist in Höhe von um 0,5% der Kontoguthaben.

Solche Abgaben, richtiger wohl Enteignungen, sind keinesfalls gleichzusetzen mit staat­lichen Steuerabgaben oder öffentlich-rechtlichen Abgaben, wie zum Beispiel Sozial­ab­gaben, zur zweckgebundenen Finanzierung bestimmter öffentlicher Ausgaben. Die Be­zeich­nung 'Negativzins' ist zudem eine Camouflage, denn Zinsen kann es nur im posi­­­tiven Bereich bis Null geben, nicht darunter. Die Unterscheidung von Nominal- und Realzins, die, angelehnt an den Unterschied von Nominal- und Realeinkommen, eine negative Zahl ergeben kann, wirft Zins-Äpfel und Inflations-Birnen in einen Verrech­nungs­­topf, und verwechselt im Ergebnis ein Realeinkommens-Minus mit einem Zinssatz.

Für die Bankkunden bedeutet 'Negativzins' die willkürliche Vernichtung eines Teils ihres Geld­besitzes in Höhe der Abgabesätze. Denn die betreffenden Kontoguthaben der Kunden werden in den Bank­bilanzen gelöscht. Das gilt analog auch für die betref­fenden Reservenguthaben der Banken, die in der Bilanz der Zentralbank ebenfalls gelöscht werden. Bei den Banken ebenso wie der Zentralbank entsteht durch die damit verbun­dene Verringerung ihrer Ver­bind­lichkeiten gegenüber Kunden ein Plus auf dem Gewinn-und-Verlust-Konto. Zudem war die Über­wälz­­ung der Abgabebelastung von den Banken auf die Kunden zum selben Abgabesatz eine ziemliche Unverfrorenheit, denn die Reserven­guthaben der Banken bei der Zen­tral­­bank betragen nur einen Bruchteil der Konto­gut­haben der Kunden bei den Banken. Damit wurden die Kunden zugunsten der Banken über­pro­por­tio­nal geschröpft.

Die meisten Überwachungs- und Manipulations-Befürchtungen beziehen sich auf die Programmierbarkeit von digitalen Geldbörsen (e-Wallets) bzw digitalen Tokens. Aller­dings bleiben solche Befürchtungen meist un­kon­kret. Demgegenüber besteht konkret die positive Aussicht, dass die Programmierbarkeit digitaler Geldbörsen das Mana­ge­ment von Zahlungen und vertraglichen Verpflichtungen erleichtern kann, und dies nicht nur zwischen Personen/Organisationen, sondern auch zwischen Maschinen, Geräten und Infra­struk­turen im Internet der Dinge.

Zu weiteren Vorteilen von CBDC als digital cash gegenüber dem bishe­rigen Banken-Buchgeld gehören außerdem die Direkt­­übertragung des Geldes vom Zahler zum Bezahlten (wie bei Bar­zahlungen von Hand zu Hand), eine einfachere Handhabung, sowie Kosten- bzw Preis­vorteile durch Wegfall von Zwischen­stufen im Zahlungs­prozess. Anders als das heutige Bargeld soll der digitale Euro bei Banken und anderen Zahlungs­­diensten ohne Abhebegebühr zu beziehen sein und, wie Bargeld, ohne Gebühren für die Benutzer zu übertragen sein.

Die Programmierbarkeit von CBDC bleibt zur Zeit noch überwiegend eine Option für die Zukunft, wenn auch keiner allzu fernen. Die EZB hat vorerst ent­schie­den, den digitalen Euro erster Gene­ration nicht zentral pro­grammier­­bar zu gestal­ten und auch Zahlungen werden nicht zentral nachvollziehbar sein. Auch eine indivi­duel­le Program­mier­barkeit seitens der Nutzer soll es nach jetzigen Planungen (Q1 2024) auf abseh­bare Zeit nicht geben, ledig­lich, wie heute schon, Zahlungs­aufträge. Bisher er­wägt nur die Bank von England, das digitale britische Pfund indivi­duell pro­gram­mierbar zu machen, zum Beispiel für Verwaltungsvorgänge in Unter­­nehmen, Behörden u.ä.

Natürlich wird man Vorkehrungen treffen, Missbrauchspotentiale digitalen Geldes aus­zu­räumen. Dennoch kann man Rechtswidrigkeit oder sonstige persönliche oder poli­tische Missbräuchlichkeit niemals ganz ausschließen. Siehe das Thema 'Negativzins'. Seit dem antiken Rom gibt es diesbezüglich die Rechtsregel Abusus non tollit usum, zu Deutsch Missbrauch einer Sache spricht nicht gegen nicht ihren regulären Gebrauch.

Bezüglich des digitalen Geldes zeigt sich die Relevanz dieser Regel u.a. bei der Verifi­zier­ung und Dokumen­ta­tion von Zahlungen. Zum einen besteht ein starkes Interesse daran, dass Zahlungen korrekt und zuverlässig vollzogen werden. Zum anderen aber, indem sie voll­zogen werden, werden die Zahlungen Buchhaltungs-schriftlich ebenso wie elektro­nisch doku­mentiert und nach­voll­ziehbar. Damit wird dem ebenfalls großen Interesse daran Genüge getan, Zahlungen zu belegen und ggf nachweisen zu können. Dadurch aber werden sie auch überwachbar in einem negativen Sinn. Im Prinzip kol­li­diert das mit dem Interesse an der Wahrung der finanziellen Privatsphäre, im Zusam­men­­hang mit Geldbesitz, Einnahmen und Ausgaben meist als Anonymität verstanden, zu­min­dest als verlässliche Vertraulichkeit i.S. der Wahrung bestimmter Geheimnisse gegenüber Dritten.

Privatheit und Vertraulichkeit von Geldbesitz und Zahlungen sind freilich schon immer ein Thema gewesen – ein Stück weit bereits in der Bargeldwirtschaft, und durchweg mit Buchgeld bzw herkömmlichen Kontoguthaben. Aber auch die neuen Krypto-Transaktionen können ggf zurück verfolgt und bleiben dann nicht rein privat zwischen Zahlern und Bezahlten. Das gilt ebenso für Zahlungen in künftigen digitalen Euros oder anderen CBDC, ob mit oder ohne Blockchain. Sie können von den Anbietern und Betreibern von digitalen Geldbörsen ggf nachvollzogen werden – was aus ver­schie­densten Gründen so sein muss, teils im öffent­lichen, teils im privaten Interesse.

Im heute noch vorherrschenden Bankengeldregime hat man bisher wenig Grund gesehen, den Großen Bruder an die Wand zu malen. Dabei sollte klar sein, dass die technisch-betrieblichen Gegebenheiten des Buchgeldwesens nicht die geringste Privatheit ge­währ­leisten. Banken und andere Zahlungsdienste wissen alles über die Konto­stände und Zahlungen ihrer Kunden, und auch die Behörden können, mit richterlicher Autori­sier­ung, alles über jemandes kontobezogene Finanzen erfahren. Was heute finanzielle Privatsphäre und Vertraulichkeit garantiert, sind allein rechtliche Regu­larien zu Datenschutz, Privatsphäre, Bank- und Steuergeheimnis, Eigentums­rechten und anderen bürgerlichen Rechten und Freiheiten mehr.

Es besteht also ein Zielkonflikt zwischen einerseits finanzieller Privatsphäre, gar Ano­ny­mität, und anderer­seits gesetzlichen Vorgaben zu Schwarzmarktgeldern, Geldwäsche, Kunden­identität, Steuergesetzen u.a. Daraus erwächst die Notwendigkeit einer recht­lichen Güter­abwägung. Der Zielkonflikt als solcher ist nicht aus der Welt zu schaffen. Eine absolute Anonymität von Geldbesitz und Zahlungen ist nicht darstellbar und auch nicht wünschenswert.

Selbst die heute merkwürdig hochstilisierte Anonymität des Bargelds ('gedruck­te Frei­heit') ist über weite Strecken illusionär; oder aber irrelevant mangels Masse. Bargeld ist nur noch eine Wechsel­­­menge aus dem unbaren Banken-Buchgeld (Kontoguthaben), in diesem Sinn eine Art Untermenge davon. Die Auswechslung wird registriert, Wieder­ein­zahl­ungen von Bargeld auf ein Konto ebenso. Auch werden viele Bargeld­trans­aktio­nen förmlich in Rechnung gestellt, quittiert und verbucht. Davon abgesehen ist Bargeld heute mehr oder weniger Kleingeld. Wer hohe Geldbeträge bar zahlen möchte, oder bar bezahlt haben möchte, macht sich verdächtig.        

Der Kompromiss in Sachen Privatheit und Vertraulichkeit besteht beim geplanten digita­len Euro bzw einer betreffenden digitalen Geldbörse darin, dass diese einen Nutzer-Identifikator beinhaltet. Der Nutzer-Identi­fikator ist ein Pseudonym, das vom betref­fenden Zahlungsdienst automatisch Maschinen-generiert wird. Der Nutzer-Identi­fi­kator kann von der EZB, einer nationalen Zentralbank, dem Finanzamt oder einer anderen Behörde dem betreffenden individuellen Nutzer nicht zugeordnet werden. Das gleicht insoweit der heutigen Situation, wo die Zentralbank hoch aggre­gierte Daten über das von ihr in Umlauf gegebene Bargeld besitzt, aber keine Kenntnis der individuellen Nutzer und auch keinen Zugang zu ihnen. Sinngemäß gleiches gilt für die Kunden-Kontoguthaben bei den Banken und für bar­geld­lose Kundenzahlungen. Im Ergebnis wird es mit CBDC weiterhin ein hohes Maß an Privatheit und Vertraulichkeit geben, sowie zusätzlich Pseudonymität, aber keine völlige Anonymität.

Ein anderer interessanter Aspekt digitaler Geldtokens bzw digitaler Geldbörsen liegt nun darin, dass sie – anders als das Banken-Buchgeld – nicht nur durch rechtliche Orga­ni­sations- und Verhaltensregeln finanzielle Privatheit und Ver­traulich­keit realisieren können, sondern teils durch die Krypto­techno­logie selbst. Es gibt inzwischen Krypto­designs, die allein schon durch ihre IT ein hohes Maß an finan­zieller Privatsphäre und Bargeld-artiger Anonymität ermöglichen.

Ein Beispiel ist das Bezahlsystem GNU Taler. Taler steht für Taxable Anonymous Libre Electronic Reserves. Es handelt sich um ein offenes Netzwerkprotokoll, mit dem wertbasierte Tokens mittels blinder Signaturen übertragen werden können. Es gewährleistet völlige Privatheit auf Seiten der Zahler und Einnahmen-Transparenz auf Seiten der Empfänger. Dadurch lassen sich Steuerhinterziehung und Schwarzmarktgeschäfte leichter aufdecken, während auf Seiten der Zahler persönliche Daten erst gar nicht erfasst werden, weder durch Taler-Wallets noch Taler-Tokens. Der GNU Taler versteht sich als Gegenentwurf zu Kryptowährungen und Blockchain-Ansätzen.[1]       

Die Entwicklung von CBDC auf Grundlage von digitalen Geldbörsen und Tokens steht noch am Anfang. Die diesbezüglichen Lernkurven halten sicherlich noch viele Inno­vationen bereit, um ein hohes Maß an finanzieller Privatheit zu gewähr­leisten, bei gleichzeitiger Wahrung der Möglichkeiten, Transaktionen zu rekapitulieren, schief gelaufene Trans­aktio­nen zu korrigieren, sowie betrüge­rische und andere illegale Trans­aktionen aufzudecken.  

[1] Vgl. https://www.snb.ch/en/publications/research/working-papers/2021/working_paper_2021_03

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