Geld regiert die Welt

Es heißt Geld regiert die Welt. Wer aber regiert das Geld? Historisch lag die Geldhoheit stets bei den jeweiligen Herrschern, in Verstetigung dessen beim Staat. Die Währungshoheit ist eine Prärogative von Verfassungsrang. Sie umfasst die Festlegung der Währung (als offizielle monetäre Recheneinheit), die Ausgabe des Geldes (der offiziellen Zahlungsmittel) in dieser Währung, und die Seigniorage, den Gewinn aus der Geldschöpfung zugunsten der Staatskasse.

In den letzten dreieinhalb Jahrhunderten jedoch eröffnete sich zweimal die Gelegen­heit für private Geldemittenten, ihr eigenes Geld in Umlauf zu bringen und damit einen Teil der verlockenden Geldhoheit an sich zu ziehen. (Heute vielleicht zum dritten Mal in Gestalt der privaten Kryptowährungen). Beim ersten Mal, seit der zweiten Hälfte des 17. Jhds, führte man in Europa und Amerika Papiergeld ein, wie schon in China, Korea und Japan Jahrhunderte zuvor. Grund: es herrschte chronische Knappheit an Münzgeld. Solange das Papiergeld in Europa aber unreguliert war und zu viele Banken und fürstliche Staatskassen ihr eigenes Papier­geld herausgaben, stieß dieses auf uneinheitliche und schwache Akzeptanz. Für die Entwicklung der Wirtschaft ist das suboptimal. Darüber hinaus kam es zeitweise auch zu einer infla­tio­nären Überausweitung des Papier­gelds.

Die Bank von England erhielt 1844 als erste Zentralbank das monopol auf Banknoten

Die Gemengelage wurde überwunden durch das Notenmonopol der Zentralbanken im 19. Jhd. Die Zentralbanknoten fanden allgemeine Akzeptanz, was half, national inte­grierte Märkte zu schaffen. Jedoch limitierte man die Menge an Papiergeld durch den Gold­stan­dard. Damit repro­du­zierte man künstlich eine Knappheit des Geldes, im Wider­spruch zu den expansiven Erfordernissen der Zeit durch inter­natio­nalen Handel, Bevölkerungs­wachs­tum, Industrialisierung und Verstädterung.

Überwunden wurde die unnötige Geld­knappheit erneut durch den privaten Bankensektor, und zwar durch die verallgemeinerte Anwendung der seit dem Rinascimento praktizierten wechselseitigen Verrechnung von Forde­rungen und Verbind­lichkeiten. Übertragbare Kontoguthaben wurden mit der Zeit zu einem universellen Mittel des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, somit zu Geld, zu Buch­geld, Bankengeld, wenn auch nur als ein Surrogat für das Bargeld der Zentralbank. 

Im Verlauf des 20. Jhds stieg das private Bankengeld unangefochten zum dominanten Geld auf. Je nach Zählweise besteht das öffentliche Geldangebot in entwickelten Ländern heute zu 80–98% aus Bankengeld. Auch wenn mancherorts kleinere Beträge häufig noch bar bezahlt werden, kann das nicht darüber hinweg täuschen, dass das Bargeld systemisch keine wesentliche Rolle mehr spielt und faktisch zu einer Aus­wechsel­menge des Bankengelds geworden ist.

Der Einfluss der Zentralbanken, obwohl in ihrer Geldschöpfung nicht mehr durch einen Goldstandard begrenzt, hat sich darauf reduziert, Hilfsorgan der Banken zu sein. Der Grund ist, dass die Bargeldnutzung (Zentralbankgeld) stark zurückgegangen ist zum Vorteil des bargeldlosen Bezahlens mit Bankengeld, während die Nutzung von un­barem Zentralbankgeld, den sog. Reserven, dem Interbanken-Zahlungsverkehr vor­be­halten blieb und der Allgemeinheit vorenthalten wurde. 

Mit dem Basiszins auf Reserven versuchen die Zentralbanken, die Geldschöpfung der Banken zu beeinflussen. Die Crux ist, dass die Banken – im Normal­betrieb, dank technischer Effizienz im Zahlungsverkehr – um 100 Währungseinheiten Bankengeld zu erzeugen und in Umlauf zu halten, nur noch 3–6 Währungseinheiten an Zentralbank-Reserven benötigen. Daher der Begriff des fraktionalen Reservebanking.

Infolge der Fraktionalität des Zentralbankgelds hat sich der Transmissionshebel der Geldpolitik erheblich verkürzt. Die Steue­rungsfähigkeit der Geldpolitik ist tatsächlich geringer als man allgemein meint. Die Fähigkeit der Banken zur Geldschöpfung ist heute nahezu unbegrenzt, da die Zentralbanken die Reserven, welche die Banken noch benötigen, stets sachzwanghaft liefern müssen, und das im Krisenmodus noch vorbehaltloser als im Normalbetrieb.

Hinzu gekommen ist ein weiteres. Das Münzgeld feudaler Herrscher war schuldenfreies Geld. Zum Beispiel kostete die Produktion von Silbermünzen von der Erzgewinnung bis zur Prägung meist um die 40% des Nennwerts der Münzen. Die Seigniorage betrug also 60%. Das Münzgeld wurde durch Staatsausgaben in Umlauf gebracht.

Der Geldwechsler und seine Frau, Gemälde von Quentin Matsys 1514.

Einmal in Umlauf dienten die Münzen als allgemeine Geldbasis der Realwirtschaft eben­so wie der Kredit- und Finanz­wirtschaft. Wenn Finanz­geschäfte schief gingen – und ein gewisser Teil von Geschäften geht unvermeidlich schief – waren die Gläubiger und Schuldner betroffen, bis hin zum Bankrott und der Abwicklung ihrer Bilanzen. Das Geld aber, um das es dabei ging, verschwand deshalb nicht. Seine Existenz gründete außerhalb der Bankbilanzen und konnte für weitere Geschäfte weiter zirku­lie­ren und die Wirtschaft in Gang halten.

Beim heutigen Geld ist das in bestimmter Hinsicht Weise anders. Ob Papiergeld oder Buchgeld, Zen­tral­bankgeld oder Bankengeld, es handelt sich um Kredit- und Schulden­geld. Das heißt, das Geld wird zusammen mit der Ausstellung von Kredit erzeugt, indem eine Bank die Kreditsumme dem Kreditnehmer auf Girokonto gutschreibt. Dieses Guthaben wird nicht irgendwo 'hergeholt', es hat zuvor nicht existiert. In ihrer Bilanz verbucht die Bank das neue Bankengeld als Kreditforderung gegen den Kunden (Aktivum) und Zahlungsverbindlichkeit an den Kunden (Passivum). Bankenkredit beruht schon lange nicht mehr darauf, dass Kunden Bargeld deponieren, sondern die 'Depositen' ent­stehen durch Gutschrift des Bankenkreditbetrags. Die so geschaffenen Depositen sind Finanzmittel für die Kunden (Nichtbanken), nicht aber für die Banken. Diese benötigen stattdessen Reserven für den Interbanken-Zahlungsverkehr und, residual, Bargeld.

Manche Ökonomen schließen daraus, Kredit sei an die Stelle von Geld getreten, zumin­dest aber, es bestehe eine Identität von Geld und Kredit. Dies ist eine falsche, unhalt­bare Identität. Es gibt hier zwar eine fatale Verbindung zwischen Kreditausstellung und Geldschöpfung, aber keine Identität. Das Zahlungs­instrument (Geld) ist seiner Eigenart und Funktion nach weiterhin etwas anderes als das Kredit- und Schulden­ver­hältnis zwischen Gläubiger und Schuld­ner. Zwar, wenn ein Kredit abgeschrieben werden muss, zirkuliert das einmal in Umlauf gesetzte Banken­geld bei den Kunden derselben und anderen Banken weiter. Allerdings jedoch, wenn eine Bank in Schieflage kommt und womöglich zusammenbricht, verschwinden mit der Bank und ihrer Bilanz auch die Kundenguthaben bei der betreffenden Bank. Zugespitzt formuliert: Unser Bankengeld befindet sich in Geiselhaft der Bankbilanzen.

Je dominanter das private Bankengeld wurde, desto mehr ergab sich daraus der Sach­zwang, dass Zentralbank und Regierung systemisch relevante Großbanken und ggf den ganzen Banken­sektor retten müssen, um das Bankengeld zu retten und die Wirt­schaft am laufen zu halten. Der Bankensektor und das Bankengeld sind heute too big to fail und too intercon­nec­ted to fail geworden, um ihnen staatliche Stützung im Fall der Fälle zu versagen. Die Zentralbanken wurden routinemäßig zum bereit­willigen lender of last resort für die Banken, wöhrend die Regierungen zum bankmoney guarantor of last instance und ggf. bank recapitaliser of last instance geworden sind. Die privaten Banken und ihr privates Bankengeld haben so einen para-staatlichen Status erlangt.

Den Zentral­banken ist die Kontrolle über die Geldschöpfung faktisch entglitten. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als im Nachhinein die Tatsachen zu bedienen, welche die Banken im Vorhinein geschaffen haben. Das Vor­recht der Geldschöpfung in nationaler Währung liegt faktisch bei den Banken, ein Großteil des damit verbundenen Gewinns ebenfalls. In Anbetracht der staat­lichen Währungs- und Geldhoheit, die ordnungspolitisch eigentlich gegeben sein sollte, ist das eine ordnungswidrig verkehrte Welt. Man hat zu lange verkannt, dass die Währungshoheit ohne Geld­hoheit - ohne eine dominante Menge an gesetzlichen Zahlungsmitteln in Form von Zentralbankgeld im allgemeinen Umlauf - eine leere Muschel ist.

Die dem heutigen Bankengeldregime inhärente Instabilität und Krisenneigung kann im Rahmen dieses Systems nicht überwunden werden. Die Realität des fraktionalen Reservebankings bringt es mit sich, dass auf eine Bank, auf die auch nur ein vages Gerücht fällt, sofort ein Run einsetzt, der die betroffene Bank und im Dominoeffekt weitere Teile der Finanzwirtschaft existenziell bedroht. Das war erst jüngst wieder in der Beinahe-Banken­krise vom März 2023 zu erleben, bei der schweizer Credit Suisse ebenso wie in den USA der Silicon Valley Bank, Signature Bank und First Republic Bank. Sie mussten unter Einsatz erheblicher öffentlicher Mittel gerettet werden, um sie danach an andere Banken zu verkaufen, darunter zwei systemisch relevante Megabanken, die nun ihrerseits ein umso größeres Klumpenrisiko darstellen.   

Darüber hinaus stellt das Geld als Kredit- und Schuldengeld eine grundlegende Fehlkonstruktion dar. Denn das Kredit- und Schuldengeld ist in seinem Bestand abhängig vom Wohl und Wehe der Banken und der Finanzwirtschaft, anstatt umgekehrt das Bank- und Finanzwesen auf einer Basis von monetär sicherem und stabilem Vollgeld aufzubauen; Geld, das im Umlauf stets ein monetäres Aktivum und keine Bankverbindlichkeit mehr ist, und daher nicht verschwindet wenn eine Bank untergeht. Durch die fraktionale Geldbasis des Bankengelds zusammen mit der falschen Identität von Geld und Kredit ist die Kette wiederkehrender Banken- und Finanz­krisen faktisch vorprogrammiert.

Es besteht von daher die unabweisbare Notwendigkeit, die Geldhoheit zurück zu ge­winnen. Bisher hat man nur versucht, die Banken als Finanzinstitute sicherer zu machen – ein in der Sache vergebliches Unterfangen, aber immer kom­pli­zierter, immer bürokra­ti­sch­er, und immer am Kern des Problems vorbei: der Schöpf­ung von privatem Bankengeld als nur fraktional gedecktem Kredit- und Schuldengeld in nationaler Währung. Man kann die Risiken der Finanzwirtschaft nicht 'weg­regu­lieren'. Was es stattdessen braucht, ist ein Strukturwandel des Geldsystems, eine veränderte Zusammen­setzung des Geld­an­ge­bots, die das Vollgeld der Zentralbank wieder zum dominanten Geld macht. Damit lässt sich Geldpolitik teils direkt implementieren, teils effektiv transmittieren. Anders gesagt, es geht darum, das Bankengeldprivileg zu überwinden, und die Geld­schöpfung in die Hand der staatlichen Zentral­banken zurück zu verlagern.

Von einem systemisch dominanten Vollgeldangebot kann man sich monetär sicheres und stabiles Geld und eine stabilere Finanz­wirtschaft versprechen, ebenso einen er­höhten Geldschöpfungsgewinn zugunsten der Staatskasse, damit ein verringerter Druck zur Staats­verschuldung, sowie eine erhöhte realwirtschaftliche Erstverwendung neuen Geldes; dementsprechend auch eine verringerte Erst- und Folgeverwendung des Geldes für Nicht-BIP Finanzen (die zur Finanzierung der Realwirtschaft nichts beitragen).    

Zweierlei sei dabei hervorgehoben. Erstens, in einem Vollgeldregime geht es um die Kontrolle der Geld­schöpfung und der flexiblen Readjustierung der Geldmengen; es geht nicht um eine Kontrolle der Geldverwendung. Die Geldverwendung muss den Kapitalmärkten und der Real­wirt­schaft überlassen bleiben, der privaten ebenso wie der öffentlichen. Zweitens handelt die Zentralbank zwar als staatliche Geldbehörde, aber sie muss in ihrer Geldpolitik unabhängig sein von Weisungen der Regierung und deren fiskalisch-budgetären Interessen, ähnlich der Unabhängigkeit der Gerichte und der Nichteinmischung in die Rechtsprechung in einem freiheitlichen und demokra­ti­sch geführten Rechtstaat. Ohne Gewährleistung dieser beiden Bedingungen bestünde die Gefahr, erstens dass  Zentralbanken zu Zentralplanbürokratien allge­meiner Kredit- und Investitions­lenkung würden, außerdem, dass die Regierungen sich 'ihrer' Zentralbank ebenso ungehemmt bedienen würden wie heute in unerhörter Selbstverständlichkeit die Banken dies tun.

Bezüglich der Erreichung eines Vollgeldregimes gibt es, wie immer, radikale und ge­mäßig­te Varianten. Die radikale Variante würde als Big-Bang-Reform über Nacht das Bankengeld durch Zentralbankgeld ersetzen. Geldtechnisch und bilanziell ist das machbar, politisch aber kaum durchsetzbar. Demgegenüber folgt die gemäßigte Variante dem historisch wieder­kehren­den Muster. Es findet eine graduelle Neuzusammensetzung des Geldangebots statt, indem unbares Zentralbankgeld sich nach und nach im allge­meinen Publikumsverkehr ver­brei­tet, aus heutiger Sicht voraussichtlich in Form digitaler Tokens (CBDC = Central Bank Digital Currency). Digitales Zentralbankgeld wird damit zum neuen domi­nan­ten, geldsystemisch bestimmenden Geld, während das Bankengeld mit der Zeit in den Hintergrund gerät oder ganz verdrängt wird. Das gilt sinngemäß auch für ungedeckte oder nur fraktional gedeckte Kryptowährungen.

Der Emissionsweg des digitalen Zentralbankgelds kann zum einen so bleiben wie er ist, das heißt, als Zentral­bank­kredit an Banken sowie auch die heutigen Schattenbanken (beide werden einander ähnlicher). Emission per Zentralbankkredit bleibt nötig auch aus Gründen einer zeitnah reagiblen Implementierung und Feinsteuerung der Geld­politik. Darüber hinaus aber kann und sollte als weiterer Emissionsweg wieder hinzukommen die Überweisung neu zu schaffenden Geldes als schuldenfreie originäre Seigniorage an die Staatskasse.

Seit der Bankenkrise 2008 wird diese Möglichkeit diskutiert unter dem Begriff des mone­­­­tary financing, das heißt, Beiträgen der Zentralbank zur Finanzierung von Staats­ausgaben. Bei einer Geldschöpfung in etwa proportional zur Entwicklung der Produk­ti­vität und dem Potential der ökonomischen Wertschöpfung kann es sich dabei immer nur um einen relativ kleinen Beitrag handeln. Die Regelfinanzierung der heutigen sehr hohen Staats­haus­halte muss weiterhin durch Steuern und ggf Schuldenaufnahme erfolgen. Letztere sollte jedoch ebenfalls durch (begrenz­ten) Direktkredit der Zentralbank an die Regier­ung mög­lich sein, teils als stehender Dispokredit (Überbrückungskredit), teils als langfristiger Direkt­ankauf von Staats­anleihen durch die Zentral­bank.

Die Aussicht auf ein dominantes Vollgeld und monetäre Beiträge zur Staats­finan­zier­ung weckt bei manchen die Befürch­tung eines inflationären Missbrauchs durch Regierung und Zentralbank. Dazu ist zunächst einmal zu sagen, dass gerade heute eine missbräuchliche, inflationär überschießende Geld­schöpfung durch den Banken­sektor stattfindet. Dessen Bankengeld hat in den zurückliegenden Jahrzehnten einen welt­weiten Prozess der Finanzialisierung befeuert, zunächst mit Vermögenspreisinflation und wach­sen­der Ungleich­heit der Einkommen und Vermögen, in der Folge dann auch mit neuer­licher hoher realwirtschaftlicher Inflation.

Zum anderen lässt sich in einem Vollgeld­regime einem Missbrauch dadurch wirk­sam vorbeugen, dass sich die Zentralbank auf Geldschöpfung, Geld­mengen- und Basiszinspolitik beschränkt, ohne sich in die private oder öffentliche finanz- und realwirt­schaftliche Geldverwendung hineinziehen zu lassen, ebenso, indem die Unab­hängig­keit der Zentralbanken gewahrt bleibt und ihre gesetzliche Ver­pflich­tung auf Geld­wert­stabilität, sowohl im Hinblick auf die nationale Kaufkraft wie auch den stabilen internationalen Wechselkurs der Währung. Solange eine solche Gewaltenteilung gewahrt bleibt, wird - anders als heute - monetär nichts schief gehen.