Die Libra - Facebooks Projekt einer privaten globalen Digitalwährung. Eine Einschätzung
Das Libra Projekt
Im Juni 2019 präsentierte die Facebook-initiierte Libra Association das Projektpapier eines von ihr geplanten globalen Währungs- und Zahlungssystems namens Libra. Es soll 2020 in Betrieb gehen. Das hier vorgelegte Papier unternimmt eine Einschätzung der Sache.
Der Name des Projekts geht auf ein antikes römisches Gewichtsmaß zurück. Libra heißt auf Lateinisch Waage ebenso wie Pfund. Die Libra ist technisch als private (permissioned) Kryptowährung auf Blockchainbasis konzipiert, eine sog. stablecoin. In diesem Fall wird sie an einen Korb von international gehandelten staatlichen Währungen gebunden. Die Zusammensetzung des Korbs wird in dem Projektpapier nicht dargelegt, ein Bezug zu dem Währungskorb, der den IWF-Sonderziehungsrechten zugrunde liegt, wird nicht hergestellt. Jedenfalls kann man davon ausgehen, dass der US Dollar, und damit auch US Staatsanleihen, den Korb zu etwa zwei Dritteln dominieren.
Getragen werden soll Projekt von einem Konsortium von 100 Finanz- und Technologie- bzw Internetfirmen. Sie bilden die Libra Association mit Sitz in Genf, also außerhalb der Vereinigten Staaten. Mitglieder müssen eine Marktkapitalisierung von mindestens einer Milliarde Dollar oder mehr als 20 Millionen Kunden aufweisen. Sie müssen eine Einstandszahlung von zehn Millionen Dollar aufbringen. Bisher gibt es 28 Teilnehmer, darunter Visa, Mastercard, PayPal, Stripe, PayU, einige Wagniskapitalfirmen, Coinbase, Vodafone, Spotify, eBay und Uber. Facebook selbst ist durch eine eigens gegründete Tochterfirma namens Calibra beteiligt, mit einer einzigen Stimme wie jedes andere Mitglied.
Libra Einheiten werden durch Coin Offering herausgegeben, das heißt, Nutzer kaufen Libra im Tausch für Geld in einer herkömmlichen staatlichen Währung. Die Libra Reserve verspricht auf Verlangen jederzeitigen Rücktausch. Das einbezahlte Geld soll teils als liquide Geldreserve gehalten werden, teil in Staatsanleihen und anderen Wertpapieren. Die Geld- und Wertpapierreserven werden von einem speziellen Organ, der Libra Reserve, verwaltet, einer Art zentraler Librabank in spe.
Unter diesem Aspekt stellt die Libra Reserve eine zu 100% mit einer Vermögensreserve besichertes Geldinstitut dar (narrow bank). In ähnlicher Weise ist die Libra mit einem Geldmarktfonds vergleichbar, dessen Anteile als Depositen-artige Zahlungsmittel umlaufen. Ebenso ähnelt die Libra einem E-Geld, welches im europäischen E-Geld-Gesetz definiert ist als Zahlungsmittel, das im Tausch gegen anderes Geld herausgegeben und von Dritten als Zahlungsmittel angenommen wird. Der Unterschied ist, dass E-Geld auf Landeswährung lautet, während Kryptocoins, aber zum Beispiel auch nicht-kommerzielle lokale Komplementärwährungen, auf eigene Namen lauten.
Im Vergleich zu stark regulierten Banken, auch Geldmarktfonds und selbst geringer geregeltem E-Geld, sind private Kryptowährungen überhaupt nicht reguliert. Noch nicht. Indem das Libra-Konsortium in der Schweiz angesiedelt wird, umgeht die Libra möglicherweise auch die US Bank Holding Company Acts von 1956 und 1970, die es Finanzinstituten untersagen, zugleich nicht-finanzielle Geschäfte zu betreiben.
Die einbezahlten 'Reserven' dürften überwiegend aus Giralgeld bestehen (den von den Banken geschaffenen Giroguthaben im bargeldlosen Zahlungsverkehr des Publikums), also nicht Reserven i.e.S. von Zentralbankguthaben, die gesetzliche Zahlungsmittel darstellen. Das Konzeptpapier sieht eine vollständige Deckung durch teils vielleicht auch echte Reserven, durch Giralgeld und durch die damit erworbenen Wertpapiere vor. Dem Konsortium bleibt es freilich freigestellt, zu irgendeinem Zeitpunkt zu einer Teilreserve überzugehen, besonders wenn man sich entschließen sollte, mit pro-aktiv geschaffenen Libras in das Kreditgeschäft und weiter in das Investmentgeschäft einzusteigen, ganz wie Banken es heute tun, wenn sie Kreditforderungen und andere Vermögen von Nichtbanken mit selbst geschaffenem Giralgeld erwerben. Allerdings würden Libra und Libra Reserve dann der Bankenregulierung unterliegen.
Zunächst möchte das Libra-Konsortium lediglich Zahlungsdienste anbieten, schnelle und billige Online-Zahlungen auch über Landesgrenzen hinweg. Die zu Facebook gehörende Messenger App oder auch WhatsApp können dafür genutzt werden. Eine eigenständige Lira-App soll bald folgen. Das Libra System kann nach eigenen Angaben 1.000 Transaktionen pro Sekunde ausführen. Im Vergleich dazu sind Bitcoins 4–7 Transaktionen nicht wettbewerbsfähig. Die für Visa genannte Kapazität liegt zwischen 1,700 und 4,400 Transaktionen.
Internationale Überweisungen (außerhalb des Eurosystems) sind mit 4–12% eines betreffenden Betrags auch heute noch unverhältnismäßig teuer. Libra Überweisungen sollen dagegen sehr wenig bis nichts kosten. Dieses Versprechen beruht anscheinend auf den Zinserträgen aus den Kapitalmarktanlagen der einbezahlten Gelder. Die betreffenden Erträge können mit den Libra Nutzern in Form besonders günstiger Gebühren geteilt werden, anstatt Habenzinsen auf Libra Guthaben zu zahlen, was nicht vorgesehen ist. Dagegen sollen verzinsliche Spareinlagen angeboten werden. Das Libra-Konsortium ist eine nicht gewinnorientierte Körperschaft. Die Libra Reserve kann jedoch zu einem ertragreichen Unternehmen werden, von dem die Mitglieder des Konsortiums entsprechend profitieren.
Für die Verbreitung der Libra ist es entscheidend, ausreichend viele größere Firmen und kleinere Geschäfte zu gewinnen, die bereit sind, Libra in Zahlung zu nehmen. Zu diesem Zweck plant das Konsortium, einen großen Teil des 10-Millionen-Dollar-Eintrittgelds, das jede Mitgliedsfirma entrichtet, für finanzielle Anreize, gleichsam Subventionen, für kooperierende Firmen zu verwenden.
Warum Facebook? Sinn und Zweck
Was für ein Interesse hat Faceboook, eine globale Privatwährung aufzulegen? Im Konzeptpapier wird u.a. die Absicht angeführt,
"eine einfache, globale Währung und eine finanzielle Infrastruktur für Milliarden von Menschen bereitzustellen, die ihnen das Leben leichter machen. … Wir glauben, dass die Welt eine globale und wahrhaft digitale Währung braucht, die die Eigenschaften der besten Währungen der Welt vereint: Stabilität, geringe Inflationsrate, starke weltweite Akzeptanz und Fungibilität. Die Libra-Währung wurde geschaffen, um diese globalen Bedürfnisse zu befriedigen und dafür zu sorgen, dass mehr Menschen weltweit Geld besser nutzen können."
Dies wird auch als ein Schritt in Richtung finanzieller Inklusion dargestellt, indem den laut Weltbank bisher 1,7 Milliarden Menschen ohne Bankkonto ein digitales Geld samt Zahlungsdienst bereit gestellt wird. Überhaupt werde die Libra allen Menschen weltweit eine einfache und billige Alternative zu Bargeld und Giralgeld bieten. Darüber hinaus werde die Libra es den Menschen gerade in Entwicklungsländern – die oft eine höhere Inflationsrate aufweisen – erlauben, ihr Geld in Form der Libra gegen Kaufkraftverlust zu schützen.
Aber warum sollte gerade Facebook diese Initiative ergreifen, ein Technologie- bzw Internetkonzern der bisher vor allem im Bereich Onlinemedien und der Sammlung, Auswertung und kommerziellen Verwertung von Daten tätig gewesen ist? Eben darum. Auch Banken und andere Finanzfirmen sind heute zu hochgradig IT-intensiven Industrien geworden, die große Datenmengen von und über ihre Kunden speichern und auswerten. Aus Sicht der Mitglieder des Libra-Konsortiums stellen Zahlungsdienste und andere Geldgeschäfte, Technologieunternehmen und Online-Handels- und Vermittlungsunternehmen eine vielversprechende Verbindung dar. WeChat, Facebook's Chinesischer Rivale, bietet einen Zahlungsdienst bereits an. Facebook wird gegenüber der Konkurrenz sicher nicht ins Hintertreffen geraten wollen.
Es dürfte aber noch mehr als das an der Sache sein. Ein eigenes allgemeines Zahlungsmittel und gleich noch eine eigene Währung zu lancieren, eröffnet die Aussicht auf das faszinierende Privileg der Geldschöpfung, dem hergebrachten Hoheitsrecht von feudalen Herrschern und modernen Nationalstaaten. Heute liegt die Geldhoheit vor allem bei den Banken, im Tandem unterstützt von den Zentralbanken – ein doch zu verlockendes Privileg als dass nicht auch neue Finanz- und Technologiekonzerne ein Auge darauf werfen würden, zumal gegenwärtig schon über 2.000 Krypto-Möchtegernwährungen das Feld bevölkern.
Das Librakonzept beabsichtigt nach eigener Darlegung nicht, eine quasi souveräne Währung in eigenem Recht sein zu wollen. Es wird im Gegenteil betont, die Libra als eine kryptographische Kreuzung aus Anlagefonds und E-Geld an einen Korb staatlicher Währungen zu binden. Für den Anfang und mit globaler Reichweite ist das freilich schon ziemlich viel. Und es beinhaltet bereits auch Geldschöpfung – Erzeugung von Libras, welche die Menge umlaufenden Geldes ausweiten – und zwar in dem Maß, zu dem mit den Libras bezahlt wird und zugleich das dafür einbezahlte Geld in Nationalwährungen als Reserve nicht brach liegt, sondern in Geldanlagen investiert wird, womit auch dieses Geld weiter zirkuliert; ähnlich eben Geldmarktfonds-Anteilen, nur dass Libras keine Habenzinsen versprechen, sondern einen mittels Kapitalmarktzinsen intern subventionierten Billigdienst.
Einige Kommentatoren vermuten, Facebook würde mit der Libra außer finanziellen Interessen auch die Absicht verfolgen, bestimmenden Einfluss auf die Festlegung der globalen Standards zur Erfassung der digitalen Identität von Personen und Institutionen zu erlangen. Das ist eine weitere hoheitliche Verwaltungsaufgabe, wie im übrigen auch die Ausübung von Internetzensur, soweit diese im öffentlichen Interesse erforderlich wird, um Internet-Missbrauch auszuschalten. Facebook's Interesse an der Festlegung digitaler Identitäts-Standards dürfte nicht aus der Luft gegriffen sein und steht mit finanziellen Interessen durchaus in Einklang.
Kann die Libra funktionieren und erfolgreich sein? Fragen und Probleme
Damit aus dem Libra-Projekt ernstlich eine Herausforderung der staatlichen Währungshoheit ebenso wie der etablierten Bankeninteressen werden kann, stellt sich zuvor die Frage, ob die Libra echte Chancen hat, sich am Markt erfolgreich durchzusetzen. Das Geschäftsmodell der Libra setzt auf das Interesse der Geldnutzer an einfacher, sofortiger, sicherer und billiger Handhabung von Geld und Zahlungen, speziell auch internationalen Zahlungen. Letztere sind gegenwärtig ein erheblicher Vorteil der Kryptowährungen in Anbetracht der überwiegend noch vorhandenen Langsamkeit und Kostspieligkeit herkömmlicher internationaler Überweisungen. Die Libra verspricht einfache und sofortige Zahlung bei vergleichsweise hoher Wechselkursstabilität und zu geringen Kosten.
Ob Libra-Überweisungen ebenso sicher sind wie heutige Bank-Überweisungen bleibt abzuwarten. Was die Einfachheit und Schnelligkeit von Zahlungen angeht, hat die Bankenkonkurrenz nicht geschlafen. Echtzeit-Überweisung in Landeswährung wird gegenwärtig allgemein zugänglich. Auch Auslandsüberweisungen müssen nicht alle über das Globale Transaktionsbanking (SWIFT) und internationale Clearingsysteme (IPFA) laufen. Daneben wird die Kryptocoin Ripple schon von vielen Banken zur internationalen Direktüberweisung benutzt. Zahlungsdienste können TransferWise benutzen. Und welches Interesse sollten Vermieter, Versorgungsbetriebe und Handelsketten daran haben, ihrem Betrieb ein weiteres Zahlungssystem hinzuzufügen? Erheblich verringerte Gebühren sind da sicherlich ein Argument. Auch könnten die Kreditkartenfirmen und Zahlungsdienste im Libra-Konsortium eine integrierte Zweifach-Option anbieten: herkömmlich oder mit Libra.
Geld und Zahlungen digital und auch international zu managen, ist eine komplexe Aufgabe – kaufmännisch, technisch und rechtlich. Einige Kommentatoren stellen in Frage, ob Facebook dieser Aufgabe gewachsen sei. Das Libra-Projekt wird allerdings vom Libra-Konsortium getragen. Das Know-how der Zahlungsdienste, Kreditkarten- und sonstigen Finanzfirmen im Konsortium dürfte der Aufgabe sehr wohl gewachsen sein.
Unabhängig davon aber hat Facebook ein Glaubwürdigkeitsproblem. Viele Leute misstrauen Facebook bezüglich der Handhabung persönlicher Daten. Warum sollten sie dieser Firma bezüglich Geld und Zahlungsdaten Vertrauen schenken? Das Projektpapier verspricht eine Trennung finanzieller Daten von sozialen Daten. Wie glaubhaft das ist, bleibe dahingestellt. Schließlich kommt jede Zahlung von jemandem und geht an jemanden. Das muss in der Libra-Blockchain bei Bedarf nachvollziehbar sein. Das angeknackste Vertrauen in Facebook war sicherlich ein weiterer Grund dafür, das Libra-Konsortium zu bilden, in dem die Facebooktochter Calibra nur ein Unternehmen unter anderen ist. Jedoch können die anderen Mitglieder im Konsortium aus heutiger Sicht nicht sicher sein, dass die Öffentlichkeit die Libra als ihr gemeinsames Projekt betrachtet und nicht eben als eine Facebook-Initiative. Sollte letzteres Verständnis überwiegen, könnte das der Sache abträglich sein.
Um einen eigenen Netzwerkeffekt zu erzielen, muss die Libra die Massenanziehung etablierter Infrastrukturen und Praktiken überwinden. Anders als bei den bisherigen Kryptowährungen stehen die Chancen dafür nicht schlecht. Facebook alleine hat 2,4 Milliarden Nutzer weltweit, andere Mitglieder haben ihrerseits hunderte Millionen Kunden, bei teilweiser Überlappung. Schon ein Bruchteil aller dieser Personen und Firmen reicht vermutlich aus, um das Libra Projekt in Gang zu setzen, mit einer Reichweite ähnlich der des Dollars und zusätzlich eines Teils jener 1,7 Milliarden Menschen bisher ohne Bankkonto.
Eine damit verbundene, aber momentan ungeklärte Frage, ist die nach den rechtlichen Rahmenbedingungen. Um angenommen zu werden und auf Dauer zu bestehen, muss sich die Libra weitgehend an nationale und internationale Regulierungen halten. Dies gilt besonders auch hinsichtlich der Kenntnis der Nutzeridentität sowie Anti-Geldwäsche- und Anti-Terror-Anforderungen. Sollte das Libra-Konsortium es damit nicht recht ernst meinen, oder amerikanisches Recht und Rechtsanwälte vorschicken wollen, würde es bald als eine fremde und feindselige Kraft wahrgenommen, offiziell nicht geduldet und in eine dubiose Parallelexistenz abgedrängt – und damit generell dem Problem der meisten Kryptocoins ausgesetzt, ein Tummelplatz für Korrupte, Kriminelle, Dunkelhändler, Terroristen und Geldwäscher zu sein. Soweit die Libra aber vorhandene Geld- und Zahlungsregularien erfüllt, dürfte sie dadurch auch etwas von ihrem Appeal verlieren, ggf auch bezüglich einfacher Nutzung und Billigkeit.
Schließlich ist da die Frage des Wechselkurses der Libra. Die Libra ist als Stablecoin konzipiert. Das bedeutet nicht, sie hätte einen festen Wechselkurs, sondern lediglich eine feste Bindung an den Wechselkurs des zugrunde liegenden Währungskorbs. Aber alle darin enthaltenen Währungen schwanken in ihrem Kurs, obschon nicht volatil. Dementsprechend wird der Wert der Libra schwanken. Die Libra Nutzer gehen also ein gewisses, wenn auch normalerweise geringes, Kursrisiko ein. Dagegen haben Libra Nutzer in ausgeprägten Schwachwährungsländern einen entsprechenden Aufwertungsvorteil (wodurch sie ihre heimische Währung aber umso mehr schwächen).
Wie stellt sich das im alltäglichen Zahlungsverkehr dar? Wird alles in zwei Währungen ausgepreist, Tag für Tag, oder sogar im Tagesverlauf schwankend wie Tankstellenpreise? Müssen Libra Nutzer einen Währungsrechner zur Hand haben? Oder wird die Libra, je nach Land, sogar zur dominierenden Währung? In einem Land mit zwei Währungen gleichzeitig hantieren ist möglich, Touristikzentren und Grenzgemeinden zeigen das. Aber bequem ist es nicht gerade, und wo sich eine solche Situation allgemein einstellt, liegt es meist an einer Dauerkrise der jeweiligen heimischen Währung.
Die Libra und der Bankensektor
Eine erfolgreiche Libra-Einführung wäre von Beginn an eine Herausforderung herkömmlicher Banken. Es ist bemerkenswert, dass dem Konsortium verschiedenste Finanz- und Technologieunternehmen angehören, aber keine einzige herkömmliche Bank. Wollen die Banken nicht mitmachen (weil sie selbst ähnliche Projekte in petto haben), oder wollen Facebook und Konsortialpartner keine Banken mit dabei haben?
Das Geschäft von Universalbanken lässt sich in vier Bereiche gliedern:
1. Kontomanagement, Zahlungsdienste, Geld- bzw Währungswechsel
2. Darlehensgeschäfte (= Giralgeldschöpfung zum Gebrauch von NIchtbanken)
3. Investmentgeschäfte (= dto), einschließlich der Organisierung von Kunden-Investmentgeschäften
4. Vermögensverwaltung, d.h. Finanzmanagement der Anlageportfolios von Kunden und im Eigengeschäft, einschließlich Finanzmaklerdienste (brokerage).
Das Libra Projekt würde vor allem den Bereich 1 betreffen, aber auch erste Schritte in 2 und 3 mit sich bringen. Es geht zunächst um das Management von Libraguthaben, um die wechselseitige Konversion von Libras und anderen Währungen, und um die Erbringung von Zahlungsdiensten in Libras. Darüber hinaus soll der Librakreislauf Sparanlagen ermöglichen. Und der vermutlich größere Teil der Libra Währungsbasis wird in Wertpapiere und ggf andere Vermögenswerte investiert. Man kann sich leicht ausmalen, wie sich das in jeweils weitergehende Bankaktivitäten hinein entwickeln kann. Das passt auch zum allgemeinen Bild der massiven Ausweitung von Schattenbank-Aktivitäten und dem Wachstum sonstiger nicht-monetärer Finanzinstitute. Firmen wie Blackrock verwalten größere Geld- und Kapitalsummen als die meisten Großbanken. Das Libra Projekt könnte ausgehend vom Geld- und Zahlungssystem etwas ähnlich Großes erreichen, indem es die Libra privat und überstaatlich als eine neue de-facto Währungsbasis etabliert.
Die zentrale Frage: Ist die Libra ein Angriff auf staatliche Währungen, die Rolle der Zentralbanken und die Geldhoheit souveräner Staaten?
Das Libra-Konsortium, wie erwähnt, beabsichtigt nach eigenen Angaben nicht, staatliche Währungen zu ersetzen. Vielmehr beruhe die Libra auf jenem Korb staatlicher Währungen, der als Wertanker und Vertrauensbasis dient. In den anfänglichen Stadien des Libra Projekts wäre dem sicherlich so. In einem längeren Zeithorizont kann sich das ändern. In dem Maß wie die Libra eine Herausforderung konventionellen Bankings wäre, würde sie auch zu einer Herausforderung für Zentralbanken und ihre Geldpolitik. Entgegen dem äußeren Anschein, ist die Macht der Zentralbanken spezieller und begrenzter Art und sie haben sich im Zuge ihrer Kriseninterventionen seit 2007/08 in eine recht ratlose Position manövriert.
Die monetäre Prärogative der Geldschöpfung ist heute weitgehend an den Bankensektor übergegangen, einschließlich des Seigniorage-artigen Vorteils, Refinanzierungskosten zu vermeiden dank der extrem fraktionalen Reservebasis. Das Giralgeld der Banken ist seiner Herkunft nach ein privates Geldsurrogat, ein Ersatz für staatliches Geld bzw Zentralbankgeld, nicht viel anders als heutige neue Geldsurrogate. Im Lauf der Zeit, spätestens in den 1960/70er Jahren, ist das Giralgeld dann zum vorherrschenden und systembestimmenden Zahlungsmittel geworden. Im Vergleich dazu sind die noch vorhandenen Mengen an Bargeld im Publikumsverkehr und unbaren Zentralbank-Reserven im Interbankenverkehr sehr klein geworden. Die Bargeld-Kassenbestände der Banken liegen bei 1,4% des vorhandenen Giralgelds. Die liquiden sog Überschussreserven, die Banken benötigen, um den Interbanken-Zahlungsverkehr abzuwickeln, belaufen sich auf 0,x–1% des Giralgelds. Die weitgehend brach liegenden sog Mindestreserven betragen im Eurosystem 1% der reservepflichtigen Giralgelder. In den USA beträgt die Mindestreserve formal 10%, aber in Wirklichkeit reduziert sie sich aufgrund verschiedener Abzüge und Ausnahmen faktisch auf den residualen Bargeldbedarf.
Diese Sachlage hat den Geldmengenhebel der Zinspolitik der Zentralbanken massiv verkürzt. Das hat seinerseits die Wirksamkeit der Geldpolitik in hohem Maß geschwächt. Die Zentralbanken sind zu bereitwilligen Allzeit-Refinanzierern der Banken geworden, die re-aktiv die monetären Tatsachen bedienen, welche die Banken mit ihrer Kredit- und Investmenttätigkeit und der damit verbundenen Giralgeldschöpfung pro-aktiv schaffen. Sollten sich die bestehenden Trends weiter fortsetzen – erheblich verringerte Rolle des Zentralbankgelds und weitreichender Verlust monetärer Kontrolle, relativ verringerte Bedeutung konventioneller Banken aufgrund des zunehmenden Gewichts von Schattenbanken und neuen Geldsurrogaten (wie möglicherweise der Libra) – könnten die Zentralbanken bald als eine Art König Ohneland dastehen. Die staatlichen Währungen würden zwar weiterbestehen, aber als bloße Recheneinheit ohne reale monetäre Masse dahinter, wie eine leere Muschel. Für die Libra und weitere noch auftretende Währungskandidaten von Finanzkorporationen eröffnet das günstige Aussichten.
Auf die Präsentation des Libra Konzeptpapiers haben viele Politiker, Zentralbanker und Ökonomen nun endlich einmal mit einer schnellen und deutlichen Zurückweisung reagiert. Unter den kritischen bis ablehnenden Stimmen waren Benoît Cœuré vom EZB Präsidium, Bruno Le Maire, der französische Finanzminister, oder der Ökonom Nouriel Roubini. Eine größere Anzahl von US Politikern der Demokraten wie auch der Republikaner und führende Mitglieder des Kongresses haben spontan ein Gesetz ins Spiel gebracht, das es Technologiekonzernen verbieten soll, Digitalwährungen zu emittieren. Ein solches Gesetz, wie oben erwähnt, gibt es im Prinzip schon, aber vielleicht benötigt es eine Novellierung. Direkt anwendbar auf eine in Genf angesiedelte Organisation wäre das Gesetz nicht, aber die betreffenden Unternehmen könnten sich verschiedensten Widrigkeiten inner- und außerhalb der USA ausgesetzt sehen. Ein Grund für die teilweise heftige Reaktion mancher US Politiker besteht wohl nicht nur in Befürchtungen hinsichtlich der Dollar-Hegemonie, sondern auch der damit verbundenen Fähigkeit, international die Befolgung von US Sanktionen zu erzwingen.
Wie dem auch sei, ein Weckruf war längst überfällig. Die meisten Zentralbanker neigen noch immer dazu, Probleme herunterzuspielen und sich mittels Basiszins-Politik im Vollbesitz monetärer Kontrolle zu wähnen. Den weitgehenden Verlust der Geldhoheit an das Giralgeld der Banken redet man sich schön, die monetäre Relevanz der Geldmarktfonds-Anteile hat man allenfalls statistisch zur Kenntnis genommen, und den unzähligen Kryptocoins wurde zwar eine technische, aber keine monetäre Bedeutung zugeschrieben. Erst als nun gekommen ist, was seit Jahren zu befürchten stand, nämlich dass global agierende Finanz- und Technologiekonzerne eine private Kryptowährung von globaler Reichweit lancieren, erahnt man die monetäre Brisanz der Sache und die Bedrohung die davon ausgehen kann für die monetäre Souveränität von Nationalstaaten, oder einer Gemeinschaftswährung souveräner Staaten wie den Euro.
Dabei haben die Amerikaner aus einer US Dollar Perspektive eigentlich weniger Grund alarmiert zu sein als die Regierungen und Zentralbanken anderer Währungsräume. Womöglich verstehen sich die Libra und der US Dollar am Ende besser als es auf den ersten Blick erscheint. Im Prinzip allerdings ist jede staatliche Währung in dem Maß herausgefordert wie der in dieser Währung denominierte Geldbestand (Giralgeld, Bargeld und Zentralbank-Reserven) gegenüber Privatwährungen an Boden verlieren würde. Für eine Währung, die außerhalb des Kreises der acht hauptsächlichen Reservewährungen steht (US Dollar, Euro, Yen, Pfund, Renminbi, Kanadischer Dollar, Schweizer Franken und Australischer Dollar) und die zudem eher als Schwachwährung gilt, ist es ohnehin schwierig, sich gegen allgemeine monetäre Entwicklungen abzuschirmen. So gesehen ist die Absicht des Libra-Konsortiums, Menschen bisher ohne Bankkonto vor allem in Entwicklungsländern Libra-Zahlungsdienste zu bringen, höchst ambivalent. Ein nützlicher Dienst mag das sein, aber sicherlich auch ein Bärendienst für die betreffenden Staaten, die noch stärker an monetärer Souveränität einbüßen würden, zumal wenn sie höhere Inflationsraten als die Libra aufweisen.
Von daher, würde die Libra (oder ein anderer solcher Herausforderer) tatsächlich weltweite Verbreitung finden, hätte sie gute Chancen, zu einer Weltwährung zu werden, wenn auch nicht gleich zur dominierenden. Die staatlichen Währungen würden unterdessen zu jenen leeren Muscheln, wenn die Zentralbanken weiterhin nichts tun. Was sie tun müssten? Sie müssten die monetäre Kontrolle zurückgewinnen, indem sie die Vollgeldbasis (Reserven, digitales Zentralbankgeld, residual Bargeld) im Publikumsverkehr ebenso wie im Interbankenverkehr massiv ausweiten und sie gleichzeitig die Ausbreitung privater kommerzieller Zahlungsmittel gezielt beschneiden.
Zu letzteren gehören nicht nur Geldmarktfonds-Anteile und ab nächstem Jahr ggf die Libra, sondern eben auch das Giralgeld der Banken. Als privates Zahlungsmittel besitzt das Giralgeld zurecht nicht den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels. Dennoch hat das Giralgeld im Lauf der Zeit einen para-staatlichen Status dadurch erlangt, dass es schon immer auf die offizielle Währung lautet und von Krise zu Krise zunehmend von den staatlichen Zentralbanken als lenders of last resort jederzeit gestützt und vom Staat als Garantiegeber letzter Instanz gewährleistet wird. Man hat diese Entwicklung irgendwie für normal gehalten und sie unter Aspekten der Ordnungspolitik und ökonomischen (Dis-)Funktionalität nicht für problematisch erachtet. Tatsächlich aber ist das Giralgeldregime unter diesen Aspekten überaus problematisch und was sich nun in Form der Libra ankündigt, ist die logische Fortsetzung dessen, was mit der Entwicklung des Bankengelds begonnen hat.
Werden wir eines Tages dann auch noch für Facebooks Schattendollars geradestehen müssen? Möglicherweise Ja. Wenn sich die Dinge nach dem bisher angelegten Pfadverlauf fortsetzen, werden sich Regierungen und Zentralbanken über kurz oder lang in der Verlegenheit wiederfinden, auch die Libra stützen und für sie bürgen zu müssen, gerade so wie sie seit der Krise 2007/08 Geldmarktfonds und Bankengeld durch Quantitative Easing (ultralockere Monetisierung von Schulden) und Mehrverschuldung retten mussten, um einen allgemeinen Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern. Kein Geldsurrogat ist immun gegen Krisen. In einer Krise ist ein Run auf Libras ebenso wahrscheinlich wie auf Giralgeld. Selbst wenn die Libra vollständig vermögensbesichert bliebe, müsste die Libra Reserve in großem Umfang Notverkäufe ihrer Aktiva vornehmen, was unweigerlich finanzielle Kettenreaktionen auslösen würde.
Je mehr ein Geldsurrogat wie die Libra sich verbreitet, desto mehr wird es faktisch zu allgemein gebräuchlichem Geld und erlangt damit systemische Relevanz, anders gesagt, es wird viel zu wichtig für die gesamte Wirtschaft, um im Krisenfall ignoriert und ihrem Schicksal überlassen zu werden. Zu Beginn hätte die Libra keine Zentralbank als lender of last resort und keinerlei sonstige staatliche Gewährleistung. Wie weit öffentliche Stellen Libra benutzen würden, ist unklar. In dem Maß aber, wie die Libra sich erfolgreich verbreiten würde, käme sie bald in den Genuss solcher staatlicher Privilegien, eben aufgrund ihrer dann erreichten systemischen Relevanz.
Dass man die schrittweise Privatisierung der Geldhoheit souveräner Staaten so lange und so weit hat treiben lassen, offenbart einen Mangel an Verständnis für die Geldhoheit als einer staatlichen Prärogative von Verfassungsrang. Andere solche Prärogativen wie Gesetzgebung, Rechtsprechung, Gebietsverwaltung, Steuermonopol und Gewaltmonopol versteht man meist besser. Ohne diese Hoheitsrechte kann ein Rechtstaat, zumal ein freiheitlicher und demokratischer, nicht funktionieren. Und zu diesen Hoheitsrechten gehören in gleicher Weise auch die monetären Prärogativen in Form der Bestimmung der Währung (als gesetzlicher Recheneinheit), der Herausgabe des in dieser Währung denominierten Geldes (Vollgeld) sowie dem daraus erwachsenden Geldschöpfungsgewinn, der Seigniorage. Von daher erweist sich ein Projekt wie die Libra als ordnungspolitisch verwildertes Antonym zur staatlichen oder staatengemeinschaftlichen Geldhoheit.
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Verzeichnis erster Kommentare zum Libra Projekt
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USA Today Editorial Board. Facebook Libra digital currency will carry hidden costs, 7 July 2019.
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► Das Libra Projekt
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► Die zentrale Frage: Ist die Libra ein Angriff auf staatliche Währungen, die Rolle der Zentralbanken und die Geldhoheit souveräner Staaten?
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