.
Vollgeld in der Kritik
Erläuterungen zum Vollgeldkonzept anlässlich Kritik aus verschiedenen ökonomischen Denkrichtungen
Einleitung
Manche Experten tun sich schwer, überhaupt nur die Relevanz des Themas Geldreform zu sehen. Vertreter des Mainstream (neoklassische Theorie, Keynesianismus u.a.) legen erwartungsgemäß einen gewissen habituellen Konservatismus an den Tag. Sie halten das bestehende Giralgeldsystem im wesentlichen für funktionsfähig und erhaltenswert. Es als Ursache von ökonomischen Funktionsproblemen und Finanzkrisen anzusehen, liegt ihnen fern. Im Gegenzug unterstellen sie einer Vollgeldordnung unter diversen Aspekten, nicht funktionieren zu können. Sich darauf einzulassen sei riskanter als mit den Unzulänglichkeiten und Unberechenbarkeiten des bestehenden Systems weiter zu werkeln. Auch sei eine Geldreform deshalb überflüssig, weil man inzwischen ergriffene Maßnahmen, etwa erhöhte Eigenkapital-Anforderungen für Banken, als hinreichend erachtet.[1]
Wie ebenfalls zu erwarten war, lehnen Ultraliberale wie die Neoaustrians staatliches Geld unter Zentralbank-Kontrolle rundheraus ab. In dieser Hinsicht halten sie ja schon das heutige zweistufige Bankensystem, das, formal gesehen, öffentlich-privat gemischte Geldsystem, für einen Sündenfall.[2]
Überraschend ist dagegen die Vollgeldkritik von politisch links orientierten Nachfragekeynesianern, gewerkschaftsnahen Ökonomen oder Marxisten. Diese Art Kritik kommt mit teils kaum nachvollziehbaren Fehldarstellungen des Vollgeldkonzepts, etwa, es handle sich um einen neuen Goldstandard, oder eine erneute kapitalfreundliche Angebotsdoktrin. Diese müsse zu Kreditverknappung und hohen Zinsen und damit zum Abwürgen der Wirtschaft führen.[3] Dies ist dann schon wieder auf der Linie dessen, was Vertretern des Mainstream noch am ehesten einfällt.
Warum sich viele Ökonomen mit Geldreform schwertun
Annahme der Neutralität des Geldes
Warum verkennen die meisten Mainstream-Ökonomen die Relevanz der Geldordnung? Unter Mainstream wird hier die neoklassische Gleichgewichtstheorie und der daran assimilierte Keynesianismus verstanden, oder anders gesagt, die amerikanische Lehrbuch-Standardökonomik. Nach diesem Standard scheint Geld keine sonderliche Rolle zu spielen. Mainstream-Ökonomik beinhaltet die Annahme der Neutralität des Geldes. Geld verdienen mag als grundlegendes Motiv des Wirtschaftens gelten. Aber die Wirtschaft als solche wird als ein System aufgefasst, das Produktionsfaktoren zusammenführt, um Produkte zu erstellen und diese auf Märkten zu verkaufen, die als ein riesiger Tauschhandel betrachtet werden.
Die Funktion des Geldes besteht dabei darin, den Austausch zu vermitteln. Indem Güter und Dienste gegen Geld gehandelt werden können, statt unvermittelt gegen andere Güter und Dienste, wird die ansonsten nötige Koinzidenz von Angebot und Nachfrage überwunden. Jenseits dessen wird dem Geld jedoch keine Bedeutung zuerkannt. Mitte des 19. Jahrhunderts prägte J.St. Mill das Bild des Geldes als einem bloßen 'Schleier über der Wirtschaft', ohne strukturelle Bedeutung für diese. Eine starke Zunahme der Geldmenge wird als 'Schock' bezeichnet. Dieser mag vorübergehend Inflation hervorrufen, die durchaus als Störung gesehen wird, aber der Markt sei resilient und werde alsbald zu einem neuen Gleichgewicht finden.
Glaubt man an diese Doktrin der Neutralität des Geldes, so scheint das Geldsystem nicht wirklich von Bedeutung zu sein, allen Währungs-, Banken- und Finanzkrisen zum Trotz. Ökonomische Lehrbücher haben gut und gerne 600–1.000 Seiten, aber die Abschnitte über das Geldsystem umfassen meist nur 10–20 Seiten – ein noch geringerer Prozentsatz als die Bruchteil-Reserve im heutigen Giralgeldsystem.
Die neoklassische Theorie hat nicht immer einen so monolithischen Eindruck gemacht wie heute. Schon die klassische Lehre in der ersten Hälfte des 18 Jhds hatte die monetäre Currency School und ihre Kontroverse mit der Banking School hervorgebracht. In ähnlicher Weise hat es auch später immer wieder neoklassische Ansätze gegeben, die in der ein oder anderen Weise von der Nicht-Neutralität des Geldes ausgingen und dem Geld- und Finanzwesen einen grundlegend wichtigen Stellenwert zuerkannten, einschließlich einer chartalen Auffassung der Geldordnung. Beispiele dafür sind u.a. Irving Fisher sowie die frühe Chicago Schule (Simons, Knight, Viner, P.Douglas u.a.), später Maurice Allais und Milton Friedman. Das war in den 1930–60er Jahren.
In diese Zeit fällt auch die Freiburger Schule des Ordoliberalismus (Eucken, Röpke, Rüstow, und andere). Diese Ökonomen folgten im Prinzip dem neoklassischen Paradigma, bei einem gewissen Einfluss historisch-institutioneller Betrachtungsweisen. Zu ihrer Zeit galten sie als Neoliberale. Sie entwickelten die Idee der Ordnungspolitik (im Unterschied zu wirtschaftspolitisch-bürokratischem Interventionismus), ein Konzept konstitutioneller Marktwirtschaft, das die 'soziale Marktwirtschaft' der 1950 – 60 er Jahre begründete. Dazu gehörte bei Eucken auch eine chartale Geldordnung, in starkem Kontrast zu dem ultraliberalen Programm der globalen Deregulierung des Banken- und Finanzwesens, das die zurückliegenden Jahrzehnte bestimmt hat.
Die Österreichische Schule ist eine weitere neoklassische Theorie, für welche die Geldordnung von grundlegender Bedeutung ist. Im Gegensatz zu den vorgenannten Richtungen lehnen die Österreicher, und die heutigen Neoaustrians, das moderne, frei schöpfbare Zeichengeld (fiat money) jedoch ab. Von Menger und Mises über Hayek zu Huerta de Soto betrachten sie goldgedeckte Währungen als neutral, aus ihrer Sicht somit als wünschenswert, während frei geschöpftes Zeichengeld einer Zentralbank oder Regierung (fiat money) für sie nicht neutral ist. Der ihnen mutwillig erscheinenden Geldschöpfung wird unterstellt, marktgerechte Preisrelationen und die marktgerechte Allokation und Verteilung der Mittel zu stören. Allerdings hat kein Vertreter der Österreichischen Schule je erklärt, wie man marktgerechte Preisrelationen feststellt. Das Marktergebnis gilt immer als richtig und erhält damit, speziell bei Hayek, den Charakter eines Gottesurteils. Zudem beziehen selbst die heutigen Neoaustrians die Finanzwirtschaft allenfalls beiläufig in ihre Überlegungen mit ein, also gerade jenen Bereich der Wirtschaft, wo man strukturelle Veränderungen und disproportionale Trends auf monetärer Grundlage am besten erkennen kann, etwa Blasen an Immobilien- oder Aktienmärkten.
Der Keynesianismus und seine Nachfolge-Richtungen (Postkeynesianismus, Monetärkeynesianismus, Circuitismus, Modern MoneyTheory (MMT)) unterscheiden sich von neoklassischen Lehren, indem sie moderne Wirtschaftsweisen von vornherein als Geldwirtschaft analysieren, das heißt, nicht nur als geldvermittelte Tauschwirtschaft, sondern als eine Wirtschaft, die auf einem bestimmten Geldsystem beruht und durch Geld, Banken und Finanzen strukturell bestimmt wird. Keynes hatte sich die um 1890 aufgekommene Banken-Kreditgeldtheorie zu eigen gemacht, vertrat eine chartale Geldtheorie ('Staatliche Theorie des Geldes' nach Knapp), und konzipierte das Forschungsprogramm einer monetären Produktionstheorie. Diese bildet ein Alternativprogramm zur Kapitaltheorie der Produktion der Österreichischen Schule. Der Slogan 'Money matters' wurde von Friedman geprägt, hätte jedoch ebenso gut von Mises oder Keynes stammen können.[4]
Annahme der Funktionalität des bestehenden Geldsystems
Viele Ökonomen unterschiedlichster Lehrmeinung beurteilen heute gewisse Realitäten des Bank- und Finanzwesens durchaus als problematisch. Sie gehen dabei jedoch meist nicht so weit, das Geldsystem als Ursache dieser Probleme anzusehen.
Die historische Currency School gegen Mitte des 19 Jds war die erste, die finanzielle Instabilität und Wirtschaftskrisen systematisch der überschießenden, teils zur Unzeit schrumpfenden Geldschöpfung der Banken zuschrieb.
Die Österreichische Schule in den Jahrzehnten um und nach 1900 hatte eine ähnlich kritische Meinung über die Fehlfunktionen des Reservebanking (des Giralgeldregimes der Banken). Jedoch gab sie die Schuld an allem der Geldpolitik der Zentralbanken und Einmischungen der Regierungen und suchte das Heil in 'free banking' auf der Grundlage eines erneuerten, sich auch auf Buchgeld (Giralgeld) beziehenden Goldstandards. Sie sahen Geld als reine Privatsache und lehnten Chartalismus rundheraus ab. Noch die heutigen Neoaustrians besitzen kein Verständnis der staatsrechtlichen und institutionellen Grundlagen moderner, auch schon traditionaler, Geldwirtschaften.
Demgegenüber hätte man vom Keynesianismus und Richtungen Keynesianischer Herkunft schon eher erwarten können, für eine Kritik des Geld- und Bankwesens offen zu sein. Im allgemeinen ist dem jedoch nicht so. Lehrmeinungen Keynesianischer Herkunft beschreiben das Geldsystem nicht immer ganz tatsachengerecht. Oder sie entwickeln Neuinterpretationen des Reservebanking, wie etwa die MMT, die auf eigene Weise problematisch und irreführend sind.[5]
Keynes und der an den Mainstream assimilierte Neokeynesianismus fielen teilweise hinter ihre Einsichten zurück, indem sie von unzutreffenden Annahmen ausgehen, im besonderen
- der Kategorie verleihbarer Giralgeld-Ersparnisse (loanable funds). Demnach gilt die zentrale Annahme 'Investitionen = Ersparnisse' anstatt 'Investitionen = ein Teil der Ersparnisse am sekundären Kapitalmarkt plus laufende Giralgeldschöpfung durch Kreditvergabe der Banken und Primärkauf von Wertpapieren durch Banken'.[6]
- dem Modell des Geld- oder Kreditmultiplikators, obwohl in Wirklichkeit nicht Zentralbank-Reserven durch die Banken 'multipliziert' werden, sondern umgekehrt die von den Banken pro-aktiv erzeugten Geldmengen nachträglich von den Zentralbanken zum Bruchteil re-finanziert werden.
- der trügerischen Annahme, Reservepositionen oder Leitzinsen seien effektive Steuerungs-Instrumente der Geldpolitik.
Hinzu kommt Keynes' letztlich doch recht einseitige Analyse der Krisenphasen von Wirtschaftszyklen. Er erklärte sie weniger als Überinvestitions- bzw Überschuldungskrisen, oder marxistisch gesprochen, als Überakkumulation von Kapital, das aus laufenden Gewinnen nicht mehr bedient werden kann. Stattdessen sah Keynes, nach Gesell, die Hauptursache in der von ihm so genannten Liquiditätspräferenz, zuvor als Geldhortung bezeichnet. In der Allgemeinen Theorie figuriert 'Investitionen = Ersparnisse' weiterhin als zentrale Gleichung. In einem Giralgeldregime gilt die Gleichung jedoch nur teilweise, das heißt sie gilt für das sekundäre Verleihen oder Anlegen von bereits vorhandenem Giralgeld, nicht aber für Bankenkredit und Bankenkäufe von Wertpapieren oder Immobilien. Die Keynesianische Präokkupation mit der Liquiditätspräferenz, bis hin zur monetären Kreislauftheorie, mag auch den Weg dafür bereitet haben, bis hin zur MMT, sich fortwährende Haushaltsdefizite und Schuldenakkumulation als Ausdruck 'funktionaler Finanzen' (A. Lerner) schön zu reden.
Selbst soweit Postkeynesianismus, Circuitism und MMT das heutige Geld- und Bankensystem in operativer Hinsicht zutreffend beschreiben, erachten sie dieses System nicht als problematisch, sondern als durchaus funktional. Anders gesagt, die Ursachen der seit Jahrzehnten weltweit häufiger und schwerer gewordenen Finanzkrisen werden nicht dem Geld- und Bankensystem zugeschrieben. Eher sucht man sie in Fehlverhalten sowie der Fehl- oder De-Regulierung der Finanzmärkte. Demgemäß sieht die Ökonomik Keynesianischer Herkunft wenig Anlass, sich mit einer Kritik des Geldsystems, womöglich mit einer Geldsystemreform, zu befassen.
Auch hier gibt es individuelle Ausnahmen. Zu ihnen gehört James Tobin, der den Reformansatz des 'narrow banking' entwickelte. Dieser ähnelt den Ansätzen einer 100%-Reserve. Tobin, darin ganz Keynesianer, dachte an eine 100%-Deckung von Bankeinlagen durch Staatsanleihen.[7] Eine andere Ausnahme ist Hyman Minsky und seine Theorie instabiler Finanzen. Investment- und Schuldenblasen speisen sich nicht nur aus der Sekundäranlage von Giralgeld, sondern auch, und schon im Vorlauf dazu, aus einem BIP-disproportionalen primären Geldmengenwachstum. Dementsprechend (im Zusammenhang mit der endgültigen Aufhebung der amerikanischen Trennbankenordnung in den 1990er Jahren) stellte Minsky einmal Überlegungen zu einer neuen Trennbankenordnung an, und zwar bezüglich der Trennung der Geld- und Zahlungsdienste der Banken vom ihrem Kredit- und Investmentgeschäft. Damit sollte die monetäre Macht der Banken, Primärkredit (Giralgeld) zu erzeugen, unterbunden werden.[8] Anscheinend hat Minsky die Sache jedoch nicht weiter verfolgt. Er hat wiederkehrende instabile Finanzen in erster Linie dem Risikoverhalten der Banken und Finanzmärkte zugeschrieben, nicht der Geldordnung. Stattdessen vertrat er die Idee des Staates als 'Arbeitgeber letzter Instanz' ('employer of last resort', offenbar in Analogie zur Zentralbank als 'lender of last resort' für die Banken). Das läuft dann doch wieder auf das Keynesianische Konzept kompensatorischer Staatsausgaben hinaus, um Arbeitsplätze zu schaffen (aktive Arbeitsmarktpolitik) oder um zusätzliche Nachfrage zu schaffen, die Arbeitsplätze bringen soll.
Falsche Identität von Geld und Kredit
Sowohl Tobin als auch Minsky verblieben in den konzeptionellen Grenzen eines Giralgeld- und Reservesystems mit gesplittetem Geldkreislauf. Es gelang ihnen nicht, über diesen Horizont hinaus zu kommen zugunsten eines reinen Vollgeldsystems mit einem einzigen homogenen Geldkreislauf. Dies weist auf einen anderen Grund, warum der Mainstream und der Keynesianismus das bestehende Geldsystem als funktional erachten, nämlich die Verkennung eben dieses Unterschieds zwischen einem Giralgeldsystem mit fraktionalem Reservenkreislauf getrennt vom Giralgeldkreislauf, und einem einfachen Geldsystem mit einem einzigen Kreislauf; anders gesagt, ihre anscheinende Unfähigkeit, die falsche Identität von Geld und Kredit aufzulösen, wie dies bereits von der historischen Currency School kritisiert wurde. Die Verwechslung von Zeichengeld als gesetzlichem Zahlungsmittel und Bankenkredit (Giralgeld) war schon damals ein doktrinäres Element der Banking School.
Infolgedessen wird ebenfalls übersehen, dass Geld schöpfen einerseits und Geld verleihen andererseits zwei verschiedene Funktionen sind. Im bestehenden Kreditgeld- oder Schuldengeld-System der Banken werden sie jedoch uno actu ausgeführt. Diese falsche Identität von Geld und Kredit führt viele Kritiker auch dazu, die Möglichkeit einer schuldenfreien modernen Geldbasis rundheraus abzustreiten. Solange neoklassische und keynesianische Ökonomen an der verabsolutierten axiomatischen Identität von Geld und Kredit festhalten, so lange werden sie einer Reform des bestehenden Giralgeld- und fraktionalen Reservesystems wohl nur wenig abgewinnen können.
Partieller statt vollständiger Chartalismus
Ein weiterer Grund für das noch überwiegend fehlende Verständnis neoklassischer und keynesianischer Ökonomen bezüglich Kritik und Reform des Giralgeldregimes liegt im vorherrschenden partiellen Chartalismus. Dieser unterscheidet sich in seinem Bedeutungsumfang von einem vollständigen Chartalismus, der die drei monetären Prärogativen eines souveränen Staates beinhaltet, nämlich die hoheitlichen Vorrechte
1. der Währung (Festlegung der offiziellen nationalen Währungs- und Recheneinheit)
2. des Geldes (Schöpfung und Ausgabe der Zahlungsmittel in dieser Währung)
3. der Seigniorage (Geldschöpfungsgewinn zugunsten der Staatskasse).
Der allgemein verbreitete partielle Chartalismus geht zurück auf die 'Staatliche Theorie des Geldes' nach G. Fr. Knapp (1905). Diese Bezeichnung ist etwas missverständlich, insofern darunter fast jeder eine 'Theorie staatlichen Geldes' verstehen dürfte – worum es sich bei dieser Theorie jedoch nicht, oder nur am Rande, handelt. Nach Knapp bedarf eine starke Währung ihrer Gewährleistung durch einen stabilen starken Staat. Das beinhaltet Knapp zufolge jedoch nicht, dass das Geld in dieser Währung, die offiziellen Zahlungsmittel, staatliches Geld sein muss, das von einer staatlichen Stelle wie dem Finanzministerium oder der (damals noch para-)staatlichen Zentralbank herausgegeben wird. Um den Status eines offiziellen, allgemein akzeptierten Zahlungsmittels zu erlangen, genügt es Knapp zufolge, wenn das Finanzamt oder die Gerichte akzeptieren, oder sogar verlangen, dass Steuerforderungen oder Geldstrafen mit einem betreffenden Geld beglichen werden.
Der partielle Chartalismus erhält das Prinzip nationalstaatlicher Währungseinheit aufrecht, überlässt aber das Geld und Seigniorage-artige Privilegien dem privaten Bankensektor, heute schon sehr weitgehend, bei künftigem Wegfall des staatlichen Bargeldes so gut wie vollständig. Knapp's Theorie entspricht dem für das 19 Jhd typischen Nationalliberalismus. Er betrachtete das sich damals zunehmend verbreitende Giralgeld als einen funktionalen und unter staatlicher Kontrolle befindlichen Bestandteil dessen, was er, und auch andere zu seiner Zeit wie etwas Mitchell-Innes, für ein staatliches Währungs- und Geldsystem hielten. Die neoklassische Finanztheorie ebenso wie der Keynesianismus und seine Erben – einschließlich des Postkeynesianismus, Monetärkeynesianismus, der monetären Kreislauftheorie und der MMT – vertreten bis heute einen solchen partiellen Chartalismus mit einer Mischung staatlichen und privaten Geldes, wobei das private Giralgeld der Banken die staatlichen Münzen und Banknoten marginalisiert und unter Kontrolle genommen hat. Nach außen, und in den Lehrbüchern, wird jedoch immer noch der Schein einer Kontrolle des Giralgeldes durch die Zentralbank aufrecht erhalten. Es macht natürlich keinen Sinn, über eine Vollgeldreform nachzudenken, wenn man das Giralgeld für eine kontrollierte Teilmenge eines vermeintlich bestehenden staatlichen Vollgeldsystems hält.
Was speziell die Modern Money Theory (MMT) angeht, liegt ein zusätzlicher Grund für ihr Unverständnis in ihrer Version von postkeynesianischer Saldenmechanik.[9] Modelle der Bilanzen eines öffentlichen und eines privaten Sektors, bei Bedarf zuzüglich eines Außensektors, wurden in der Nachfolge von Keynes ursprünglich entwickelt, um als kritisch erachtete Ungleichgewichte festzustellen und zu analysieren.[10] In der MMT wird die Bedeutung betreffender Ungleichgewichte jedoch in einer Weise re-interpretiert, die fiskalische und monetäre Funktionen zu einer irrealen Scheineinheit fusioniert.
MMT behauptet, Schulden des öffentlichen Sektors seien nicht wirklich als Schulden anzusehen, sondern als 'Monetisierung' der Ökonomie, als ihre Ausstattung mit den nötigen Zahlungsmitteln. Von daher werden Ausgaben des öffentlichen Sektors mit staatlicher Geldschöpfung gleichgesetzt, während Zahlungen des privaten Sektors an den öffentlichen Sektor (Steuern, Gebühren) als Löschung von staatlichem Geld re-interpretiert wird, analog zur Rückzahlung von Kredit an Banken. Die Banken selbst seien dabei lediglich hilfreiche Intermediäre, indem sie öffentliche Schulden zunächst finanzieren und sie sich die Ausgaben danach von der Zentralbank gegen Hinterlegung der öffentlichen Schuldverschreibungen refinanzieren ließen. Staatsschulden seien also kein Problem, auch deshalb nicht, weil ihnen per Saldo gleich hohe Vermögen des privaten Sektors gegenüber stünden (ohne zu fragen, wessen Vermögen das eigentlich sind).
Wenn öffentliche Schulden und öffentliche Ausgaben mit staatlicher Geldschöpfung gleichgesetzt werden, und ein souveräner Staat davon angeblich so viel erzeugen kann wie ihm gut dünkt, dann scheint daraus zu folgen, dass ein souveräner Staat niemals zahlungsunfähig werden kann. Defizitäre öffentliche Ausgaben und öffentliche Schuldenstände scheinen demgemäß monetär und finanziell bedeutungslos und gesamtwirtschaftlich nur von Vorteil zu sein.
Es geht an dieser Stelle nicht darum, den tendenziellen Surrealismus dieser Art von verwildertem Keynesianismus zu diskutieren, sondern zu verstehen, weshalb für solche Leute das bestehende System in Ordnung, und eine Reform der Geldschöpfung daher irrelevant zu sein scheint.
Kernpunkte einer Vollgeldreform, Elemente einer Neuen Currencylehre
Um für die die bisherigen Ausführungen sowie die nachfolgende Kritik an Vollgeld ein Bezugsystem für eine vergleichende Betrachtung herzustellen, seien an dieser Stelle kurz wichtige Kernpunkte einer Vollgeldtheorie, oder, wie man auch sagen kann, einer Neuen Currencylehre aufgeführt, Komponenten, die auch der heutigen internationalen Geldreformbewegung – teils explizit, teils implizit – zugrunde liegen.
Der Ausdruck Currencylehre nimmt Bezug auf die British Currency School der ersten Hälfte des 19 Jhds. Ihr stellte sich die Banking School entgegen. Die Currency School trat für eine gesetzliche Kontrolle der Geldmenge ein sowie für die funktionale Trennung von Geldschöpfung und Kreditwirtschaft. Die Banking School verfocht im Gegensatz dazu das, was heute Free Banking heißt, also die private Geldschöpfung der Banken und damit die Identität von Geld und Kredit.[11] Bei der Kontroverse Currency vs Banking geht es also um die Frage, ob die Geldordnung entweder auf staatlich kontrolliertem Vollgeld oder aber dem privaten Giralgeld der Banken beruht. Die Vollgeldtheorie ist in diesem Sinn eine Neue Currencylehre auf der Höhe der Zeit. Zu ihren Kernpunkten gehören die folgenden:
Die Geldordnung und der Geldgebrauch sind nicht neutral, sondern von grundlegender struktureller Bedeutung für alle Aspekte der Wirtschaft und damit auch der Gesellschaft insgesamt. Fortgeschrittene Ökonomien sind finanzialisierte Ökonomien auf der Grundlage bestimmter monetärer Regime. Das Geld- und Bankwesen übt ein hohes Maß an Kontrolle über die Wirtschaft aus durch die Schöpfung, Erstverwendung und Allokation des Geldes, was wiederum mit Rückwirkungen auf die Einkommensverteilung einhergeht. Das Geldsystem bestimmt die Finanzen, wie die Finanzen die gesamte Wirtschaft bestimmen. Außer rechtlicher Weisungsbefugnis und Kommandogewalt ist die Kontrolle des Geldes – nicht nur seine Allokation und Verteilung, sondern auch seine Schöpfung und Erstverwendung – das bedeutendste Mittel politisch-ökonomischer Machtausübung.
Das heutige Giralgeldregime der Banken weist eine Reihe von Fehlfunktionen auf:
- Die Geldmengen sind faktisch außer Kontrolle. Die Zentralbanken haben keine Kontrolle über die Giralgelderzeugung der Banken, denn diese erfolgt pro-aktiv per Kreditausstellung, Wertpapier- und anderen Aktivakäufen. Der sich ergebende bruchteilige Refinanzierungsbedarf in Form von Reserven und Bargeld muss von der betreffenden Zentralbank stets bedient werden, ansonsten kämen der Zahlungsverkehr und damit die Wirtschaft ins Stocken.
- Geld- und Kapitalmärkte finden von sich aus zu keinem selbstbegrenzenden Gleichgewicht, weil modernes Zeichengeld keinen natürlichen Knappheitsanker besitzt, oder besser gesagt, keine reale Wertbasis. Der Bankensektor kann tendenziell unbegrenzt Giralgeld erzeugen. Es bestehen kurzfristig Beschränkungen, jedoch keine im Zeitverlauf. Da Banken unmittelbare Vorteile aus der Giralgeldschöpfung erzielen, betreiben sie diese so lange, bis die nächste Krise Korrekturen erzwingt.
- Das Giralgeldregime erzeugt daher im Gesamtergebnis überschießende Geldmengen (in Krisen zweitweise auch ein stagnierendes bis rückläufiges Geldangebot). Dies führt teils zu Inflation, teils zu Assetinflation (Aufblähung der Preise und Mengen an Finanzaktiva bzw Schulden). Deren Blasenbildung entlädt sich in Banken-, Finanz-, Währungs- und Wirtschaftskrisen.
- Als Folge davon sind die Kaufkraft und der Außenwert des Geldes in erheblichem und störendem Ausmaß instabil.
- In einer Bankenkrise erweist sich Giralgeld als unsicheres Geld. Da es in der Bilanz der Banken steht, befindet es sich nicht im Eigentum der Kunden, die nur eine Forderung darauf besitzen. Das Giralgeld kann verschwinden soweit Banken ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen können, es sei denn, die Banken werden von der Zentralbank oder der Regierung künstlich gestützt.
- Der Aufbau von Geld- und Finanzaktiva weit überproportional zur Entwicklung des BIP bewirkt in der Einkommensverteilung einen erhöhten Anteil an Kapitaleinkommen zulasten der Arbeitseinkommen.
- Das Giralgeldregime der Banken beraubt den Staat seiner Hoheitsrechte der Geldschöpfung und der Seigniorage und macht die Staaten in sehr viel höherem Maße von Banken und Finanzmärkten abhängig als dies sonst der Fall wäre.
Alle diese Fehlfunktionen erweisen das fraktionale Reservebanking als grundlegende Ursache der Instabilität und Krisenanfälligkeit des heutigen Geld- und Finanzwesens, wenn auch nicht als einzige Ursache. Zugleich liefern alle diese Fehlfunktionen substanzielle Gründe für die Notwendigkeit einer Reform der Geldordnung i.S. eines Übergangs von Giralgeld zu Vollgeld, dessen Menge sich unter Kontrolle befindet und sich dabei am Wirtschaftswachstum bei ausgelasteten Kapazitäten bemisst.
Ausgangspunkt ist weder ein Goldschatz noch sind es Reservepositionen (wie in früheren Ansätzen einer 100%-Reserve auf Depositen), schon gar nicht Zinspolitik, sondern die Trennung von Geld und Kredit wie schon von der historischen Currency School vorgesehen. Getrennt werden dadurch die monetären Funktionen der Zentralbank von den finanziellen Funktionen der Banken (denen dann keine geldschöpfende und geldlöschende Funktion mehr zukommt). Aufgehoben würde dadurch der gesplittete Geldkreislauf mit Giralgeld und fraktionalen Reserven zugunsten von nur einem homogenen Vollgeldkreislauf, in den Banken ebenso wie Nichtbanken eingebunden sind.
Neue Currencytheorie beinhaltet einen vollständigen Begriff von Chartalismus mit allen drei Komponenten der Währungshoheit, Geldhoheit und ungeschmälerter Seigniorage. Dies ist nicht nur aus Gründen ökonomischer Funktionalität geboten, sondern auch aus staatsrechtlichen Gründen. Die monetären Prärogativen eines souveränen Staates besitzen Verfassungsrang vergleichbar den Hoheitsrechten der Gesetzgebung, der gebietskörperschaftlichen Verwaltung sowie des Justiz-, Steuer- und Gewaltmonopols.
Zu den Kernpunkten einer Vollgeldreform gehören dementsprechend die folgenden:
- Die Währungs- und Geldsouveränität eines Staates oder einer Staatengemeinschaft wird wieder hergestellt.
- Die Verantwortung für Währung, Geld und Seigniorage wird der staatlichen Zentralbank nach Maßgabe der Gesetze übertragen. Sie wird damit zu einer unabhängigen vierten Staatsgewalt, der monetären Gewalt.
- Die Giralgeldschöpfung der Banken, das fraktionale Reservebanking, wird beendet, am besten dadurch, dass unbares Vollgeld des Publikums außerhalb der Bankbilanzen verwaltet wird und alles unbare Vollgeld nicht nur beim Publikum, sondern auch bei Banken ausschließlich als liquides Aktivum existiert (nirgends mehr als Verbindlichkeit).
- Die Seigniorage, der Gewinn aus der Geldschöpfung, kommt ausschließlich der öffentlichen Hand zugute, sei es dadurch, dass langfristige Ausweitungen der Geldmenge schuldenfrei durch Staatsausgaben in Umlauf kommen (originäre Seigniorage), oder sei es durch kurzfristigen Zentralbankkredit an Banken (Zins-Seigniorage).
Der Vollgeldansatz findet inzwischen in einer wachsenden Literatur seinen Niederschlag (vgl die Auswahl zu Ende dieses Papiers), in alten und neuen Medien sowie in den Aktivitäten von Geldreform-Bürgerinitiativen/NGOs weltweit.[12]
Typische Fehldarstellungen des Vollgeld-Konzeptes
Die folgenden Abschnitte befassen sich nun mit typischen Missverständnissen und Fehldarstellungen des Vollgeldansatzes. Es gibt davon noch etliche mehr als hier besprochen, aber sie alle einzubeziehen wäre dann doch zu ermüdend.
Vollgeld und 100%-Reserve
Einer der meist verbreiteten Irrtümer – dem, es sei fairerweise gesagt, auch viele Geldreformer unterliegen – besteht darin, Vollgeld und die Ansätze einer 100%-Reserve der 1930er Jahre miteinander gleichzusetzen. Diesem Irrtum liegt u.a. die Verkennung des Unterschieds zwischen einem Reservesystem mit gesplittetem Geldkreislauf und einem einfachen, reinen Geldsystem, eben einem Vollgeldsystem jenseits von Reserven und Giralgeld, das nur einen einzigen homogenen Geldkreislauf besitzt.
Beide Reformansätze gehören zwar gleichsam zu einer gemeinsamen Familie, insofern sie die Kritik des fraktionalen Reservebanking sowie grundlegende Reformziele miteinander teilen, insbesondere eine effektive Geldmengenkontrolle, um auf diesem Weg Inflation, Assetinflation, Blasenbildung und Krisen einzudämmen, und eine ansehnliche Seigniorage für die Staatskasse bzw die Bevölkerung zu generieren statt dieses Privileg weiterhin der privaten Vereinnahmung durch die Banken zu überlassen. Unter geldtechnisch-bankbetrieblichen Aspekten jedoch sind Vollgeld und 100%-Reserve zwei verschiedene Systeme, wobei eine 100%-Reserve in mehrerlei Hinsicht nicht ganz das hält was man sich davon verspricht.[13]
Staatliches Geld, nicht Verstaatlichung der Banken
Manche Kritiker missverstehen Vollgeld als eine Verstaatlichung des Bankensektors, oder als eine Zentralisierung der Bankengeschäfte unter dem Dach der Zentralbank. Das ist unzutreffend und geht am Kern der Sache vorbei – dem nicht nur partiellen, sondern vollständigen Bestand der Geldmenge als staatlichem Geld. I.Fisher drückt es so aus: 'Nationalisation of money, yes; of banking, no.'[14]
Staatliches Geld ist nichts Unerhörtes. Es ist durch die Jahrhunderte zurück bis um 700 v.Chr. stets der Normalzustand gewesen. Noch heute denken die meisten Menschen wir hätten staatliches Geld, obwohl wir in Wirklichkeit Banken-Giralgeld haben. Dessen Ersetzung durch Vollgeld ist ein Schritt analog der Einführung des Banknotenmonopols der Nationalbanken im 19 Jhd. Die bis dahin einige Jahrzehnte lang vorherrschend gewesenen Privatbanknoten wurden ungesetzlich und ausgeschleust. Das Bankengewerbe wurde jedoch nicht verstaatlicht, sondern blieb weitgehend privat.
Verstaatlicht wurden die Banken unter dem Einfluss staatssozialistischer Ideen in verschiedenen Ländern im 20 Jhd. Aber die Lektion daraus war die, dass es, trivial zu sagen, vor allem darauf ankommt, was Banken praktisch tatsächlich tun, einschließlich der Frage, ob sie Giralgeld erzeugen, während es eine vergleichsweise geringere Rolle spielt, ob es sich um private, genossenschaftliche, kommunale oder staatliche Banken handelt.
Alternative Geschäftsmodelle für Banken. Komplementärwährungen
Eine gewisse Mischung von Eigentumsformen im Bankensektor ist sicherlich nicht verkehrt. Unter diesem Aspekt sind gegenwärtige Initiativen in den USA zur Gründung von öffentlichen Banken oder Staatsbanken in gewisser Weise verständlich, zumal in einem Bankensektor, der, wie heute in vielen Ländern, von wenigen global agierenden Großbanken dominiert wird, die den realwirtschaftlichen Gegebenheiten vor Ort nicht sonderlich Rechnung tragen.[15] Allerdings, gemessen an den historischen Erfahrungen mit öffentlichen Banken, dürften die sehr hohen Erwartungen an neue solche Banken – geringere Zinslasten, große Gewinnabführungen an den öffentlichen Haushalt, leichte Finanzierung wünschenswerter Projekte – doch enttäuscht werden.
Eine verwandte Entwicklung ist die weltweite Entstehung von Umweltbanken, ethischen Banken, alternativen Banken oder Nachhaltigkeitsbanken, wie sie von der Global Alliance of Banking on Values repräsentiert werden. Alternative Geschäftsmodelle für Banken sind willkommen. Aber sie sind kein Ersatz für eine Vollgeldreform. Eine solche zielt nicht auf ein neues Geschäftsmodell, mit dem Banken sich am Markt individuell profilieren können, sondern auf ein anderes Geldsystem, das alle Banken betrifft. Eine einzelne Bank kann unter den heutigen Bedingungen nicht individuell Vollgeld einführen.[16] Eine alternative Bank ist daher auch kein 'Zwischenschritt' zu einer Geldreform, sondern eine – wie gesagt willkommene - andere Art von Projekt. Individuelle Geschäftsmodelle für Banken und Geldreform sind zwei verschiedene Dinge. Sie schließen einander zwar nicht ein, aber ebenso wenig schließen sie einander aus. Sie lassen sich sehr wohl zugleich betreiben. Werden Alternativbanken jedoch als ausschließliche Alternative hingestellt, so trägt dies nur zu unnötiger und unkluger politischer Spaltung bei. Das schadet nicht zuletzt dem Geschäft der Alternativbanken selbst, da sich ihr Zielpublikum mit demjenigen, das einer Geldreform grundsätzlich offen gegenüber steht, erheblich überlappt.
Eine ähnliche Konstellation besteht gegenüber den Initiativen für Komplementärwährungen (Regiogeld). Einige ihrer Aktivisten waren besorgt, ein Geldmonopol der Zentralbank i.S. eines vollständigen Chartalismus, welches dem Giralgeld der Banken ein Ende setzt, könnte auch das Aus für Komplementärwährungen bedeuten. Komplementärwährungen erfüllen jedoch nützliche Funktionen auf lokaler Ebene oder als Spezialzweck-Währungen (z.B. Pflegestunden), wo sie dazu beitragen, den formellen und informellen Sektor der Arbeit und der Wirtschaft besser miteinander zu verzahnen. Solange die faktisch gemeinnützigen Komplementärwährungen komplementär bleiben und nicht in eine kommerzielle flächendeckende Konkurrenz zu den offiziellen Währungen treten, wird wohl niemand so unklug sein, sie verbieten zu wollen wie seinerzeit in der Großen Depression um 1930 als man die damaligen lokalen Notwährungen verbot und damit alles noch schlimmer machte als es schon war.
Die meisten Aktiven auf dem Gebiet der Komplementärwährungen sehen die Geldreformbewegung heute nicht als unliebsame Konkurrenz, sondern, komplementär auch in diesem Sinn, als eine willkommene politische Ergänzung. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Da sich auch hier die Zielgruppen überlappen, ist das Ergebnis nicht eine Schwächung der eigenen Sache, sondern zusätzliche Überstützung für sie.
Beendigung der monetären Funktion der Banken, nicht ihrer Finanzfunktionen
Ein anderes typisches Missverständnis besteht darin, in der Beendigung der Giralgeldschöpfung der Banken eine Einschränkung oder gar Unterbindung wichtiger Finanzfunktionen der Banken zu sehen, wie zum Beispiel Kreditvergabe, Finanzierung von Investitionen, Plazierung von Aktien, Anleihen und anderen Wertpapieren, oder Dienstleistungen des Geldwechsels (Bargeld, Devisen), der Kontoführung und des Zahlungsverkehrs.
In einer Vollgeldordnung können die Banken – als Universal- oder Spezialbanken – alle diese Funktionen ebenso wie heute ausführen, nur eben unter Verwendung von Vollgeld, nicht Giralgeld. Eine monetäre Funktion käme den Banken nicht mehr zu. Die Schöpfung und Mengenkontrolle des Geldes wäre ausschließlich Sache der unabhängigen Zentralbank im betreffenden Hoheitsbereich. Die Banken werden die monetären Privilegien, die ihnen zugefallen sind, verlieren. Banken werden nicht mehr Geldschöpfer, sondern reine Geldvermittler sein, also Geldmanagement- und Finanzierungsinstitute.
Im Prinzip bleiben die Banken frei, alles das zu tun was sie jetzt auch tun, außer sich selbst das Geld zu erzeugen, mit dem sie operieren. Die Giralgeldschöpfung ist ein ökonomisch disfunktionales und illegitimes neofeudales Privileg. Die Trennung von Geld und Kredit, anders gesagt, die Trennung von monetären und finanziellen Funktionen, bedeutet in der Tat eine weitere Gewaltenteilung zusätzlich zu den schon bestehenden.
Ein weiteres Missverständnis in diesem Zusammenhang geht dahin, die Funktion des Geldmanagements und Zahlungsverkehrs würde von den Banken auf die Zentralbank übertragen. Das Zahlungssystem – im Euro TARGET2 – ist ein System der Zentralbanken, und dies soll in einem Vollgeldsystem sicherlich so bleiben. Benutzt wird das System jedoch von den Banken, sozusagen im Verfahren des Onlinebanking bei der Zentralbank. Auch das soll so bleiben. Eine Übertragung der Verwaltung von Vollgeldkonten und damit verbundenen Zahlungen auf die Zentralbank wäre hypothetisch möglich, würde aber einen allseits unerwünschten technisch-organisatorischen Extraaufwand mit sich bringen und bei den Banken, wo die Infrastruktur funktionsfähig vorhanden ist, zu massiven 'sunk costs' führen, nicht zuletzt erheblichen Verwerfungen im Personalbereich. Die Banken können die Zahlungsverkehrskonten ihrer Kunden als Treuhandkonten führen, oder zum Beispiel auch in einem Transaktions-Sammelkonto bei der Zentralbank, gleichsam als ausgelagertes Kontokorrent, wobei dieses jedoch nicht mehr Teil der Bankbilanz ist.
Entscheidend ist, dass alles Geld Vollgeld der Zentralbank ist. Unter dieser Bedingung können, und sollen, die Banken ihre Funktionen im Geld- und Kontomanagement sowie im Zahlungsverkehr weiter ausüben. In einem Vollgeldsystem werden die Girokonten der Kunden aus der Bankbilanz genommen, um als Geldkonten in eigenem Recht geführt zu werden. Das Vollgeld darauf befindet sich im sicheren Eigentum der Kunden. Es kann bei einer Schieflage betreffender Banken nicht verloren gehen. Der gesamte Zahlungsverkehr ist in einer Bankenkrise nicht bedroht und kann uneingeschränkt weiterlaufen.
BIP-proportionale Ausweitung der Geldmenge. Verkennung des Vollgeldes und
einer Neuen Currencylehre als neuen Goldstandard
Die Geldmenge M in einem Vollgeldsystem ist zu jedem Zeitpunkt begrenzt, aber nicht starr, sondern reagibel veränderlich durch fortlaufende Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten. Vollgeld mit einem Goldstandard zu vergleichen, geht daher an der Sache vorbei. Modernes Zeichengeld (fiat money) muss an einen Knappheitsanker gebunden werden, an eine reale Wertbasis. Aus funktionalen Gründen, und wie auch von der monetären Kreislauftheorie herausgestellt, kann dieser Wertanker jedoch nicht in einem Goldhort bestehen, oder sonst einem Warenkorb oder dem Wert von Ländereien.
Der Wert des Geldes besteht in seiner Kaufkraft, in dem, was es für Geld zu kaufen gibt, und leitet sich von der Gesamtproduktivität der Wirtschaft und den damit verbundenen Preis- und Einkommensrelationen her. Auch der Preis von Vermögensgütern wie Gold oder Land leitet sich in indirekter Übertragung von den laufenden Einkommens- und Preisrelationen her, nicht umgekehrt. Dementsprechend liegt die gesuchte Wertbasis im gesamten Wirtschaftsprodukt, dynamisiert im Wachstumspotenzial der Wirtschaft bei optimal ausgelasteten Kapazitäten. Diese Zielgröße ist variabel, nicht fix. Einer darauf gerichteten Geldpolitik geht es nicht um deflationär 'knappes Geld' noch um inflationär 'lockeres Geld'. Vielmehr geht es um eine der Produktivität angemessene Geldmenge und ihre Ausweitung in Proportion zum Wirtschaftswachstum.
Das BIP-Wachstum sowie die laufende Änderungsrate der Zinsen und der Preise für Güter und Dienstleistungen, Erwerbseinkommen und Vermögenswerte werden, ähnlich wie heute, als wichtigste Indikatoren dienen, ergänzt um weitere einschlägige Kenngrößen. Sollte das Wirtschaftswachstum im Zuge des transsäkularen Übergangs von der traditionalen in die moderne Gesellschaft eines ferneren Tages ganz ausklingen, wäre kein zusätzliches Geld mehr zu schöpfen. Im Unterschied zum heutigen Kredit- und Schuldengeld, ist eine schuldenfreie Vollgeldbasis mit einem Nullwachstums-Szenario ebenso vereinbar wie mit weitergehendem Wachstum.
Die Geldmenge in Übereinstimmung mit dem Wachstumspotenzial der Wirtschaft zu halten, setzt voraus, die im Prinzip unbegrenzte Giralgeldschöpfung der Banken zu beenden. Nur dann ist die Zentralbank in der Lage, effektive Geldmengenpolitik zu betreiben. Heute dagegen ist es der Bankensektor, der per Kreditvergabe und Vermögenskäufen pro-aktiv über die gesamte Geldmenge bestimmt. Dies versetzt Zentralbanken und Regierungen in die Rolle von Erfüllungsgehilfen, die auf die von den Banken im Vorlauf geschaffenen Tatsachen nachträglich nurmehr re-agieren und sie zum Bruchteil re-finanzieren. Dies macht jede Geldpolitik der Zentralbanken, sei es Geldmengen- oder Zinspolitik, unwirksam.
Gewiss unterliegt die Fähigkeit der Banken zur Giralgeldschöpfung relativen Restriktionen. Dazu gehören die Bereitschaft der Akteure, von den Banken neue Darlehen aufzunehmen oder Schuldverschreibungen zu begeben, oder gewisse regulative Vorschriften, vor allem aber der Sachzwang für alle Banken, ihre Bilanzen, und mit ihnen die Giralgeldmenge, in etwa im Gleichschritt miteinander auszuweiten, sodass Abflüsse und Zuflüsse im Zahlungsverkehr keine allzu großen Salden (Ungleichgewichte) ergeben. Im Zeitverlauf sind diese Restriktionen jedoch unwirksam, weil die Banken sich bzw einander die Mittel selbst verschaffen, die es braucht, um die Bedingungen zu erfüllen.
Die hier vertretene Neue Currencylehre ist keine mechanische Wiederholung der historischen Currency School. Der Goldstandard, dessen Einführung sie in mit den Bank Charter Acts von 1833 und 1844 erreichte, war allenfalls, wenn überhaupt, für eine traditionale Wirtschaft mit sehr geringem oder keinem Wachstum brauchbar. Aus dem Abstand von heute gesehen, war die wahrhaft historische Errungenschaft der Currency School nicht der Goldstandard, sondern die fundamentale Erkenntnis, dass modernes Zeichengeld (Fiat money, im Prinzip erwünscht, um das industrielle Wachstum und die allgemeine Modernisierung zu finanzieren) in seiner Menge unter Kontrolle gebracht und dafür ein geldpolitisches Arrangement nach öffentlichem Recht getroffen werden musste. Ihr Ansatz, Geld und Kredit, also monetäre und finanzierende Funktionen, voneinander zu trennen, ist das bei weitem bessere Prinzip als zum Beispiel Geldpolitik mithilfe von Reservepositionen und Leitzinsen, wie seit über hundert Jahren weitgehend erfolglos praktiziert werden, umso erfolgloser seit Ende des Goldstandards.
Außer der Kritik am Gold kann man der historischen Currency School noch ein weiteres Versäumnis vorwerfen. Sie suchte, durchaus auf der richtigen Fährte, nach einer Antwort auf Inflation und Blasenbildung, und dadurch verursachte Finanz- und Wirtschaftskrisen. Aber sie vernachlässigte das zur Inflation komplementäre Problem der Deflation – das mit einem aufrecht erhaltenen Goldstandard geradezu zwangsläufig verbunden ist.
Monetarismus. Verwechslung von Quantitätstheorie und Angebotsdoktrin
Vollgeld gegenüber Angebots- und Nachfragedoktrin
Kritiker der politischen Linken bezeichnen den Vollgeldansatz gerne als Monetarismus, wobei sie Monetarismus mit einer kapitalfreundlichen Angebots-Ökonomik gleichsetzen, im Gegensatz zum arbeits- und gewerkschaftsfreundlichen Nachfrage-Keynesianismus. Beide Ansätze suchen wissenschaftliche Rückendeckung, beruhen aber interessenbedingt auch auf einem hohen Maß an ideologischer Komplexitätsreduktion.
Die Angebots-Ökonomik von Ende der 1970er bis in die 2000er Jahre ist gemeinhin als Reaganomics und Thatcherismus bekannt, in der seinerzeitigen Entwicklungspolitik auch als Washington Consensus. Die betreffenden Positionen beruhen auf einem starken Marktfundamentalismus verbunden mit einer vergleichbar starken Feindseligkeit gegenüber staatlicher Regulierung der Wirtschaftsprozesse. Der Staat möge sich heraushalten, die Steuern senken und ggf helfen, die Macht der Gewerkschaften zurück zu drängen. Das so unterstützte Kapital werde dann kräftig in eine Ausweitung und Erneuerung der Produktion (des Angebots) investieren. Dies führe naturgemäß zu Arbeitsplätzen und Erwerbseinkommen, wodurch der erzeugte Wohlstand auch den Erwerbstätigen zugute käme ('trickle down from capital to labor').
Zweifellos sind realwirtschaftliche Investitionen von grundlegender Bedeutung und natürlich sollten ihnen zuträgliche Bedingungen herrschen. In der Praxis erwies sich jedoch, dass die Angebotsdoktrin weniger realwirtschaftlichen Investitionen als vielmehr finanzwirtschaftlichen 'Investments' zuträglich gewesen ist, im besonderen dem fulminanten Ausbau des Investmentbanking und dem globalen Kasino-Kapitalismus. Die Orientierung am 'Shareholder Value' (einschließlich Managervergütungen und Traderboni) erfolgte gegen die Interessen eines Spektrums von 'Stakeholders', im besonderen der privaten Erwerbseinkommen und öffentlichen Steuereinnahmen sowie marginalisierten Gruppen von Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen. All dies hat seinerseits zum fortgesetzten Anstieg der öffentlichen Schulden beigetragen.
Der arbeits- und sozialstaatsfreundliche Nachfrage-Keynesianismus stand demgegenüber von den 1950er bis Ende der 1970er Jahre im Vordergrund. Diese Doktrin geht auf frühere Unterkonsumtions-Theorien zurück und betont die Wichtigkeit effektiver Nachfrage auf der Grundlage einer hohen Massenkaufkraft, um Wachstum und Wohlstand zu gewährleisten. Der gehobene Konsum der Oberschicht ist dafür unzureichend. Es bedarf dazu vielmehr eines allgemein hohen Lohnniveaus und in gewissem Ausmaß auch Sozialversicherung und andere staatliche Sozialleistungen.
Nachfragepolitik trägt erheblich dazu bei, die Wirtschaft am Laufen zu halten und extensives Wachstum zu ermöglichen. Sie ist dagegen nur von geringem Nutzen, wo es darum geht, auf der Grundlage von Innovation und Strukturwandel die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Nachfragepolitik beinhaltet ein hohes Maß an Staatsinterventionismus, Arbeits- und Sozialstaats-Gesetzgebung, Verrechtlichung und Bürokratisierung, und eine hohe bis sehr hohe Steuer- und Abgabenlast. Jenseits kritischer Schwellen wirkt sich dies paralysierend und kontraproduktiv aus.
Die Konfrontation zwischen Angebots- und Nachfragepositionen stellt eine Neuthematisierung des Interessenkonfliktes dar, den man bis zum Zweiten Weltkrieg noch als Klassenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit bezeichnete. Dieses Konfliktfeld verlangt, Stellung zu beziehen, nicht unbedingt fundamental und pauschal, aber doch immer wieder in konkreten Sachfragen. Man sollte dabei jeweils gute Gründe haben und nicht einfach ideologischen Ressentiments folgen.
Was nun die Geldordnung angeht, sei betont, dass mit Vollgeld nicht automatisch eine Parteinahme für Angebotspolitik oder Nachfragepolitik verbunden ist. Beide politische Positionen, und jeder zwischen ihnen realisierte Kompromiss, können auch in einer Vollgeldordnung in sinngemäß gleicher Weise erfolgen wie im heutigen Giralgeldregime. Vollgeld liefert ein ordnungspolitisches Gerüst, oder, um es einmal so ausdrücken, die monetäre Kernkomponente der Wirtschafts- und Finanzverfassung. In sinngemäßer Analogie ist sie damit dem institutionellen Arrangement des Parlamentarismus vergleichbar, bei dem gesetzgeberische und andere politische Entscheidungen ebenfalls von wechselnden Mehrheiten im Links-Rechts-Spektrum getroffen werden.
Jedoch, anders als das Giralgeldsystem, das Kredit- und Schuldenblasen aktiv erzeugt, wird ein gut geführtes Vollgeldsystem deren Entstehung vorbeugen. Dies tangiert Platzhalter-Interessen sowohl auf der Angebotsseite wie auch auf der Nachfrageseite. Zum einen stellt es einzelne Bereiche des Investmentbanking und die Kasinosektion der Finanzwirtschaft in Frage, zum anderen das ungute Kredit- und Schulden-Tandem von Regierungen und Banken. Letztere sind normalerweise allzu bereit, für die Regierungen das zu tun, was diese sich selbst verboten haben, nämlich jede gewünschte Menge Geld zu drucken. Die Aussicht, das wechselseitige Förderband zwischen der Akkumulation von privatem Finanzkapital und der Akkumulation von öffentlichen Schulden beschnitten zu sehen, erzeugt Widerstand auf beiden Seiten. Dies scheint einer der wesentlichen Gründe für die Opposition auch aus Kreisen der politischen Linken gegen eine Vollgeldreform zu sein.
Orthodoxe Nachfrage-Keynesianer unterstellen dem Vollgeldkonzept, es handle sich um ein Regime knappen Geldes und überhöhter Zinsen, das vermeintlich den Reichen dient, während sie zugleich ignorieren, wie das heutige Regime extrem lockeren Geldes, niedrigster Zinsen und sehr hoher Verschuldung tatsächlich die BIP-disproportionale Akkumulation von Finanzkapital befördert, was sich geradewegs in einem steigenden Anteil der Kapitaleinkommen auf Kosten der Arbeitseinkommen niederschlägt. Die linke Kritik am Vollgeld gerät damit zu einer bizarren Verteidigung des zeitgenössischen Finanzkapitalismus, einschließlich der illegitimen monetären Privilegien des Bankensektors.
Monetarismus und Quantitätstheorie
Die Gleichsetzung von Monetarismus und Angebotsdoktrin ist falsch, aber es ist Friedman selbst, der schuld daran ist. Er selbst hat die mutwillige Verbindung zwischen monetaristischen Auffassungen und Supply-Side-Positionen zu verantworten. Seinem monetaristischen Anliegen hat er damit einen Bärendienst erwiesen. Ein weiterer großer Fehler bestand darin, Ratschläge zur Geldmengenpolitik zu erteilen. Da Geldmengenpolitik unter den Gegebenheiten des proaktiv von den Banken bestimmten Giralgeldregimes jedoch nicht möglich ist, war diese Politik von vornherein zum Scheitern verurteilt, sodass der Monetarismus seither als gescheitert gilt. Dies verursachte den Übergang zu heutigen, ihrerseits nicht gerade effektiven, Leitzinspolitik.
Friedman's Parteinahme für die Angebotsökonomik und seine unstimmige Haltung gegenüber dem fraktionalen Reservebanking haben der Sache des Monetarismus bleibend geschadet. Dessen ungeachtet war und bleibt die monetaristische Grundidee – die Geldmenge, und insoweit auch Inflation und Asset Inflation unter Kontrolle zu halten – ein richtiger Ansatz. Er beruht auf der Quantitäts- und Zirkulationstheorie des Geldes. Zu seiner Zeit war Friedman's Monetarismus deshalb anschlussfähig, weil dem in den 1950 – 70er Jahren hohe Inflationsraten, teils im zweistelligen Bereich, vorausgegangen waren. Seit dem Rückgang der Verbraucherpreis-Inflation in den 1980ern, sind Assetinflation und krisenträchtige Kredit- und Schuldenblasen umso mehr in den Vordergrund getreten. Nachfrage-Keynesianer würden besser daran tun, Inflation und Assetinflation als monetäre Probleme anzuerkennen, statt sie als Monetarismus diskreditieren zu wollen.
Die Quantitätstheorie des Geldes ist ein einfaches und robustes Stück Ökonomik. Sie besagt, dass eine Zunahme der Geldmenge die Realisierung ökonomischer Potenziale erlaubt. Fehlen solche, oder sind sie bereits realisiert, oder sind sie durch strukturelle Mismatches blockiert, führt mehr Geld zu steigenden Preisen. Die traditionale Quantitätstheorie bezog sich nur auf die Auswirkung einer gegebenen umlaufenden Geldmenge auf die Güterpreise. Eine Quantitätsbetrachtung auf der Höhe der Zeit, historisch nach Keynesianismus und Monetarismus, wird alle Preisarten berücksichtigen, ihren Einfluss aufeinander sowie auch ihre Rückwirkungen auf das Geldangebot – das heißt, jenseits der Verbraucher-, Dienstleistungs- und Erzeugerpreise, insbesondere auch die Preise für Vermögensgüter (Assets und Asset Inflation); sodann die Zinsen und eine zinsinduzierte Inflation; nicht zuletzt die Löhne und lohninduzierte Inflation.
Umgekehrt bringt ein schrumpfendes Geldangebot Deflation mit sich, mit brach liegenden Wirtschaftsfaktoren, insbesondere Arbeitslosigkeit. Das Problem mit der Deflation ist nicht so sehr, dass Konsumenten nichts kaufen, weil sie erwarten, die Dinge demnächst noch billiger zu bekommen. Verbraucher verhalten sich normalerweise nicht wie Wertpapierhändler. Das Problem ist vielmehr, dass verringerte konsumtive und produktionale Nachfrage – selbst bereits Resultat einer zyklischen Abwärtsbewegung – schrumpfende Einnahmen bedeutet. Das lässt Unternehmensausgaben jeder Art stagnieren, mit der Folge erhöhter Arbeitslosigkeit und einer verringerten Summe an Erwerbseinkommen. Kurzfristig ist Deflation für Konsumenten und Geldbesitzer im allgemeinen von Vorteil. Darüber hinaus jedoch mündet Deflation, aufgrund zurück gehender Wirtschaftsaktivität und zurückgehender Massenkaufkraft, in einen allgemeinen Niedergang, der die sozial Schwächeren stets härter trifft als die Reichen.
In der klassischen und neoklassischen Ökonomik wird Deflation wie Inflation betrachtet, als 'neutral', das heißt angeblich ohne strukturelle Auswirkungen auf Allokation und Distribution. Jeder Blick auf die Realitäten von Schuldendeflation und Austeritätsregimen beweist das Gegenteil. Sinnigerweise waren es gerade Friedman und Schwartz, die mit ihrer Studie Monetary History of the US (1963) maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die kontraproduktiven Wirkungen einer deflationären Zentralbankpolitik heute allgemein anerkannt sind. Die meisten Ökonomen - auch die neoklassischen, in gewissem Widerspruch zu ihrer allgemeinen Theorie – sind heute zur Auffassung gelangt, dass Deflation eine Bedrohung für Wirtschaft, Beschäftigung und Wohlstand darstellt. Ob jedoch, als Gegenstück dazu, Inflation und Assetinflation wirklich das vergleichsweise kleinere Übel darstellen, das wird vermutlich noch einmal eine Neubewertung erfahren.
Die Österreichische Schule hat bezüglich der Deflation eine spezielle Variante neoklassischen Denkens entwickelt. Es wird angenommen, ein konstantes Geldangebot (Gold) gehe mit weiterlaufenden Investitionen und Wirtschaftswachstum einher, während Preise und Erwerbseinkommen sich infolge einer vorteilhaften Abwärts-Elastizität anpassen, soll heißen, stabile oder niedrigere Einkommen profitieren von einer noch niedrigeren Preisentwicklung. Das ist denn doch mehr Glasperlenspiel als realitätsbezogene Wissenschaft. Die New Keynesian Economics ebenso wie die Verhaltensökonomik haben aufgezeigt, dass Preise und Löhne meist unflexibel ('sticky'), also nicht auf organische Weise abwärts elastisch sind. In der Folge führt dies weniger zu einer Abwärtsspirale der Preise und Löhne, als vielmehr zu einer Abwärtsspirale von verringerten Investitionen und sonstigen Kapitalausgaben, verringerter Beschäftigung (gemessen am Gesamtvolumen der Arbeitsstunden), entsprechend verringerten Erwerbs-Gesamteinkommen (Massenkaufkraft), verringerten Steuereinnahmen und schwächerer Endnachfrage. Dies wiederum bedeutet eine verstärkte Segmentation des Arbeitsmarktes und eine allgemein verstärkte soziale Segregation.
Aus Sicht der frühen Chicago Schule – von der Friedman herkommt – bestand keine Notwendigkeit, Monetarismus und Angebotsdoktrin miteinander zu verbinden. Der Standpunkt der frühen Chicago Schule in Fragen der Geldsystemanalyse und Geldreform, ebenso die diesbezügliche Position von Fisher, kann als neoklassische Variante der Quantitätstheorie angesehen werden. Zieht man die Angebotsdoktrin von Friedman's Monetarismus ab, bleibt eine starke Form der Quantitätstheorie: 'Inflation is always and everywhere a monetary phenomenon'.[17] Das dürfte übers Ziel hinaus geschossen sein, denn Inflation hat gewiss auch Preis- und Lohnschocks zur Ursache, die nicht selbst schon monetär bedingt sind. Dennoch beinhalten praktisch alle Theorien, die sich mit Inflation, Assetinflation und Blasenbildung befassen, quantitätstheoretische Elemente. Riese, als Vertreter des Monetärkeynesianismus, bezeichnete Friedman's Monetarismus denn auch zutreffend als 'Neo-Quantitätstheorie'.[18]
Friedman's Quantitätssicht bewegt sich dabei noch nahe der neoklassischen Auffassung der Neutralität des Geldes. Das wird am Beispiel seines berühmten Helikopters deutlich, der Banknoten wie Manna vom Himmel auf die Leute herabregnen lässt. Wenn es unter-ausgelastete Kapazitäten und keine strukturellen Mismatches gibt, wird das Helikoptergeld zusätzliche Beschäftigung und Erwerbseinkommen hervorbringen. Wenn es aber zu viel Geld auf einmal regnet, so mündet dies, Friedman zufolge, einfach in eine Erhöhung des Preisniveaus ohne dass sich sonst irgendetwas ändern würde. Keynes hätte dieser Neutralitäts-Annahme wohl widersprochen, aber Keynes' Position bezüglich der Quantitätstheorie war unmissverständlich: 'This theory is fundamental. Its correspondence with facts is not open to question'.[19]
Auf die Quantitätstheorie rekurriert zu haben, ist sicher nicht das Problem, das man mit Friedman haben kann. Das Problem sind seine einseitige Parteinahme für die Angebotsökonomik sowie auch einige seiner teils fragwürdigen geldpolitischen Empfehlungen. Aber selbst bei Friedman sollte der Monetarismus einem wachstums-optimalen Geldangebot dienen, das deflationär knappes Geld (das Österreichische Programm) ebenso vermeidet wie inflationär lockeres Geld (das typische Keynesianische Programm). Die Quantitätstheorie des Geldes, eine der ältesten und bewährtesten ökonomischen Theorien, bleibt auch in Zukunft so grundlegend wie sie bisher schon immer war – und eine einfache Schlussfolgerung daraus lautet, dass der Schlüssel zu einem stabilen Geld und gesunden Finanzen darin liegt, die Geldmenge unter Kontrolle zu behalten. Die Vollgeldtheorie bzw Neue Currencylehre bezieht dies nicht nur auf realwirtschaftliche Preisinflation und Konjunkturzyklen, sondern ebenso auf Assetinflation und Finanzzyklen, wobei auch Löhne und Zinsen eine maßgebliche Rolle spielen.[20]
Geldpolitik
Zentralbank-Schelte
Sowohl ultraliberale wie auch linke Kritiker des Vollgeldansatzes, obschon aus konträren Gründen, bestreiten die Fähigkeit einer Zentralbank, für eine optimale Geldmenge sorgen zu können und dabei eine flexibel anpassungsfähige Geldpolitik zu betreiben. Ultraliberale, speziell die Neoaustrians, prophezeien, an die Stelle des heutigen überschießenden Giralgeldangebots werde ein ebenso überschießendes Vollgeldangebot der Zentralbank treten, also eine Fortführung der Politik des lockeren Geldes. Dagegen unterstellen die Kritiker aus der politischen Linken einer Vollgeldordnung, eine unbarmherzige Politik der Geldverknappung herbeizuführen.
Neoaustrians tendieren dazu, Zentralbanken und Regierungen zu dämonisieren und zugleich 'Free Banking' und Wettbewerb auf Kapitalmärkten zu idealisieren, sofern diese nur von Regierungseingriffen verschont blieben. Neoaustrians betrachten die institutionelle Unabhängigkeit der Zentralbanken als ein Feigenblatt, das politische Abhängigkeit und Opportunismus verdeckt. Man hat sicher guten Grund, menschliches Verhalten in welcher Funktion auch immer nüchtern zu betrachten. Trotzdem. Die Judikative kann als Beispiel dafür dienen, was gewaltenteilige Unabhängigkeit realistischerweise bedeutet. Es gibt Rechtsauslegungsmoden, Fehlurteile, und Richter sind kaum weniger Einflüssen ausgesetzt als andere Menschen. Und doch kann man die meisten Gerichtsurteile als leidlich vernünftige Anwendungen des Rechts durchgehen lassen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist ein unverzichtbarer Bestandteil eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats. Soziologisch gesehen unterliegen Richter wie auch Zentralbanker einem hohen Maß an milieuspezifischer Resozialisierung, das heißt, sobald sie betreffende Verantwortungen übernommen haben, stellen sie ihre Aufgabe über ihr Parteibuch.
Mit einer Zentralbank in einem Vollgeldsystem wird das nicht anders sein. Sie wird in der Tat eine weitere, vierte Staatsgewalt repräsentieren, die monetäre Gewalt, in Ausübung der monetären Prärogativen der Währungshoheit, Geldhoheit und der Seigniorage. Vergleichbar den Gerichten müssen Zentralbanken auf der Grundlage eines gesetzlichen Mandats tätig sein, rechenschaftspflichtig gegenüber der Regierung, dem Parlament und der Öffentlichkeit, nicht jedoch Weisungen unterliegen, i.d.S. unabhängig gegenüber der Regierung und fiskalischen Interessen ebenso wie gegenüber dem Bankensektor und Finanzinteressen.
Alte und Neue Österreicher sowie viele neoklassische Ökonomen haben Probleme damit, anzuerkennen, dass Währung, Geld und Seigniorage souveräne Hoheitsrechte von Verfassungsrang darstellen. In dieser Hinsicht sind sie reine Bankingvertreter, die private Geldschöpfung als vermeintlichen einen Eckpfeiler wirtschaftlicher Freiheit ausgeben. In der wirklichen Welt wird es sich bei 'freien Währungen', schon alleine aus transaktionsökonomischen Gründen, letztlich immer um die Währungen einer Handvoll Großbanken handeln, bei korporativer Marktvermachtung und volatiler Wechselkursspekulation, krisenanfälliger als die heutigen nationalen Währungen, da keine Staatsmacht oder Gemeinschaft von Staaten diese Währungen mehr gewährleisten würde.
Unterstellter bürokratischer Zentralismus und vermeintliche Inflexibilität der
Geldpolitik
Vor allem Mainstream-Ökonomen und Neoaustrians kritisieren ein Geldmonopol der Zentralbank als bürokratischen Zentralismus. Von daher erwarten sie ein unflexibles und inadäquates Angebot an Vollgeld. Keiner Instanz, außer dem Markt, wird die Fähigkeit zuerkannt, für eine optimale Geldmenge zu sorgen.[21]
Dieser Schuss geht nach hinten los. Die Kritik beruft sich hier auf fiktive Realitäten bezüglich der Flexibilität und Optimalität des Geldangebots im bestehenden Giralgeldregime. Große Geldbürokratien, größer als jede Zentralbank, sind heute zuerst und vor allem die weltweit agierenden Großbanken. Besteht zwischen einer Bank und einem Kunden keine eingespielte Geschäftsbeziehung, ist Kredit von einer Bank nur durch ein umständliches und zeitraubendes bürokratisches Verfahren zu erlangen. Größere Kredite sind alles andere als Blitzkredit. Es besteht kein Grund, das heutige Kreditgeschäft der Banken zu idealisieren.
Sofortkredit gibt es heute nur als Überziehungskredit. Dieser ist tatsächlich flexibel, aber auf kleine Beträge begrenzt und sehr teuer. In einem Vollgeldsystem können laufende Konten zwar nicht debitorisch (im Soll) geführt werden. Es wird den Banken dennoch keinerlei Schwierigkeiten bereiten, ihren Kunden eine entsprechende Sofort-Kleinkreditlinie einzuräumen, lukrativ wie dieses Geschäft ist.
Die Kreditengagements der Banken weisen heute erhebliche Vereinseitigungen auf. Das meiste geht in Hypotheken und sonstige Immobiliengeschäfte, sodann ins Investmentbanking, einschließlich öffentlicher Anleihen. Kleine und mittlere Unternehmen haben dagegen häufig Schwierigkeiten, sich zu finanzieren. Großunternehmen wiederum finanzieren sich heute vor allem über den sekundären Kapitalmarkt, oder sie haben eigene Banken. Risikokapital-Geschäfte meiden Banken wie alles andere, was ihren bürokratischen Vorgaben gemäß (einschließlich denen der Ratingagenturen) als riskant eingestuft worden ist. Im Ergebnis ist die Giralgeldschöpfung der Banken für die genannten Zwecke in besseren Zeiten prozyklisch überschießend; in schlechteren Zeiten allzu verstockt. Geldpolitisch gesehen dürfte es einer Zentralbank in einem Vollgeldsystem sehr schwer fallen, eine noch schlechtere Geldpolitik zu betreiben als die Banken sie im letzten halben Jahrhundert realisiert haben.
Verteidiger des Giralgeldregimes der Banken vergleichen dieses gerne mit einem 'atmenden Organismus', der gemäß Geldnachfrage periodisch ein- und ausatmet. Nettes Bild, aber irreführend. Die Wirklichkeit der 'atmenden' Finanzierungstätigkeit der Geld- und Finanzinstitute besteht darin, die Konjunktur- und Finanzzyklen in gefährliche und häufig schädliche Extreme zu treiben. Im Gesamtergebnis, um an das Bild anzuknüpfen, folgt dieser Organismus einem Muster langfristigen Hyperventilierens, indem er fortwährend zu viel einatmet und zu wenig ausatmet, bis Erreichen diverser organischer Disfunktionen oder gar eines totalen Kreislaufzusammenbruchs.
Entgegen dem äußeren Anschein hat die 'zentrale' Führungsrolle der Zentralbanken heute erheblich eingebüßt, so sie denn in Wirklichkeit jemals gegeben war. Gewiss üben die Zentralbanken ihre Rolle als Banken-Refinanzierer (lender of last resort) jederzeit wirksam aus. In Krisenzeiten können sie damit Banken mit Liquiditätsproblemen über Wasser halten (de facto auch insolvente Banken, entgegen dem eigenen Credo). Aber gleich ob im Normalbetrieb oder in Krisenzeiten, sie bedienen dabei stets re-aktiv im nachhinein die Fakten, welche die Banken pro-aktiv im vorhinein geschaffen haben. Die Zentralbanken haben keine Kontrolle über die Giralgelderzeugung der Banken und also die gesamte Geldmenge.
Herkömmliche Geldpolitik könnte nur etwas bewirken, wenn zwei Transmissions-Mechanismen von Zentralbank-Impulsen auf Banken und Finanzwirtschaft funktionieren würden. Der eine Mechanismus unterstellt, dass Reservepositionen der Zentralbank die Fähigkeit der Banken zur Giralgeldschöpfung bestimmen. Der andere Mechanismus unterstellt, die Leitzinsen der Zentralbank würden maßgeblich das Zinsniveau bestimmen und auf diesem Weg wenn schon nicht die Tätigkeit der Banken und der Finanzwirtschaft, so doch die Inflation lenken. Keins von beiden trifft zu.
Mindestreserven, wo es sie gibt, werden zwar von der Zentralbank festgesetzt, aber sie erfüllen keinerlei geldpolitische Funktion. Sie sind ein Relikt der wirkungslosen Geldmengenpolitik früherer Jahrzehnte. Insbesondere beeinflussen sie nicht die Kredit- und Giralgeldschöpfung der Banken. Im Gegenteil, es sind die Kreditvergabe und die Aktivakäufe der Banken, aus denen sich ergibt, wie viele Überschussreserven, Mindestreserven und Bargeld die Banken von der Zentralbank nachträglich benötigen – und bekommen müssen, damit der Zahlungsverkehr, und mit ihm die Wirtschaft, nicht ins Stocken gerät.
Auch die ersatzweise Leitzinspolitik ist weit weniger wirksam als gemeinhin unterstellt. Die Nachfrage der Banken nach Reserven und Bargeld ist preis-unelastisch. Zusätzliche Sichtdepositen (Giralgeld), die die Banken mit einem zeitlichen Vorlauf geschaffen haben, müssen nachträglich re-finanziert werden, egal wie teuer. Die bruchteiligen Refinanzierungskosten mögen längerfristig vielleicht Rückwirkungen zeitigen, nicht aber kurzfristig. Vor allem, wieviel Wirkung soll von einer Refinanzierung von 2,5% auf die 100% der Bankenumsätze denn ausgehen? Sicherlich keine große. Höhere oder niedrigere Zentralbankzinsen und Interbankzinsen bedeuten unmittelbar niedrigere oder höhere Zinsmargen für die Banken. Darauf reagieren sie schon, enttäuscht oder erfreut. Aber dies bleibt ein nachgeordneter Faktor von eben nur 2,5% Bedeutung. In keiner Weise wird dies Banken davon abhalten, nach eigenem Ermessen ihre Bilanzen zu erweitern, denn was die 100% Giralgeld angeht, sind die jeweiligen Kapitalmarktzinsen und erwarteten Kapitalgewinne stets viel höher als die nur zum Bruchteil nachträglich benötigten Zentralbankreserven zuzüglich der Habenzinsen auf Kundeneinlagen (die keinen Finanzierungszweck erfüllen, sondern der befristeten Inaktivierung von Giralgeldern dienen).
Man kann daraus schlussfolgern, dass die heutigen Leitzinsrituale überwiegend einen Mythos darstellen. Vordergründig geben sie Gelegenheit, Unruhe und damit Umsätze an den Finanzmärkten zu generieren. Verdeckt bleiben die eigentlichen Gegebenheiten – dass nämlich die Prärogativen der Geldschöpfung und der Seigniorage im Verlauf des letzten Jahrhunderts sehr weitgehend auf die Banken übergegangen sind, wobei die Geldmenge faktisch außer Kontrolle geraten ist, denn weder die Märkte noch die Banken noch die Zentralbanken sorgen diesbezüglich für eine optimale Mengensteuerung und Mengenbegrenzung.
Wissensanmaßung? Wie Zentralbanken für eine optimale Vollgeldmenge sorgen können
Die unvorteilhafte Meinung vieler Ökonomen von Zentralbanken hat verschiedene Gründe. Teils liegt dem nur eine Ideologie der Extraterritorialität und Unfehlbarkeit der Märkte zugrunde; teils beruht es auf der Erfahrung der weitgehenden Unwirksamkeit der Zentralbank-Geldpolitik unter den heutigen Bedingungen des fraktionalen Reservebanking; teils kommt hier auch Hayek's These der Wissensanmaßung von Bürokratien ins Spiel.
Einmal abgesehen von der schon aufgeworfenen Frage, wer hier eigentlich die bürokratischere Korporation darstellt, kann man wohl in der Tat sagen: ja, es stimmt, eine zentralplanerische Bürokratie weiß in der Regel wenig im Vergleich zum gesamten Wissen, das bei den Marktteilnehmern vorhanden ist. Freilich besitzen die Märkte nicht nur Schwarmintelligenz, sondern auch Schwarmdummheit, einschließlich, wie M. Wolf von der Financial Times es ausdrückte, des 'häufig genug dummen Finanzierungsgebarens der Banken'.[22]
Die Geldmenge – die in einem Vollgeldsystem nicht fix, sondern variabel ist gemäß dem Wachstumspotenzial der Wirtschaft – muss sich unter einer zentralen Kontrolle befinden, weil die Märkte fortlaufend darin versagen, eine optimale Geldmenge zu gewährleisten. Einmal erzeugtes Geld zu verleihen oder auszugeben, das jedoch soll in einer freiheitlichen Ordnung den individuellen Akteuren überlassen bleiben (öffentliche Haushalte, Unternehmen, Private). Es ist von daher sowieso verfehlt, Zentralbanken mit einer zentral-administrativen Planbehörde gleichzusetzen. In einer Vollgeldordnung behält die Zentralbank eine unmittelbare Verbindung zur Geldnachfrage der Banken und anderer Akteure, also zu den Märkten, und ebenso reagiert sie auf ein Spektrum von Marktindikatoren. Dementsprechend ist die Geldschöpfung der Zentralbank nicht weniger endogen als die heutige Giralgeldschöpfung der Banken. Überhaupt war das einzige Geldangebot, das man wirklich exogen nennen konnte, das der traditionalen Silber- und Goldwährungen. Seit dem Ende des Goldstandards ist jedes heutige Geldangebot endogen, egal ob von den Banken oder einer Zentralbank.
'Zentral'-Banken des 'Zentralismus' zu bezichtigen, ist ohnehin kaum mehr als eine herbeigesuchte Assoziation. Kaum jemand, außer vielleicht einem Neoaustrian, käme auf die Idee, das Münzmonopol der Regierungen und das Banknotenmonopol der Zentralbanken als bürokratische Zentralplanwirtschaft fehlzudeuten. Der Übergang von Giralgeld zu Vollgeld ist nichts anderes als ein Schritt analog dem Übergang von Privatbanknoten zu Zentralbanknoten im 19 Jhd. Es geht darum, jene traditionalen staatlichen Geldmonopole um das moderne Buchgeld (Kontogeld), und damit auch um das elektronische Bargeld zu ergänzen.
Warum so viel Lärm um so wenig? Nun, gegenüber dem 19 Jhd gibt es zwei wichtige Unterschiede. Erstens hat damals das Papier-Vollgeld der Zentralbank das Giralgeld im bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht ersetzt. In einem Vollgeldsystem aber besteht die gesamte Geldmenge, bar und unbar, aus gesetzlichen Zahlungsmitteln. Zweitens wurden Zentralbanknoten ebenso wie Privatbanknoten per Kredit in Umlauf gebracht. Also nicht per Direkteinkauf von Gütern und Diensten und damit schuldenfrei. Dies hat das gegenwärtige Kredit- und Schuldengeldsystem befördert, für das Bargeld nicht mehr konstitutiv ist und nurmehr eine residuale Auswechselform des unbaren Giralgeldes der Banken darstellt. In einer Vollgeldordnung wird die Inumlaufbringung per Kredit wahrscheinlich in gewissen Umfang fortbestehen, sollte aber auf geringere Anteile beschränkt bleiben, in Form von kurzfristigem Zentralbankkredit an Banken (unter Umständen, bei ggf veränderter Rechtslage, auch an den Staat) als Instrument der geldpolitischen Feinsteuerung. Die größeren und langfristigen Geldmengenzuwächse sollten schuldenfrei an den Staatshaushalt fließen und per öffentlichen Ausgaben in Umlauf kommen (originäre Seigniorage im Unterschied zu Zinsseigniorage).
Bleibt die Frage: wie kann eine Zentralbank wissen, eine wie große Geldmenge in einem halben oder ganzen Jahr dem Realpotenzial der Wirtschaft angemessen ist? Die Antwort lautet: sie kann es nicht und braucht es auch nicht genau wissen. Ein dem Mathematiker John von Neumann zugeschriebener Ausspruch heißt 'Lieber ungefähr richtig als genau falsch', eine vernünftige Einstellung.
Zentralbanken haben jahrzehntelang versucht, die Geldmenge zu steuern, waren dazu jedoch aufgrund der pro-aktiven Tatsachenschaffung der Banken im Giralgeldregime nicht imstande, gleich ob sie es mit Reservepositionen oder Leitzinsen versuchten. Sie haben die Geldmengensteuerung seit um 1990 ganz aufgegeben und beanspruchen nur noch, per Leitzins der Inflation zu steuern – eine ebenfalls zweifelhafte Übung in Anbetracht dessen, dass die Inflation seit über dreißig Jahren vor allem als Assetinflation in Erscheinung tritt (die im Mandat der Zentralbanken bisher nicht vorkam), und dass die Zinsen vor allem an den Vermögensmärkten bestimmt werden. In einem Vollgeldsystem dagegen haben die Zentralbanken die volle Binnenkontrolle über die Geldmenge, was per se eine effektive Geldmengenpolitik bedeutet. Was es dafür braucht, sind
- eine Reihe von Marktindikatoren zu BIP, Zinsen, Preisen, Erwerbseinkommen, Beschäftigung usw auf stets aktuellem Stand
- regelmäßige langfristige Hinzufügungen zur Geldmenge, die zwar nicht auf 'exakten', aber auch nicht beliebigen, sondern empirisch und fachlich qualifizierten Erwartungen beruhen
- sowie eine fortlaufende kurzfristige Justierung der umlaufenden Geldmenge mittels verschiedener geldpolitischer Instrumente, um Geld zweitweise zu emittieren oder zu absorbieren.
Die Geldmengenpolitik sollte gemäßigt kontrazyklisch erfolgen, das heißt in einem Konjunkturaufschwung Geld hinzufügen, bei Anzeichen einer allmählichen Überhitzung allmählich damit aufhören, und mit dem Geld hinzufügen in einem späteren Stadium des Abschwungs wieder beginnen. Eine solche Geldmengensteuerung ist gewiss keine triviale Aufgabe, aber eine unter Vollgeld-Bedingungen beherrschbare, und dabei auch höchst flexibel ausübbare. Die Erfüllung der Aufgabe setzt voraus, dass die Geldpolitik diskretionär, nicht mechanisch regelgebunden ausgeübt wird.
Fehlannahme einer Geld- und Kreditverknappung
Wie weiter oben erwähnt im Zusammenhang mit Angebots- und Nachfragedoktrin, und der versteckten Gegenseitigkeit der Akkumulation von Finanzkapital und der Akkumulation von öffentlichen, teils auch privaten Schulden, betrachten beide Seiten Vollgeld mit Misstrauen. Ultraliberale und Mainstream Ökonomen unterstellen, ein Vollgeldsystem werde zu einem etatistischen Regime mit inflationär lockerem Geld führen. Linkskeynesianische Kritiker unterstellen das genaue Gegenteil, ein Szenario mit deflationär knappem Geld, hohen Zinsen, hoher Arbeitslosigkeit und niedrigen Einkommen. Sie warnen vor einer angeblich drohenden Geld- und Kreditverknappung.
Dazu sei zunächst wiederholt, dass ein Vollgeldsystem nicht knappes oder lockeres Geld zum Gegenstand hat, sondern eine produktivitätsgerechte Geldmengenentwicklung. Es geht darum, zu gewährleisten, dass jederzeit genügend viel Geld vorhanden ist, und zu vermeiden, dass zu viel oder zu wenig Geld umläuft.
Ein typisches Missverständnis besteht in der Annahme, bei Vollgeld stünde nur so viel Geld für Kredite und insbesondere Investitionen zur Verfügung, wie gespart worden ist. In einem Vollgeldsystem ist die Rolle der Ersparnisse zwar eine andere als heute, aber die Annahme ist trotzdem falsch. Zu den Ersparnissen im heutigen Giralgeldsystem gehören die Guthaben in den geldnahen Aggregaten M2 und M3. Die betreffenden Spar- oder Termingelder können während der jeweiligen Frist von niemandem genutzt werden. Sie stellen inaktiviertes, also brachliegendes Giralgeld dar. Die Inaktivierung dieser Mittel erlaubt es den Banken, ihre Bilanzen auszuweiten, also zusätzliches Giralgeld zu erzeugen, ohne dabei ein zusätzliches Liquiditätsrisiko einzugehen.
Dagegen würden in einer Vollgeldordnung Ersparnisse (Bankeinlagen) den Banken wieder dazu dienen, ihre Darlehens- und Investmentgeschäfte zu finanzieren. Ersparnisse sind dann jedoch nicht Einlagen, die man bei der Bank deponiert wie in einem Safe, sondern es sind Kundendarlehen an die betreffende Bank. Anders als heute werden die Banken auf solche Kundendarlehen ein Stück weit angewiesen sein, da sie nicht länger per Knopfdruck ihr eigenes Giralgeld erzeugen können. Statt Bilanzerweiterung findet bei einer Vollgeldeinlage ein Aktivatausch statt: liquides Geld gegen zinstragende Geldforderung.
Bevor Banken selbst ein Aktivgeschäft tätigen können, müssen sie die Mittel dafür erst verdient oder passivseitig aufgenommen haben; von Kunden, von anderen Banken und Finanzinstituten, durch Begebung von Schatzbriefen und Anleihen, oder auch durch Aufstockung des Eigenkapitals. Zudem wird meist übersehen, dass den Banken in einem Vollgeldsystem fortlaufend die Mittel aus der Rückzahlung von Krediten zufließen. In einem Giralgeldregime wird Giralgeld im Rückfluss bilanziell und damit in seiner Existenz gelöscht. Vollgeld dagegen bleibt Vollgeld, stets ein liquides Aktivum. Im Verlauf einer mehrjährigen Übergangsperiode der Ausschleusung bisheriger Giralgeldbestände wird das Vollgeld im Rückfluss den Banken zunehmend verfügbar. Wenn die Altbestände vollständig abgeschmolzen sein werden, bleibt das Geld im Rückfluss den Banken unvermindert erhalten.
Viele Kritiker nehmen nun unzutreffend an, das sei bereits alles und zusätzliches neues Geld komme nicht ins Spiel. Mag sein, dass der ein oder andere Geldreform-Autor sich diesbezüglich auch einmal undeutlich geäußert hat. Aber selbst bei Benes/Kumhof (2012) oder Mayer (2014) sind Geldmengenzuwächse Teil des jeweiligen Konzepts. Im ursprünglichen Vollgeldkonzept kommt zusätzliches Geld potenzialorientiert auf zwei Wegen in Umlauf. Der eine besteht in der schuldenfreien langfristigen Geldemission über Staatsausgaben (originäre Seigniorage). Ein gewisser Teil dieses Geldes (Sparquote) fließt in Bankeinlagen, Investmentfonds oder andere Geldanlagen. Der andere Weg besteht bei Bedarf darin, den Banken kurzfristig Zentralbankkredit zur Verfügung zu stellen (Zinsseigniorage). In Anbetracht der Tatsache, dass modernes Geld reines Zeichengeld ist, das als gesetzliches Zahlungsmittel von einer Zentralbank als der dazu befugten Stelle jederzeit und in jeder benötigten Höhe in Umlauf gebracht werden kann, entbehrt die Vorstellung, Vollgeld würde zu Geldknappheit führen, jeder Grundlage.
Manche Kritiker unterstellen in diesem Zusammenhang ebenso, aufgrund der Vollfinanzierung von Banken anstelle der bisherigen fraktionalen Re-Finanzierung werde sich die Kreditgewährung von Banken schwierig, umständlich, unflexibel, zeitraubend usw gestalten. Warum nur? (davon abgesehen, dass dies gerade im heutigen Giralgeldregime häufig genug der Fall ist). Die Banken werden sich die nötigen Mengen Vollgeld in gleicher Weise beschaffen wie heute die benötigten Mengen an Reserven und Bargeld, nur eben in größerem Umfang, und dies ante factum, nicht post factum.
Der Vergleich mit der Bargeldbewirtschaftung sollte anschaulich genug sein. Im Vergleich zur Handhabung von digitalem Vollgeld, ist die Handhabung von Bargeld in der Tat umständlich und kostspielig. Dennoch wird man schwerlich jemanden finden, der aufgrund von Banknotenmangel bei der Bank kein Geld abheben konnte. Banken sind mit der Bewirtschaftung von Bargeld und Reserven, immerhin Teil ihrer Kernfunktionen, keineswegs überfordert. In einem Vollgeldsystem werden sie es ebenso wenig sein.
Überfordert sind Banken heute jedoch bei einem Bankrun. In einem Vollgeldsystem gibt es keinen Anlass mehr für Bankruns, denn das Vollgeld auf betreffenden Geldkonten außerhalb der Bankbilanzen ist das sichere Eigentum der Kunden und kann in einer Bankenkrise nicht verloren gehen. (Kundendarlehen an Banken können dagegen schon gefährdet sein. Eine gewisse Absicherung von Kapitaleinlagen kann insofern weiterhin ratsam sein).
Was tun bei überdurchschnittlicher Geldhalte-Präferenz? Grenzen zwischen Geld-
politik und Fiskal- und Wirtschaftspolitik
Ein anderer Grund für die Erwartung von Knappheit in einer Vollgeldordnung liegt möglicherweise darin, dass die Betreffenden in den Kategorien der falschen Identität von Geld und Kredit denken. Im heutigen Giralgeldregime sind Kreditverknappung und Geldverknappung ein und dasselbe. Eine zyklisch zurückgehende Kreditvergabe bedeutet ein zugleich zurückgehendes Geldangebot, damit ein echtes Problem, das man seit den 1950er Jahren durch staatliche Defizitausgaben kompensiert – wobei die permanenten Defizitausgaben und die damit erfolgende Akkumulation öffentlicher Schulden im Lauf der Zeit zu einem zusätzlichen großen Problem geworden sind.
In einer Vollgeldordnung sind Geld und Kredit zwei verschiedene Dinge. Im Gegensatz zur Giralgeldmenge, wächst, stagniert oder schrumpft die Vollgeldmenge nicht uno actu mit der Kreditvergabe und Investmenttätigkeit der Banken. Die Vollgeldmenge bleibt in einem Abschwung unverändert.
Gleichwohl muss man sehen, dass auch in einer Vollgeldordnung die Verfügbarkeit von genügend viel Geld nicht automatisch zur Verfügbarkeit von ausreichend Kredit oder anderen Finanzierungen führt. Die Wirtschaftsteilnehmer können ihr Geld ausgeben oder investieren, oder es einfach halten. Bei Keynes wurde die Liquiditätspräferenz (Geld zu halten statt es auszugeben) zu einem Schlüsselfaktor. Mag sein, dass dieser in Keynesianischen Theorien überbewertet wird, aber zweifellos ist Liquiditätspräferenz einer von mehreren entscheidenden Faktoren im Verlauf von Wirtschaftszyklen. Eine zeitweise überdurchschnittliche Liquiditätspräferenz bedeutet verringerte effektive Nachfrage und eine erhöhte Zögerlichkeit bei der Vergabe von Kredit bzw der Aufnahme von Schulden. Dies aber, so sei betont, ist keine strukturelle Eigenschaft des Geldsystems, sondern ein Verhaltensmuster – das sicherlich finanzielle und ökonomische Folgen hat.
Seit den verheerenden Folgen der Großen Depression der 1930er Jahre hat man verschiedene Maßnahmen erdacht, um Firmen und Verbraucher dazu zu bringen, Geld auszugeben statt es halten. Die Grenzen zwischen monetären und fiskalischen Funktionen und weitergehender Finanz- und Wirtschaftspolitik wurden dabei stellenweise verwischt. Der Keynesianische Interventionismus hat dazu geführt, dass Fiskal- und Geldpolitik stellenweise eng miteinander verzahnt sind, denn Defizitausgaben und Schuldenakkumulation beruhen wesentlich auf primärem Bankenkredit und Giralgeldschöpfung.
Überhaupt ist es Usus geworden, Fiskalpolitik und das Geldsystem zu Zwecken einer kompensatorischen Wirtschaftspolitik zu instrumentalisieren, meist in Form von Steuervergünstigungen, Subventionen, und schuldenfinanzierten öffentlichen Ausgabenprogrammen. Zu Beginn, vor dem Hintergrund schwerer Boom-und-Bust-Zyklen, Klassenkampf und Bürgerkrieg, mögen diese Praktiken als das kleinere Übel akzeptabel gewesen sein. Heute, bald hundert Jahre nach der Großen Depression, hat man Grund sich zu fragen, ob die Zeit jener kompensatorischen Praktiken von geringer Nachhaltigkeit aber nachhaltigen Nebenwirkungen nicht abgelaufen ist. Die Einkommensverteilung ist heute wieder ebenso ungleich wie vor hundert Jahren, obschon auf einem höheren Niveau der Produktivität und des Wohlstands. Die Akkumulation übergroßer Schuldenberge und Finanzvermögen war noch nie nachhaltig, und das wird auch heute und künftig nicht der Fall sein. Geldpolitik – und dies ist eine Feststellung, keine normative Aussage – kann nicht fiskalische Probleme oder Strukturprobleme der Wirtschaft lösen, und auch Probleme der Finanzwirtschaft nur insoweit diese im fraktionalen Reservebanking wurzeln.
Darüber hinaus wurde das fraktionale Reservebanking nicht nur für Zwecke der Fiskal- und Wirtschaftspolitik instrumentalisiert, sondern ebenso, und vielleicht mehr noch, für die private Geschäftspolitik der Banken und Finanzmarktakteure, speziell im Bereich der Immobilienfinanzierung und des Investmentbanking. Die BIP-disproportionale Geldvermehrung über beide Kanäle – Aufhebelung des Investmentbanking und anderer Finanzmarktgeschäfte sowie Finanzierung der Staatsschulden – wurde jahrzehntelang damit gerechtfertigt, Wachstum zu schaffen, im besonderen auch Investoren und Konsumenten aus der Deckung zu locken. Anhand einer vergleichenden Betrachtung der Entwicklung des realen BIP (bescheiden), des nominalen inflationierten BIP (doppelt so hoch) und der monetären Aggregate und Finanzvermögen darüber hinaus (ein Mehrfaches davon) lässt sich erkennen, dass derlei Hoffnungen weitgehend enttäuscht worden sind. Die Hauptwirkung dieser ganzen Entwicklung bestand in krisenträchtiger Assetinflation und einer Verschiebung der Einkommensverteilung zugunsten der Kapitaleinkommen auf Kosten der Arbeitseinkommen.
In einer Schulden- und Bankenkrise hat man guten Grund, einseitige Sparprogramme (Austeritätspolitik) zu kritisieren, die alle Lasten und die nötigen Opfer den Schuldnern bzw der Bevölkerung von Schuldnerländern auferlegen, während die Gläubiger, insbesondere die Banken, mit Zentralbank- und Staatshilfe ungeschoren davonkommen. Aber wie auch immer die Lasten verteilt werden, keine der beteiligten Seiten hat eine Alternative zur Schuldendeflation zu bieten, außer problemverschiebenden, gleichsam insolvenz-verschleppenden Maßnahmen wie Quantitative Easing und noch mehr Schulden. Im Unterschied dazu würde eine Vollgeldreform einen substanziellen Beitrag zum Abbau der Staatsschulden leisten. Die Seigniorage aus der laufenden Geldschöpfung kann zu ausgeglichenen Haushalten beitragen, und die sehr hohe einmalige Übergangs-Seigniorage (die sich aus der Ersetzung von nach und nach gelöschtem Giralgeld durch neues Vollgeld ergibt) sollte dazu genutzt werden, die Staatsschulden abzubauen, je nach Land zur Hälfte oder mehr, ohne Austeritätsprogramme und Haircuts auferlegen zu müssen.
Unter den heutigen Bedingungen, wo zurückgehender Kredit eine zurückgehende Geldmenge bedeutet, mögen monetäre Maßnahmen zu fiskalischen und wirtschaftlichen Zwecken insoweit gerechtfertigt sein, wie der Bankensektor als Krisenreaktion eher Geld löscht als genügend neues schafft. In einem Vollgeldsystem wird es dagegen eine stets ausreichende und stabile Geldmenge geben, die auch in einer Krise nicht abnimmt. Wenn Private, Firmen, Banken und andere Finanzinstitute ihr Geld lieber halten als es auszugeben, und sofern man dies als Problem erachtet, muss man mit fiskalischen oder anderen Maßnahmen etwas dagegen tun, aber nicht durch zusätzliche Geldschöpfung wenn es bereits ausreichend viel Geld gibt.
Womöglich würde man daran denken, den Banken Zentralbankkredit zu besonders günstigen Konditionen anzubieten, unter der Bedingung, dass mit dem Geld realwirtschaftliche Unternehmens- und Verbraucher-Ausgaben finanziert werden. Wenn sich die Kapazitätsauslastung wieder bessert und die Liquiditätspräferenz der Akteure sich abschwächt, könnte man das zusätzliche Geld ggf wieder absorbieren. Vermutlich ist das aber nur das übliche Denken von heute. Wenn es an unternehmerischer Initiative und effektiver Nachfrage mangelt obwohl es genug Geld gibt, sind solche Extraangebote eigentlich redundant und machen wohl kaum einen Unterschied.
In einem ordentlich geführten Vollgeldsystem werden extreme Zyklen in aller Regel nicht mehr vorkommen, auch wenn so etwas wie die Große Tulpenmanie oder die Südseeblase, oder die Dot.com-Bubble gegen 2000, Höhepunkt der langen informationstechnischen Innovationswelle, in größeren historischen Abständen immer wieder einmal vorkommen mag. Derlei irrationaler Überschwang richtet Schaden an, aber eine Ordnung, die derlei mit Sicherheit ausschließen könnte, wäre keine freiheitliche Ordnung mehr. So weit als möglich sicherstellen soll man jedoch, dass betreffende Akteure ausschließlich und vollständig mit ihrem eigenen Vermögen haften und das Geld anderer Leute und der Staat nicht mit in die Schadenshaftung genommen werden. Normalerweise jedoch werden Politiker und Wählerschaft wegen moderat verlaufender Konjunktur- und Finanzzyklen kein sonderliches Aufheben mehr machen. Da modernes Geld bei realem Bedarf jederzeit erzeugt werden kann, stellt Liquiditätspräferenz im Prinzip kein großes Problem dar. Ersparnisse, davon abgesehen, dass sie als eine von mehreren Finanzierungsquellen dienen, werden einfach nützliche Puffer für die Wechsellagen des wirtschaftlichen und privaten Lebens sein.
Erwartung eines überhöhten Zinsniveaus
Wenn man knappes Geld befürchtet, folgt daraus die Befürchtung hoher Zinsen. Wenn jedoch in einer Vollgeldordnung die Geldmenge weder knapp noch locker ist, sondern sich nahe einem BIP-proportionalen kapazitäts-orientierten Optimum bewegt, kann man von daher auch auf ein in etwa optimales Zinsniveau schließen; weder zu niedrig, was Inflation und Assetinflation induziert, noch zu hoch, was die Wirtschaft in der Tat suboptimal auslasten würde.
Vieles hängt hier davon ab, in welcher Phase eines Zyklus man sich befindet. Die Forderung nach niedrigen Zinsen hat sich heute jedoch davon abgelöst, speziell an den Finanzmärkten (inkl. Staatsanleihen) und bei Linkskeynesianern. Sie wollen immer niedrige Zinsen, die einen als Leverage, die anderen für Defizitausgaben. Die Vorstellung permanent niedriger Zinsen ist freilich unrealistisch und als Forderung unsachgemäß. Ein niedriges Zinsniveau stellt sich normalerweise in Zeiten einer Rezession oder Krise ein, und führt gerade dann nicht automatisch zu dem erwünschten Effekt, dass Unternehmen und Haushalte Geld aufnehmen, also sich verschulden, und damit für bessere Kapazitätsauslastung, insbesondere Beschäftigung und Erwerbseinkommen sorgen. Wie bereits Irving Fisher in seiner Theorie der Schuldendeflation dargelegt hat, wird das so lange nicht geschehen, solange nicht bestehende Über-Investments ausreichend abgewertet haben oder abgeschrieben worden sind, und die bestehenden Schulden zurückbezahlt oder endgültig ausgefallen sind.
In einer solchen Situation haben sowohl die Angebots- wie auch die Nachfrageseite eine Reihe habitueller Forderungen im Programm. Auf der Angebotsseite gehören dazu Steuererleichterungen, Subventionen und öffentliche Bürgschaften; auf der Nachfrageseite öffentliche Ausgabenprogramme und aktive Arbeitsmarktpolitik. Beiderlei Forderungen gehen gut zusammen solange die Regierung, um beide Seiten zufrieden zu stellen, Defizite in Kauf nimmt und sich weiter verschuldet. Spezifisch Keynesianisch ist das eigentlich nicht mehr, denn inzwischen machen das praktisch alle Regierungen. Vielfach haben sie sich dazu auch einen gesetzlichen Auftrag geben lassen, in Deutschland zum Beispiel in Form des 'Stabilitäts'-Gesetzes von 1967, welches das Ende der freiheitlichen Ordnungspolitik markierte. Auch die Zentralbanken sind für diese Politik eingespannt worden, häufig ebenfalls auf gesetzlicher Grundlage, in diesem Fall in Deutschland nicht, aber zum Beispiel in den USA. Sie sollen maximale Giralgeldschöpfung ermöglichen, zum Beispiel durch Quantitative Easing, und nach Möglichkeit die Zinsen niedrig halten.
Das Resultat solcher Politiken besteht jedoch weniger darin, die Situation zu verbessern, schon gar nicht strukturell, sondern die Probleme von Überinvestments und Überschuldung aufstockend zu verschieben und sie mit der Zeit damit noch schlimmer zu machen. Umgekehrt, in früheren Zeiten starken Wirtschaftswachstums, wollten die Zentralbanken überhitzte Konjunkturen dämpfen, indem sie das Geldangebot niedrig halten wollten und die Leitzinsen erhöhten. Keine dieser Maßnahmen hat jemals funktioniert, denn eine Transmission von Reservepositionen und Leitzinsen auf die Bilanzerweiterung der Banken findet weitgehend nicht statt.
Zinssätze administrieren zu wollen, ist ohnehin nicht sonderlich marktgerecht. Zinssätze, die sich aus dem Angebot an Geld und der Nachfrage danach ergeben, sind bedeutsame Marktsignale. Als solche sollten sie nicht manipuliert werden. Zum Beispiel sind die Zinsen gegenwärtig ursächlich nicht deshalb niedrig, weil die Zentralbanken ihre Leitzinsen extrem niedrig halten, sondern weil es weltweit einen gigantischen Überhang an Giralgeld und Finanzvermögen gibt, denen ihre bisherigen Anlageoptionen krisenhalber verleidet sind und die also nicht wissen, wohin mit dem Geld. Zugleich fangen die Banken ahnungsweise an, zu erkennen, dass sie auf die Einlagen ihrer Kunden im Giralgeldsystem keineswegs angewiesen sind. Also gibt es so gut wie keine Habenzinsen mehr, und je mehr Geld man auf Bankkonten herumliegen lässt, desto weniger Habenzins gibt es dafür. Faktisch besteht ein Negativzins, und trotzdem ändert sich am Verhalten der Akteure und der Konjunktur vorerst nichts – natürlich nicht, solange der involvierte Schuldenüberhang besteht. Ein anderes Beispiel sind die Zinsen auf Staatsanleihen der Euroländer von 2000 bis 2010. Wären sie entsprechend den nationalen Unterschieden der Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Bonität der öffentlichen Haushalte divergent geblieben anstatt in einer seltenen Kombination von Markt- und Staatsversagen in unrealistischer Weise zu konvergieren, wären dem Euro und der EU ein Großteil ihrer aktuellen Probleme erspart geblieben. In ordentlich konstituierten und funktionierenden Märkten sind Zinsen in aller Regel nicht das Problem, sondern Teil der Lösung.
Heute funktioniert der Zinsmechanismus nicht gut, vor allem deshalb nicht, weil die Menge des Geldes an den Geld- und Kapitalmärkten nicht in einer realen Wertbasis verankert ist. Trotzdem versucht man mittels der Leitzinspolitik, noch niedrigere oder noch höhere Zinsen auf bereits sehr niedrige oder hohe draufzusetzen, in der Hoffnung, damit den Trend zu brechen – eine höchst ambivalente Politik des letzten Tropfens, der das Fass zum Überlaufen bringen soll. Wäre die Leitzinspolitik mehr als nur marginal wirksam, würde das vermutlich mehr schaden als nützen.
In einem Vollgeldsystem wird es so sein, dass die Zentralbanken die Geldmenge unter Kontrolle haben, während der Einfluss der Zentralbankzinsen marginal bleiben dürfte. Der Grund liegt darin, dass Zentralbankkredit an Banken von relativ geringem Umfang bleibt, weil der Großteil neuen Geldes zinsfrei durch Staatsausgaben in Umlauf kommen soll. Käme dagegen alles Geld durch verzinslichen Zentralbankkredit in Umlauf, wäre die Situation eine andere; obschon keine völlig andere, denn der wachstumsgerechte Geldmengenzuwachs beträgt voraussichtlich nur 0,x–3 Prozent des Gesamtbestandes, also zu wenig, um aufs Ganze der Zinsen viel zu bewirken.
Zinssätze steigen und fallen nach Maßgabe von Konjunktur- und Finanzzyklen. In der Geldmengenpolitik wird sich diese Zyklik widerspiegeln. Das Zinsniveau braucht dabei nicht administriert oder manipuliert zu werden. Es gründet in der potenzialgerecht vorhandenen Geldmenge und wird auch künftig an den Kapitalmärkten gebildet. Sofern an diesen ausreichend Wettbewerb gegeben ist (keine korporatistische, oligopolistische Marktbeugung), wird ein stabiles Geldangebot und ein potenzialgerechter Geldmengenzuwachs einhergehen mit angemessenen und stabilen (also nicht volatilen) Zinsen; andernfalls wäre ein Vertrauen in Marktwirtschaft nicht gerechtfertigt.
Einwände jenseits einer Vollgeldreform
Banken- und Finanzmarktregulierung
Es gibt noch eine andere Art von Kritik an einer Vollgeldreform. Diese erhebt Einwände der Art, eine Vollgeldreform löse nicht dieses oder jenes Banken- und Finanzmarktproblem, das die Kritiker für besonders wichtig halten. Die Kritiker mögen ihre Gründe dafür haben, ihre Anliegen für besonders wichtig zu halten, aber ein Argument gegen Vollgeld kann das nicht sein.
Eine Vollgeldreform ist eine Reform der Geldordnung, genauer, eine Reform der Geldschöpfung, nicht eine darüber hinaus gehende Reform des Bankgewerbes, oder der Finanzmärkte, oder der fiskalischen Belange der öffentlichen Haushalte. Zum Beispiel kann Vollgeld nicht Steuern und Sozialabgaben ersetzen und es entledigt die Politik nicht der mühsamen Aufgabe ausgeglichener Haushalte. Vollgeld würde nicht länger von sich aus zu einer BIP-disproportionalen Akkumulation von Finanzvermögen beitragen, aber eine Vollgeldreform schafft nicht automatisch den existierenden Überhang an Geldvermögen aus der Welt. Vollgeld verbessert die Position der Realwirtschaft im Vergleich zu sekundären und derivativen Finanzanlagen, aber es hindert Geld nicht per se daran, in die Kasinosparten der Finanzwirtschaft zu fließen.
Von daher macht eine Vollgeldreform eine Reihe anderer Finanzmarktreformen keineswegs überflüssig, zum Beispiel Regelungen bezüglich vollständiger und transparenter Bilanzierung, eine Re-Regulierung gewisser Finanzkontrakte und Handelspraktiken, erhöhtes Eigenkapital der Banken, oder die Begrenzung bzw Ausgliederung des Wertpapier-Eigenhandels von Banken (Volcker-Regel). Es wäre jedoch genauso verfehlt, zu meinen, solche Reformen würden eine Vollgeldreform überflüssig machen.
Ein typischer Fall ist die Bankenregulierung nach Basel III (Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen in Bezug auf diverse Klassen von Aktiva und Verbindlichkeiten). Unterstützer von Basel III meinen, damit sei das Problem gelöst.[23] Dagegen spricht, dass schon Basel I und II keine Probleme gelöst, sondern höchstens welche geschaffen haben. Die Erhöhung der Dosis macht eine Arznei nicht besser, erhöht aber die Nebenwirkungen. Auch und gerade mit Basel III kann man erwarten, dass die meisten Bankenprobleme nach einer gewissen Zeit erneut in Erscheinung treten, solange das Geldsystem auf Giralgeld und Teilreserven beruht. Auch besteht Grund zur Annahme, in einem Vollgeldsystem könnten die Basel-Regularien schlanker und weniger bürokratisch sein. Bankenregulierung und Bankenaufsicht können ein stabiles und wirksam führbares Geldsystem nicht ersetzen, sondern haben es zur Voraussetzung ihrer eigenen Wirksamkeit.
Die fundamentale Bedeutung und große Reichweite einer Reform der Geldordnung wird gegenwärtig noch unterschätzt. Man soll sie andererseits aber auch nicht überbauen, als finanzwirtschaftliches Wundermittel, oder als extrem riskanten Systemwechsel. Wie schon erwähnt macht eine Vollgeldreform heute mit dem Giralgeld was vor hundert Jahren mit dem Papiergeld bereits geschehen ist. Weiter nichts, aber damit doch so viel, dass die monetären Funktionen der Zentralbank vorbehalten werden und die Banken als Geldintermediäre und Finanzierungsinstitute fortbestehen. Es handelt sich um den nächsten naheliegenden Schritt in der weitergehenden Modernisierung des Geldwesens.
Wie gewährleisten, dass Geld der Realwirtschaft statt dem Finanzkasino zufließt?
Wie kann gewährleistet werden, dass Vollgeld zuerst und vor allem in realwirtschaftliche Ausgaben und nützliche Investitionen fließt, anstatt selbstbezügliche Finanzinvestments aufzublähen. Bevor man diesbezüglich Empfehlungen ausspricht, sollte man zur Kenntnis nehmen, dass die Finanzwissenschaft brauchbare Modelle und Theorien zum Zusammenspiel von Real- und Finanzwirtschaft bisher nicht entwickelt hat. Man hat bisher nicht daran gedacht, Zirkulationsgleichungen zu desaggregieren in eine realwirtschaftliche Hemisphäre (die unmittelbar zum Wirtschaftsprodukt beiträgt) und eine finanzwirtschaftliche Hemisphäre (die indirekt oder nicht zum Wirtschaftsprodukt beiträgt).[24] Man hat noch nicht einmal die Frage aufgeworfen, in welchen Formen und in welchen wozu proportionalen Volumina Finanztransaktionen nützlich und unverzichtbar sind, und in welchen Formen und Volumina sie ökonomischen Schaden stiften.
Vor diesem Hintergrund kann man nicht erwarten, Geldpolitik allein könne das Problem lösen. Eine umfassende Antwort muss auch Maßnahmen der Banken- und Finanzmarktregulierung beinhalten. Dennoch leistet bereits Vollgeld als solches einen Beitrag zur Lösung des Problems. Eine am Realwirtschaftspotenzial bemessene Geldmenge wird per se die Realwirtschaft gegenüber der Finanzwirtschaft besser stellen. Der Grund ist, dass eine BIP-disproportionale spekulative Geldnachfrage nicht länger durch zusätzliche Giralgelderzeugung der Banken bedient werden könnte. Die Aufhebelung von spekulativen Investments würde schnell recht teuer werden und sich damit selbst ausbremsen. Aber ohne selbstverstärkend aufgehebelte Bonanza an den Finanzmärkten können Investmentbanking und Finanzmarktspekulation nicht mehr automatisch jene im Verhältnis zur Realwirtschaft übersteigerten und schnellen Renditen bringen.
Darüber hinaus jedoch beinhaltet eine Vollgeldordnung nicht systematisch Kreditlenkung im Sinn einer Verwendungskontrolle des Geldes, im Unterschied zur monetären Mengenkontrolle. Aber das Inverkehrbringen von neuem Geld beinhaltet natürlich die Kontrolle über die Erstverwendung des Geldes. Soweit Geld durch originäre Seigniorage ausgegeben wird, bestimmen Parlament und Regierung über die Verwendung des Geldes. Soweit es als Kredit an Banken fließt, bestimmen die Banken, wofür sie das Geld verwenden. Grundsätzlich liegen Entscheidungen über den Geldgebrauch außerhalb der monetären Zuständigkeit, bei den privaten und öffentlichen Haushalten, Firmen und Finanzinstituten.
Vor der radikalen Deregulierung der Finanzmärkte war Kreditlenkung nichts Ungewöhnliches. In manchen Ländern gab eine von der Zentralbank vorgegebene Kontingentierung der Kreditvergabe für bestimmte Zwecke. Im Vergleich dazu wäre eine Konditionalität von Zentralbankkredit weit weniger interventionistisch. Um einen Grenzfall zwischen Geldpolitik und Finanzmarktpolitik darüber hinaus handelt es sich gleichwohl. Es ist ratsam, die Grenzen der monetären Funktion zu respektieren und also das Programm einer Vollgeldreform nicht in weitergehende Bereiche der Banken- und Finanzmarktregulierung hinein zu überdehnen und damit zu überfrachten.
Fußnoten
[1] Fricke, Thomas 2014: Hochzeit für Geldverbesserer. Vollgeld, Freigeld, Free Banking und andere Radikalvorschläge, Studie im Auftrag von The Greens/EFA in the European Parliament, hg. von Sven Giegold, April 2014. - van Dixhoorn, Charlotte 2013: Full Reserve Banking. An analysis of four monetary reform plans, Sustainable Finance Lab, Utrecht, June 2013. - Baumberger, Jörg 2014: Die Voll-/Leergeld-Reform. Es gibt zielführendere Reformen, um die Finanzarchitektur zu verbessern, Neue Zürcher Zeitung, 27 Mai 2014. - Vollgeld-Initiative 2014: Avenir Suisse stellt sich gegen krisensicheres Geld, http://www.vollgeld-initiative.ch/avenir-suisse-kritik.html. - Baumberger Jörg/Walser Rudolf 2014: Leere Vollgeld-Hoffnungen, Avenir Suisse, Standpunkte 4, http://www.avenir-suisse.ch/wp-content/uploads/ 2014/03/as_vollgeld.pdf. - Niepelt, Dirk: Vollgeld, Liquidität und Stabilität, Neue Zürcher Zeitung, 12 Mai 2014. - Baltensperger, Ernst / Neusser, Klaus: Ungewisse Kosten- und Effizienzfolgen. Gastkommentar zu Vollgeld, Neue Zürcher Zeitung, 3 Feb 2014.
[2] Kablitz, Susanne: Die Vollgeld-Utopie, Ludwig von Mises Institut Deutschland, http://www.misesde.org/ ?p=8108, 25 Juni 2014. Zum Neo-Österreichischen Standunkt sonst vgl. die Schriften von Jesús Huerta de Soto und die Publikationen des Ludwig von Mises Instituts, Auburn, Alabama (http://mises.org).
[3] Vgl u.a. Ann Pettifor: Out of thin air - Why banks must be allowed to create money. http://www.primeeconomics.org/?p=2922, 25th June 2014. - Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker 2014: Vollgeld, das moderne Gold. http://www.flassbeck-economics.de/abo-preview-unser-geldsystem-xiii-vollgeld-das-moderne-gold. – Rudolf Hickel 2012: Geld spiegelt unsere Erwartung an die Zukunft, TAZ, 4/5 Feb 2012, 33. – Elmar Altvater 2012: Freigeld, Vollgeld, Leergeld, WOZ, 25 Okt 2012, https://www.woz.ch/1243/zinskritik/freigeld-vollgeld-leergeld.
[4] Graziani, Augusto 1990: The Theory of the Monetary Circuit, Économies et Sociétés, Monnaie et Production, 7/1990, 7–36 (8, 29). ―2003: The Monetary Theory of Production, Cambridge University Press, 58–95.
[5] Für eine kritische Diskussion der MMT siehe Lavoie, Marc 2011: The monetary and fiscal nexus of neo-chartalism. A friendly critical look, University of Ottawa, Dep. of Economics, available at www.boeckler.de/pdf/ v_2011_10_27_lavoie.pdf. – Roche, Cullen 2011: A Critique of MMT, Modern Monetary Theory, http://pragcap. com/mmt-critique, September 7th, 2011. – Fiebiger, Brett 2011: MMT and the 'Real-World' Accounting of
1-1>0, PERI Working Paper Series No.279, University of Massachusetts Amherst. www.peri.umass.edu/ fileadmin/pdf/working_papers/ working_papers_251-300/WP279.pdf. – Walsh, Steven and Stephen Zarlenga 2013: Evaluation of Modern Money Theory, http://www.monetary.org/mmtevaluation. – Huber, Joseph 2014: Modern Money and Sovereign Currency, real-world economics review, no.66, 2014, 38–57.
[6] Sowohl Michael Kumhof als auch Steve Keen haben dazu kürzlich Artikel veröffentlicht: Kumhof, Michael und Szoltan Jacab 2014: Models of Banking. Loanable Funds or Loans that Create Funds? International Monetary Fund, Working Paper, 30 July 2014. – Keen, Steve 2014: Endogenous Money and Effective Demand, Review of Keynesian Economics, Vol.2, No.3, Autumn 2014, 271–291. – Als Antwort auf Keen in derselben Ausgabe der Beitrag von Lavoie, Marc 2014: A Comment on 'Endogenous Money…', 321–332.
[7] James Tobin 1987: The Case for Preserving Regulatory Distinctions, Challenge 30(5):10–7, verfügbar auf https://www.kansascityfed.org/publicat/sympos/1987/S87TOBIN.PDF. Ein ähnlicher Ansatz des Narrow Banking stammt von John Kay 2009: Narrow Banking. The reform of banking regulation, publ. by the Centre for the Study of Financial Innovation, London.
[8] Jan Kregel 2012: Minsky and the Narrow Banking Proposal, Public Policy Brief, Levy Institute of Bard College, No. 125, 2012, 4–8. - Hyman Minsky 1986: Stabilizing an Unstable Economy, New Haven/London: Yale University Press, 223 ff, 294 ff.
[9] Cf. Wray, Randall 2012: Modern Money Theory, Palgrave/Macmillan. - Mosler, Warren 1995: Soft Currency Economics, www.gate.net/~mosler/ frame001.htm. - Tcherneva, Pavlina 2006: Chartalism and the tax-driven approach, in: Arestis, Philip / Sawyer, Malcolm (eds.), A Handbook of Alternative Monetary Economics, Cheltenham: Edward Elgar, 69–86. - Fullwiler, Scott T. / Kelton, Stephanie / Wray, L. Randall 2012: Modern Money Theory: A Response to Critics, http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm? abstract_id= 2008542.
[10] Cf. Wynne Godley and Marc Lavoie 2007: Monetary Economics, London: palgrave/macmillan.
[11] Zu Einzelheiten des Themas Currency versus Banking vgl den Beitrag auf > vollgeld.de/currency-versus-banking.
[12] Was Bürgerinitiativen für eine Vollgeldreform angeht, vgl http://internationalmoneyreform.org; esp. American Monetary Institute (www.monetary.org), Sensible Money Ireland (http://www.sensiblemoney.ie), Positive Money Britain (www.positivemoney.org), Monetative Germany (www.monetative.de), MoMo Switzerland (vollgeld-initiative.ch, vollgeld.ch).
[13] Näheres dazu findet sich auf https://sovereignmoney.eu/100-per-cent-reserve-chicago-plan.
[14] Fisher, Irving 1935: 100% Money, Works Vol. 11, ed. by William J. Barber, London: Pickering & Chatto, 1997, p. 58.
[15] Vgl Brown, Ellen Hodgson 2013: The Public Bank Solution. From Austerity to Prosperity, Baton Rouge, LA: Third Millennium Press. Ebenso www.publicbankinginstitute.org.
[16] Vgl dazu die Beiträge auf vollgeld.de/schrittweise-einfuehrung-von-vollgeld.
[17] Friedman, Milton 1991: Monetarist Economics, Oxford, UK/Cambridge, Mass: Basil Blackwell, p.16; ―1992, Money Mischief, New York: Harcourt Brace Jovanovich, p. 198.
[18] Riese, Hajo 2001: Grundlegungen eines monetären Keynesianismus, Bd.1, Marburg: Metropolis, 48–53.
[19] Keynes, John Maynard 1923: Tract on monetary reform, London: Macmillan, 74.
[20] Die Konjunkturtheorie hat Finanzzyklen bisher als Teil des realwirtschaftlichen Konjunkturzyklus verstanden. Das ist in gewissem Maß wohl weiter zutreffend, aber Finanzzyklen in diversen Assetklassen haben sich davon teilweise auch abgekoppelt, um gleichsam ein Eigenleben zu führen, wobei solche Finanzzyklen in der Regel einen deutlich längeren Zeitraum umfassen als realwirtschaftliche Konjunkturzyklen. Vgl Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, 84th Annual Report, 2014, 65ff.
[21] Vgl Baumberger, Jörg 2014: Die Voll-/Leergeld-Reform, Neue Zürcher Zeitung, 27 Mai 2014. - Baumberger, Jörg / Walser, Rudolf 2014: Leere Vollgeldhoffnungen, http://www.avenir-suisse.ch/36309/leere-vollgeld-hoffnungen.
[22] Martin Wolf, The Federal Reserve is right to turn on the tap, Financial Times, 9 Nov 2010.
[23] Cf. Admati, Anat / Hellwig, Martin 2013: The Bankers' New Clothes, Princeton University Press, pp. 187. - http://www.avenir-suisse.ch/36309/leere-vollgeld-hoffnungen.
[24] Eine solche Desaggregierung wurde vorgeschlagen von Johann Walter 2012: Quantitätsgleichung – neu zu interpretieren? Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 41 Jg, 3/2012, 151–155; ebenso von Werner (2005 185) sowie Huber (1998 224). Ein verwandter Ansatz von Hudson besteht darin, in das saldenmechanische Modell eines öffentlichen und privaten Sektors jeweils einen extra FIRE Sektor einzufügen (Finance, Insurance, Real Estate). Vgl Hudson, Michael 2012: The Bubble and Beyond, Dresden: Islet Verlag. - Hudson, Michael 2006: Saving, Asset-Price Inflation, and Debt-Induced Deflation, in Wray, L. Randall / Forstater, Matthew (eds.) 2006: Money, Financial Instability and Stabilization Policy, Cheltenham: Edward Elgar, 104–124.
> zurück zum Anfang
Ausgewählte Literatur zu Vollgeld
Benes, Jaromir / Kumhof, Michael 2012: The Chicago Plan Revisited, IMF-working paper, 12/202 August 2012, revised draft February 2013.
Betz, Thomas 2014: Geldschöpfung, Vollgeld und Geldumlaufsicherung, Zeitschrift für Sozialökonomie, 51 Jg, 180/181 Folge, April 2014, 38–46.
Dyson, Ben / Graham, Tony / Ryan-Collins, Josh / Werner, Richard A. 2011: Towards a Twenty-First Century Banking and Monetary System. Submission to the Independent Commission on Banking, available at: http://www.neweconomics.org/publications/ entry/towards-a-21st-century-banking-and-monetary-system.
Felber, Christian 2014: Geld, die neuen Spielregeln, Wien: Deuticke.
Gocht, Rolf 1975: Kritische Betrachtungen zur nationalen und internationalen Geldordnung, Berlin: Duncker & Humblot.
Gudehus, Timm 2014: Notwendigkeit, Regelungen und Konsequenzen einer neuen Geldordnung, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 63/1, 2014, 74–106.
Gudehus, Timm 2013: Geldordnung, Geldschöpfung und Staatsfinanzierung, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 62/2, 2013, 194–222.
Huber, Joseph 2014: Monetäre Modernisierung, 4. neu bearb. Aufl., Marburg: Metropolis.
Huber, Joseph 2014: Modern Money and Sovereign Currency, real-world economics review, no.66, 2014, 38–57.
Huber, Joseph 1998: Vollgeld, Berlin: Duncker & Humblot.
Huber, Joseph / Robertson, James 2014: Geldschöpfung in öffentlicher Hand, 2. Aufl., Marburg: Metropolis.
Jackson, Andrew / Dyson, Ben 2013: Modernising Money. Why our monetary system is broken and how it can be fixed, London: Positive Money.
Jackson, Andrew 2013: Sovereign Money, ed. by Ben Dyson, London: Positive Money, www. positivemoney.org
Kremer, Jürgen 2013: Grundlagen der Ökonomie. Geldsysteme, Zinsen, Wachstum und die Polarisierung der Gesellschaft, überarbeitete und erweiterte 2. Auflage, Marburg: Metropolis.
Mayer, Thomas 2014: Die neue Ordnung des Geldes. Warum wir eine Geldreform brauchen, München: FinanzBuch Verlag.
Mayer, Thomas / Huber, Roman 2014: Vollgeld. Das Geldsystem der Zukunft, Marburg: Tectum Verlag.
Peukert, Helge 2013: Das Moneyfest. Ursachen und Lösungen der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise, Marburg: Metropolis.
Positive Money 2014: Creating a Sovereign Monetary System, http://www.positivemoney.org/our-proposals/creating-sovereign-monetary-system/
Robertson, James 2012: Future Money, Totnes: green books.
Ryan-Collins, Josh / Greenham, Tony / Werner, Richard / Jackson, Andrew 2012: Where Does Money Come From? A guide to the UK monetary and banking system, 2nd edition, London: New Economics Foundation.
Schemmann, Michael 2013: Deutschlands Geld-Illusion. Monetative Reform oder Bankpleiten, Norderstedt: Books on Demand.
Schemmann, Michael 2013: Money Breakdown and Breakthrough. The history and remedy of financial crises and bank failures, IICPA Publications, www.iicpa.com.
Seiffert, Horst 2012: Geldschöpfung. Die verborgene Macht der Banken, Nauen: Verlag H. Seiffert.
Verein Monetäre Modernisierung (Hg) 2012: Die Vollgeld-Reform. Wie Staatsschulden abgebaut und Finanzkrisen verhindert werden können, mit Beiträgen von Hans-Christoph Binswanger, Joseph Huber und Philippe Mastronardi, Solothurn: Edition Zeitpunkt
Werner, Richard A. 2012: How to Turn Banks into Financial Intermediaries and Restore Money Creation and Allocation Powers to the State, University of Southhampton, CBFSD Policy Discussion Paper, No. 3–12.
Zarlenga, Stephen 2014: The Need for Monetary Reform. Presenting the American Monetary Act, American Monetary Institute, http://www.monetary.org/wp-content/uploads/2011/12/32-page-brochure-sept20111.pdf
Zarlenga, Stephen A. 2008: Der Mythos vom Geld, die Geschichte der Macht, 2. überarb. Aufl., Zürich: Conzett Verlag.
Text > als PDF
Inhalt
Einleitung
Warum sich viele Ökonomen mit Geldreform schwertun
Annahme der Neutralität des Geldes
Annahme der Funktionalität des bestehenden Geldsystems
Falsche Identität von Geld und Kredit
Partieller statt vollständiger Chartalismus
Kernpunkte einer Vollgeldreform, Elemente einer Neuen Currencylehre
Typische Fehldarstellungen des Vollgeld-Konzeptes
Staatliches Geld, nicht Verstaatlichung der Banken
Alternative Geschäftsmodelle für Banken. Komplementärwährungen
Beendigung der monetären Funktion der Banken, nicht ihrer Finanzfunktionen
Monetarismus. Verwechslung von Quantitätstheorie und Angebotsdoktrin
Vollgeld gegenüber Angebots-
und Nachfragedoktrin
Monetarismus und Quantitätstheorie
Unterstellter bürokratischer Zentralismus und vermeintliche Inflexibilität der Geldpolitik
Wissensanmaßung? Wie Zentralbanken für eine optimale Vollgeldmenge sorgen können
Fehlannahme einer Geld- und Kreditverknappung
Erwartung eines überhöhten Zinsniveaus
Einwände jenseits einer Vollgeldreform
Banken- und Finanzmarktregulierung
Wie gewährleisten, dass Geld der Realwirtschaft statt dem Finanzkasino zufließt?
Ausgewählte Literatur zu Vollgeld
Text > als PDF